"Name, Vorname, Beruf"
Seite 2: Glückliche Hellenen
Von den Bouzoukis darf man sich nicht täuschen lassen. Theodorakis schöpfte seine Inspiration aus der griechischen Kultur und machte eine Musik, die immer politisch war, weil sie dem autoritären Staat der Faschisten und Kollaborateure die Vision von einem anderen, freieren Griechenland entgegenstellte. Insofern lag die Militärjunta nicht so falsch, als sie sein Werk komplett verbot und nicht nur partiell wie die Zensoren früherer Regierungen. Mit Trachtenvereinen, die abzählen, ob der Janker die vorgeschriebene Zahl von Knöpfen aufweist, haben diese Kompositionen so wenig zu tun wie mit der volkstümelnden Musik, die dazu auffordert, rhythmisch mitzuklatschen und im Gleichschritt durch den Saal zu marschieren. Wie gnadenlos dieses Mitklatschen sein kann belegt ein weiteres der von Pieter Hendriks hochgeladenen Dokumente: Mikis Theodorakis 1987 in Ostberlin, ein in der Kakophonie endender Kampf der Kulturen. Jeder zum Live-Auftritt befähigte Musiker weiß, wie schwer es ist, gegen so etwas anzuspielen. Theodorakis, glaube ich, schaut so gequält, weil ihm bewusst geworden ist, was er mit dem Sirtaki angerichtet hat, oder weil er noch Egon Krenz treffen muss, damals Kronprinz von Erich Honecker, den man ab 1:20 beim fröhlichen Schunkeln mit den Genossen sehen kann (und ab 5:27 bei einer Klatsch-Sprung-Kombination). Offenbar handelt es sich um ein gesamtdeutsches Phänomen.
Vielleicht sind die Griechen doch die glücklicheren Menschen, denn sie können sich ganz ohne Schunkeln und rhythmisches Klatschen an Theodorakis’ Musik erfreuen. Das zeigt der Mitschnitt eines legendären Konzerts vom Oktober 1974, mit dem das Ende der Militärdiktatur gefeiert wurde. Der Anfang vom Ende kam in der Nacht vom 17. auf den 18. November 1973. In dieser Nacht schlugen die Obristen einen Aufstand von Studenten der Technischen Universität in Athen, dem sich andere Universitätsangehörige, Schüler und Arbeiter angeschlossen hatten, blutig nieder. Es gab 24 Todesopfer, deren Namen bis heute am Jahrestag der Niederschlagung in vielen griechischen Schulen verlesen und in Zeitungen abgedruckt werden (zum Ärger der Rechtsextremen von der "Goldenen Morgenröte", die behaupten, dass das alles nur linke Propaganda ist und es solche Opfer nie gab). Maria Farantouri sang "To gelasto paidi" von da an mit einigen neu angefügten Zeilen über den 17. November. Der Einsatz von Panzern gegen die rebellierende Jugend des Landes war eine der Ursachen dafür, dass sich das Regime nicht mehr lange halten konnte (andere Gründe waren die Zypern-Krise und die wachsende Distanz der US-Regierung).
Theodorakis kehrte nach dem Sturz der Junta nach Griechenland zurück. Sein erstes öffentliches Konzert gab er am 10. Oktober 1974 im Karaiskakis-Stadion in Piräus (benannt nach einem republikanischen Freiheitskämpfer, der 1827 tödlich verwundet wurde). Maria Farantouri sang Andonis aus dem Mauthausen-Zyklus und die 17.-November-Version von To gelasto paidi. Indirekt stand damit auch Costa-Gavras auf der Bühne, der Regisseur von Z, der wie Theodorakis mit den Mitteln der Kunst gegen die Obristen gekämpft hatte. Dieses Konzert ist heute noch sehr berührend und zeigt ein ganz anderes Bild von Griechenland als das, das uns das Fernsehen routinemäßig in seinen "Brennpunkten" präsentiert, wenn wieder über Geld und Sparmaßnahmen gefeilscht wird. Wenn man die jungen Leute im Publikum hört, die sich über eine für sie gerade erst geborene Demokratie freuen, kann man melancholisch werden. Womöglich sind das die Rentner, die jetzt weinend vor dem Bankautomaten stehen, wenn uns die TV-Anstalten ihre als Journalismus getarnte Verelendungspornographie vorführen.
Leider fällt es nicht allzu schwer, hier eine Überleitung zu finden, die uns zurück zum Film von Costa-Gavras bringt. Seit dem Beginn der Schuldenkrise wünscht sich eine wachsende Zahl von Griechen die "gute alte Zeit" der Militärdiktatur zurück, die ihnen im verklärenden Licht der Nostalgie erscheint. 2013 erstach ein Anhänger der "Goldenen Morgenröte" den Hip-Hop-Musiker Pavlos Fyssas, der sich gegen die neofaschistischen Tendenzen in der griechischen Gesellschaft engagierte. Bei einigen der danach stattfindenden Gedenkfeiern und Protestkundgebungen, habe ich gelesen, wurde "To gelasto paidi" gespielt oder gesungen. Theodorakis’ Musik bleibt weiter aktuell, und der Film Z, aus dem sie nicht wegzudenken ist, mit ihm.
