"Name, Vorname, Beruf"

Seite 4: Erdrückende Beweislast

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Weitere Einblicke in das Justizsystem erhalten wir, wenn der Untersuchungsrichter und sein wichtigster Mitarbeiter, der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt, zu einem inoffiziellen Treffen mit dem Generalstaatsanwalt einbestellt werden. Im echten Leben hieß der Mann Konstantinos Kollias. Sein Agieren in der Lambrakis-Affäre, wo er Freisprüche für die Beschuldigten forderte, empfahl ihn in rechten Kreisen für höhere Ämter. Nach dem Putsch der Obristen am 21. April 1967 wurde er zum Ministerpräsidenten ernannt. Nach dem gescheiterten Gegenputsch des Königs floh er im Dezember 1967 mit Konstantin II. außer Landes. Er konnte bald zurückkehren, aber mit der Karriere war es danach vorbei. Seine Bedeutung für die Etablierung der Militärdiktatur ist leicht zu unterschätzen, weil er so schnell wieder von der politischen Bühne verschwand. Dabei war sie ganz erheblich. Die Ernennung des Monarchisten (und Zivilisten) Kollias zum Ministerpräsidenten war eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass der König die von den Obristen gebildete Regierung anerkannte.

In den ersten Tagen nach dem Putsch gab es keinen Kontakt zwischen Vertretern der USA und der Junta auf höherer Ebene. In der US-Botschaft debattierte man über das weitere Vorgehen, und die Junta war sehr nervös, weil es Gerüchte über eine Entsendung der 6. US-Flotte nach Griechenland gab. Unabhängig davon, was die CIA von den Putschplänen gewusst hatte oder nicht: Gegen den ausdrücklichen Wunsch der USA hätte die neue Regierung kaum im Amt bleiben können. Ob ein simples Statement ausgereicht hätte, oder ob es drastischerer Maßnahmen bedurft hätte, um die Putschisten zum Rückzug zu zwingen, bleibt Spekulation. Tatsache ist, dass Philip Talbot, der damalige US-Botschafter, Kollias am 26. April einen Besuch abstattete. Der neue Premierminister versicherte dem Botschafter, dass man die politischen Gefangenen gut behandeln werde. Aus Talbots Diplomatensätzen durfte Kollias schließen, dass die USA nicht intervenieren, sondern die weiteren Entwicklungen abwarten würden. Die Amerikaner kündigten dann immer wieder an, dass Griechenland in Kürze zur Demokratie zurückkehren werde. Die Militärdiktatur dauerte bis 1974. Der im Dezember 1967 von Oberst Georgios Papadopoulos abgelöste Konstantinos Kollias hatte daran seinen Anteil.

Der Generalstaatsanwalt in Z tritt auf wie der Direktor, der einem Schüler eine Standpauke hält, weil der Klassenlehrer mit dem Bengel nicht zurechtkommt. Der Bezirksstaatsanwalt steht dabei und setzt die Miene eines Mannes auf, der es gleich gesagt hat und auf den der Junge wieder mal nicht hören wollte. "Sie sind das also", meint der Generalstaatsanwalt verächtlich. "Sie würden also den Polizeichef und den Leiter der Sicherheitskräfte unter Anklage stellen?" Die Beweislast sei erdrückend, erwidert der Richter. "Beweise?!", empört sich der Generalstaatsanwalt. "Bösartiges Geschwätz! Sogenannte Beweise, erfunden von Pazifisten, die einen Helden erschaffen wollen." Sicher, sagt der Richter, aber die Komplizenschaft der Polizei sei nun mal erwiesen.

Dann nennt er Ermittlungsergebnisse, die doch etwas peinlich sind: Der Oberst hat sich am Tag des Attentats mit Yago und anderen Rechtsextremen getroffen. Unter den gewalttätigen Gegendemonstranten waren Polizisten in Zivil. Der Mann, der den schwer verletzen Doktor ins Krankenhaus gefahren hat und den der General nicht kennen will, ist dessen Chauffeur. Zeugen wurden unter Mitwirkung der Polizei eingeschüchtert. Der junge Polizist, der Yago festgenommen hat, wurde vom General und vom Oberst gezwungen, seinen Bericht umzuschreiben, damit sie die Tatwaffe verschwinden lassen konnten. Na gut, sagt der Generalstaatsanwalt. Gibt es also Gründe für eine Anklage. Aber doch wohl nichts, das für eine Verurteilung von Polizeioffizieren ausreichen würde. Das müssen die Geschworenen entscheiden, antwortet der Untersuchungsrichter.

