"Name, Vorname, Beruf"

Seite 6: Rädchen im Getriebe

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Die Farce geht damit weiter, dass der Schatten des mit einem Knüppel bewaffneten Vago in der Tür zum Krankensaal auftaucht. Vor der Tür sitzt ein Polizist, der immer schläft. Der neuerliche Anschlag scheitert daran, dass Vago nicht mit der Anwesenheit des Reporters gerechnet hat. Vago flieht und rettet sich mit einem Sprung in sein Krankenbett, neben dem bereits die zur Visite erschienenen Mediziner auf ihn warten und sich über sein Gipsbein wundern. Eigentlich wurde er wegen angeblicher, vom Polizeiarzt diagnostizierter Herzbeschwerden eingeliefert. Auch das ist gleich nicht mehr so lustig, wenn am Ende des Films die Zeugen aufgelistet werden, die weniger Glück als Nick hatten und unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sind.

Costa Gavras: "Z"

Der wegen Vergewaltigung und anderer Delikte mehrfach vorbestrafte Vago ist ein widerlicher Charakter und doch auch amüsant (Marcel Bozzuffi brachte sein flamboyanter Auftritt die Rolle des Auftragskillers in The French Connection ein). Sogar dem sonst so kühlen Untersuchungsrichter nötigt er ein Schmunzeln ab. In Zeiten der politischen Korrektheit ist er die problematischste Figur in Z. Der Doktor, den er mit einem Knüppel totschlägt, prangert in seiner Rede eine korrupte und unsolidarische Gesellschaft an, in der jeder auf sich selbst gestellt ist und nur auf den eigenen Vorteil achtet. Vago ist das Raubtier, das sich mit einer mehr komödiantischen als geschmeidigen Eleganz durch den von seinem Opfer beschriebenen Dschungel bewegt. Während der Mann, den er gleich ermorden wird, noch über die Zukunft des Planeten spricht, richtet Vago den Blick mit lüsternem Grinsen nach oben. Da steht ein junger Mann in Unterwäsche auf einem Balkon und hört sich die per Lautsprecher nach draußen übertragene Rede an. Einer von Vagos Sexualpartnern ist Redakteur bei einer rechten Zeitung, aber seine Vorliebe gilt den Teenagern. Während der Doktor im Sterben liegt, nähert sich der euphorisierte Vago mit einem Luftsprung und begleitet von einer die Glocken zum Klingeln bringenden Rockmusik der Kneipe, in der der Junge vom Balkon jetzt beim Flippern steht. Vagos Finger berührt den des Jungen, und der Film lässt wenig Zweifel daran, was jetzt dann passieren wird.

Costa Gavras: "Z"

Ist das schwulenfeindlich? Costa-Gavras hat den Vorwurf stets zurückgewiesen und erklärt, dass Vago durch seine sexuelle Orientierung verletzlich wird. Das sei die eigentliche Botschaft. Tatsächlich kommt es wie üblich auf den Kontext an. Bei einer isolierten Betrachtungsweise wird man sich fragen, ob dieser Killer im Hippiehemd unbedingt ein Homosexueller mit dem Hang zu sehr jungen Männern sein musste? Gepaart mit Vagos Lust an der Gewalt wird die Homosexualität da schnell als Perversion verstanden. Etwas anders sieht es aus, wenn man berücksichtigt, dass Vago durch seine offen ausgelebte, in diesem Land und zu dieser Zeit unter Strafe stehende Sexualität erpressbar wird. Er ist dann eine aus einer ganzen Reihe von in das Mordkomplott verstrickten Personen, die zu Marionetten der Hintermänner werden, weil sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen stehen. Unter der Junta wurde sogar die Rockmusik verboten, mit der Vago assoziiert wird (in der deutschen Synchronfassung, die man nicht nur aus diesem Grund meiden sollte, ist sie durch eine Verballhornung von Theodorakis’ Kompositionen ersetzt).