Plausible deniability
Wir waren in diesem Esslokal mit der Fix-Reklame an der Wand, wo im Hintergrund die Stimme von Mikis Theodorakis zu hören ist. Im Austausch für den Reisepass zeigt Dumas dem Reporter jetzt die Mitglieder des rechtsextremen Geheimbunds. Vieles in Z ist spiegelbildlich angelegt. Yago und Vago fahren am Doktor vorbei, um ihn zu töten. Jetzt fährt der Reporter, der den Mord aufklären will, an den CROC-Mitgliedern vorbei. Seine Waffe ist die Kamera und nicht der Knüppel (im Roman von Vassilis Vassilikos haben die Rechtsextremen denselben Ausrüster wie die Polizei, der sie als paramilitärische Milizen Hilfsdienste leisten, wenn Oppositionelle eingeschüchtert werden sollen). Wir sehen Handwerker, Geschäftsleute und Arbeiter. Ein Mann hat nur noch ein Auge, weil er das zweite an einen Amerikaner verkauft hat. Ein anderer verdient sein Geld als Blutspender (bei Notfällen steigt der Preis), weil er schlecht sieht. Das ist eine mit bösem Witz vorgetragene Kapitalismuskritik und wirft wie nebenbei die Frage auf, was Griechenland eigentlich von einem durch die jeweilige Kolonialmacht ausgebeuteten Protektorat unterscheidet.
Nicht vom Reporter photographiert werden die beiden Krankenschwestern, die auf Regieanweisung durch die Einstellung gehen und das marode Gesundheitssystem repräsentieren, das Lambrakis reformieren und finanziell besser ausstatten wollte (durch Einsparungen beim Militär), weil nur diejenigen eine adäquate medizinische Versorgung erhielten, die sich diese leisten konnten. Die Armenkliniken gibt es in Griechenland immer noch, oder schon wieder. Aber das ist Alltag und keine Schlagzeile wert. Nur Sensationen bringen Geld, wird der Reporter jetzt gleich sagen. Costa-Gavras hat ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu seinen Helden (und zu den Medien, in denen sie arbeiten wie er selbst).
Der Chef der Organisation CROC, unter deutscher Besatzung Offizier, betätigt sich in seinem Garten als Rosenzüchter. Das ist eine der subtilen Verbindungen zwischen ihm und dem General, der als Fachmann für die Bekämpfung von Pflanzenschädlingen und den richtigen Umgang mit jungen Trieben eingeführt wurde. Der General lässt CROC die Drecksarbeit machen, und bei Bedarf streitet er ab, die Mitglieder der Organisation zu kennen, die nicht direkt in die von ihm befehligten Kommandostrukturen eingebunden ist. Das dürfte er von der CIA gelernt haben, die das Konzept der "glaubhaften Abstreitbarkeit" (plausible deniability) in den 1950ern entwickelte und dann in Staaten wie Griechenland zum Einsatz brachte. Der US-Agent, den wir am Anfang gesehen haben, ist aus dem Film verschwunden. Die Methoden der CIA sind geblieben. Die Strippenzieher muss Costa-Gavras nicht mehr zeigen. Mich erinnert das an die Cheshire Cat in Alice in Wonderland, von der es irgendwann heißt, dass nur noch ihr Grinsen übrig ist - so wie von den Bayern, mit deren in die Ägäis exportiertem König das Elend des modernen griechischen Staates einmal angefangen hat, das Bier der Brauerei Fix.
Der Feigenverkäufer Barone steht vor einer Wand mit dem Reklameschild der Brauerei, als ihn der Reporter ablichtet. Der Spur des Bieres sollst du folgen: Costa-Gavras hat diesen ebenso freundlichen wie hintergründigen Witz (der mitunter sehr böse werden kann). Georges Pirou, der mit dem Doktor verwechselte und versehentlich niedergeprügelte Abgeordnete, hat die Attacke überlebt und schaut im Krankenzimmer die Photos durch wie vor ihm der General die Photos in den Dossiers über die Oppositionellen. Damit wird der Spieß wieder umgedreht, und zugleich registriert der Film - durchaus selbstreflexiv und nicht unkritisch - die zunehmende Dominanz der Bildmedien, die in den 1960ern dabei waren, alle Bereiche der Gesellschaft zu durchdringen. Pirou identifiziert Barone als den Mann, der auf ihn eingedroschen hat. Das Bild des Feigenverkäufers kennt bald das ganze Land, weil der Artikel des Reporters in einer überregionalen Tageszeitung erscheint und nicht, wie von Pirou vorgeschlagen, in einem lokalen Parteiblatt. Selbstreflexiv ist auch das. Costa-Gavras wollte keinen Film für eine kleine Gruppe von Gleichgesinnten machen, die ohnehin Gegner der Militärdiktatur waren, sondern ein möglichst großes Publikum erreichen.
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