Nur dem Gewissen verantwortlich, und der Karriere

Der Generalstaatsanwalt verliert allmählich die Geduld. Er wirft dem Richter vor, nicht nur die Polizei, sondern auch die Justiz zu diskreditieren, wenn er so weitermacht. Warum ist es schlecht für den Ruf der Justiz, wenn ein Untersuchungsrichter seine Pflicht tut und sich an die Gesetze hält? Die Logik ist verblüffend. Kein Gericht in diesem Land würde hohe Polizeioffiziere verurteilen. Wenn aber die Angeklagten trotz erdrückender Beweislast straffrei ausgehen wird es heißen, dass Polizei und Justiz unter einer Decke stecken. In den Augen der Öffentlichkeit wäre die Justiz diskreditiert. Das muss verhindert werden, findet der Generalstaatsanwalt: "Als ob es noch nicht genug wäre, dass unser Land eine Invasion von langhaarigen Strolchen erlebt, von Atheisten und Junkies mit unklarem Geschlecht, jetzt wollen Sie auch noch unsere Streitkräfte und die Justiz in Verruf bringen, die einzigen Elemente, die nicht vom Parlamentarismus korrumpiert sind. Gerade jetzt, da wir von einer Erneuerung träumen, von einem Land ohne Parteien, ohne Links oder Rechts, einem Land, das Gottes Willen und seiner Bestimmung folgt, das alles wollen Sie kaputtmachen."

So ähnlich haben wir das schon vom General und vom CROC-Chef gehört, der auch ein Land versprach, in dem es kein Links oder Rechts mehr gibt, nur noch eine geeinte Nation (weil die politischen Parteien und die parlamentarische Demokratie abgeschafft sind und rechte Cliquen und Königstreue das Sagen haben). Wenn den Rechten in diesem Film die Argumente ausgehen, bemühen sie den König, die Nation und das christliche Abendland, appellieren sie an den Patriotismus (oder was sie dafür halten), beschwören sie die nationale Ehre und so weiter. Sie tun das mit einer Selbstverständlichkeit, die sich aus dem Wissen speist, dass so etwas beim Publikum gut ankommt. Vielleicht sollten sich die heutigen Akteure, egal welcher politischen Couleur, Z ansehen und dann darüber nachdenken, ob das nationale Pathos, mit dem sie ihre Reden würzen, außer ihnen persönlich auch dem Land nützt, oder ob es langfristig eher schadet. Costa-Gavras bleibt dieser Rhetorik gegenüber äußerst skeptisch.

Die Inszenierung ist brillant. Jeder Stratege weiß, dass die Schlacht schon halb gewonnen ist, wenn man selbst bestimmen darf, wo sie geschlagen wird. So sorgen die Verschwörer dafür, dass die Kundgebung der Oppositionellen nur an dem Ort stattfinden kann, der sich für das geplante Attentat am besten eignet. Je stärker die rechten Kräfte in Bedrängnis geraten, umso mehr dreht sich das um. Weil er sich auf unzulässige Weise in die Ermittlungen eines dem Gesetz nach unabhängigen Beamten einmischt, kommt der Generalstaatsanwalt incognito in die Stadt. Darum trägt er eine Sonnenbrille (Kollias war blamiert, als seine heimliche Reise nach Thessaloniki bekannt wurde, und Costa-Gavras beliefert die Tankstelle des Widerstands mit neuem Sprit, indem er sich über ihn lustig macht). Man trifft sich nach Dienstschluss (die Putzfrau ist schon an der Arbeit) in einem Gerichtssaal des Justizgebäudes. Der servile Bezirksstaatanwalt dreht selbst den Schlüssel um und führt den aufmüpfigen Juristen vor den Generalstaatsanwalt wie einen Angeklagten vor seinen Richter. Costa-Gavras inszeniert das aber so, dass der Generalstaatsanwalt meistens steht, während die anderen - leicht erhöht - sitzen. Aus dem vermeintlichen Richter wird so ein Mann, der den Geschworenen seinen Fall vorträgt. Wir, das Publikum, werden auf diese Weise aufgefordert, uns ein Urteil über ihn und die Seilschaften in Militär, Polizei, Justiz und Politik zu bilden, die er vertritt.

Costa Gavras: "Z"

Am Ende versucht es der Generalstaatsanwalt mit Manipulation. Er setzt sich neben den Untersuchungsrichter und gibt den Verständnisvollen, der dem jungen Kollegen helfen will und einen Ausweg aus der vertrackten Lage weiß. "Ich verstehe Ihre Skrupel", sagt er. "Das ehrt Sie. Meine Idee sollte Sie zufriedenstellen, die Regierung und den Palast." Die Idee geht so: Der Untersuchungsrichter zerlegt den Fall in drei Teile. Die beiden Kriminellen, Yago und Vago, werden angeklagt, so wird der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen. Die Polizei war nachlässig. Das ist schlecht, aber keine Angelegenheit für ein ordentliches Gericht. So etwas ist eine Sache für die Verwaltung, das kann man intern regeln. Drittens wird ein Verfahren gegen die Organisatoren der Friedenskundgebung eingeleitet. Deren hetzerische Reden machen sie moralisch verantwortlich für die Gewalt. Da kann der Bezirksstaatsanwalt nur zustimmend nicken. Und noch ein Letztes, sagt der Generalstaatsanwalt zum Richter: "Der Justizminister wollte von mir wissen, ob Sie ein Linker sind? Das habe ich kategorisch verneint. Hier ist eine Liste mit nützlichen Zeugen. Offenbar wollte den Abgeordneten keiner töten, sie wollten ihn nur einschüchtern. Ich verlasse mich darauf, dass ich Sie überzeugt habe, die Ehre der Kräfte von Recht und Gesetz zu verteidigen. Aber Sie sind nur Ihrem Gewissen verantwortlich, und Gott."

Eskalation mit Sündenböcken

"Der wichtigste Grund dafür, dass ich Z machen wollte, war natürlich meine griechische Herkunft", sagt Costa-Gavras in einem Interview. "Ich weiß nicht, wie jemand ohne diese Herkunft einen solchen Film hätte drehen können. Der Lambrakis-Mord hatte mich seit dem Attentat im Jahre 1963 beschäftigt, aber nach dem Militärputsch von 1967 wollte ich etwas Konkretes gegen die Diktatur unternehmen. […] Beim Lambrakis-Mord zeigten sich die klassischen Elemente der politischen Verschwörung auf sehr klare Weise. Da war die Komplizenschaft der Polizei, das Verschwinden wichtiger Zeugen, Korruption in der Regierung - all diese Dinge. Außerdem stellte sich noch die Frage, wie manche Menschen andere zu Sündenböcken machen."

Wie fast alles in Z hat auch das Sündenbock-Thema zwei Seiten. Die gesellschaftlich Benachteiligten werden gegen eine Gruppe aufgehetzt, die noch schwächer ist und der man die Schuld an Missständen zuschiebt, für die sie nicht verantwortlich ist. In Z werden die Angehörigen einer Minderheit in denunziatorischer Absicht zu "Kommunisten" oder "Pazifisten" erklärt und dadurch ausgegrenzt, was die Hemmschwelle senkt und die aufgehetzte Menge zu Gewalttaten ermutigt, von denen es nach der ersten Leiche heißt, dass es so nicht gemeint war. Wer es aktueller haben möchte kann "Muslime" für "Kommunisten" einsetzen, "Asylanten", "Wirtschaftsflüchtlinge" oder "Zigeuner" (auch "faule Griechen" wäre eine Möglichkeit). Wer mehr über solche Verhaltensmuster wissen will sehe sich Auch Zwerge haben klein angefangen von Werner Herzog an. Da rebellieren die Zwerge, weil sie von der Mehrheit der Nicht-Zwerge schlecht behandelt werden, und am Ende bleibt alles, wie es ist, weil die Zwerge ihre eigenen Zwerge gefunden haben. Gruselig.

Z erzählt die (wahre) Geschichte einer Eskalation. Der Chef einer rechtsextremen Gruppierung referiert über den von Krankheit bedrohten Volkskörper und über den Schutz des christlichen Abendlandes, dann schlagen zwei seiner Zuhörer einen als Schädling identifizierten Menschen tot, und die anderen prügeln als sogenannte Demonstranten auf Leute ein, von denen man ihnen gesagt hat, dass sie die Feinde sind. Erzählt wird vom Ende her, weil dann am Schluss die Hintermänner übrig sind und nicht die direkten Täter, wie von den Drahtziehern geplant. Auch Yago und Vago sind Sündenböcke: Zwei verrohte Individuen, denen jede Schandtat zuzutrauen ist und die man als die Schuldigen präsentieren kann, wenn sich die Version vom Verkehrsunfall nicht halten lässt. Ginge es nach dem Generalstaatsanwalt als dem Vertreter eines korrupten Justizsystems würde man an diesen beiden "Einzeltätern" ein Exempel statuieren und so das Schauspiel von der Gerechtigkeit inszenieren, der zum Sieg verholfen wird.

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