Aus Sicht des Generals, für den es schon pervers ist, wenn ein Mann zum Ballett geht, ist einer wie Vago der perfekte Sündenbock, den man bedenkenlos opfern kann. Je homophober die Gesellschaft, desto mehr wird dieser Killer von den politischen Zusammenhängen ablenken. Wie meistens in Z sind die Dinge komplizierter, als es zunächst den Anschein hat. Trotzdem bleibt die Figur des Vago problematisch. Costa-Gavras kommt nicht umhin, mit Klischees zu arbeiten, damit man den Schwulen als solchen erkennt. Andererseits hat das Ganze etwas von einem Maskenspiel. Zuerst bedrängt Vago seinen Journalistenfreund, ihn in die Zeitung zu bringen. Als er merkt, dass das schlecht für ihn ausgehen könnte, will er nicht mehr genannt werden. Um nicht erkannt zu werden trägt er jetzt eine Brille mit schwarzem Rahmen zum Hawaiihemd. Dieser brutale Mörder ist auch ein großes Kind. Costa-Gavras ist nicht der Regisseur, der uns die Täter als eindimensionale Bösewichte präsentiert, wenn sie die Werkzeuge der Macht sind, die kleinen Rädchen im Getriebe.

Letztlich ist auch der incognito aus der Hauptstadt angereiste Generalstaatsanwalt eines dieser Werkzeuge. Wie Vago will er nicht erkannt werden und trägt deshalb eine Sonnenbrille wie ein CIA-Agent. Costa-Gavras hört mit diesem Herrn auf, statt die Spur zu den Hauptverantwortlichen weiter zu verfolgen, weil er sich auf die Rekonstruktion dessen konzentrieren wollte, was durch die Ermittlungsergebnisse des Untersuchungsrichters Christos Sartzetakis zu belegen war. Das hindert ihn nicht daran, uns ein paar Denkanstöße für weiterführende Überlegungen zu geben. Darin ist er sich einig mit Vassilikos. Der gern in Bildern sprechende Autor der Romanvorlage sagt in einem Interview, dass wir nur die Füße der Verschwörung sehen. Damit holt er pompöse Gestalten wie den General und den Generalstaatsanwalt vom Podest (diese beiden wären, um im Bild zu bleiben, auf Höhe der Fußknöchel zu finden, nur eine Fersenlänge vom keulenschwingenden Mob entfernt). Und er lenkt die Aufmerksamkeit auf die herrschende Klasse Griechenlands, die aufwärts von den Knöcheln kommt. Es geht da nicht um Individuen, sagt Vassilikos, sondern um die Gesellschaft, die sie geschaffen haben.

Respekt vor der Uniform

Der Untersuchungsrichter ist bei der geheimen Unterredung im Justizgebäude so wie immer. Er hört sich ruhig an, was der Generalstaatsanwalt zu sagen hat, präsentiert sachlich den Stand der Ermittlungen und schweigt, wenn man ihm vorschlägt, wie er sich jetzt verhalten könnte. Das steigert noch einmal die Spannung, weil der Druck weiter gewachsen ist und man als Zuschauer nicht sicher wissen kann, ob dieser Untersuchungsrichter das Recht weiter über die Interessen von Polizei, Regierung und Justiz stellen wird, auch wenn er dadurch als Linker gilt (und fortan so behandelt wird). Dann lässt er wieder Taten sprechen. Vier Uniformträger müssen in der Reihenfolge ihres Ranges in seinem Büro erscheinen, eine Aussage machen und das Protokoll unterschreiben. Das ist einer der emotionalen Höhepunkte von Z. Costa-Gavras unterlegt den Aufmarsch der ordensgeschmückten Offiziere mit einer ins Ironisch-Martialische gesteigerten Theodorakis-Komposition. Er gibt die Uniformträger der Lächerlichkeit preis, um sie ihres Nimbus der Unantastbarkeit zu entkleiden.

Costa Gavras: "Z"

Deutschen Kinogängern wollte man so viel Respektlosigkeit gegenüber der uniformierten Staatsautorität offenbar nicht zumuten. Der Musikersatz in der Synchronfassung klingt, als hätten die Obristen den Bearbeitern Geld geschickt, um den subversiven Drive der Situation abzutöten. Oder wollte die in München ansässige Synchronisationsfirma den mit der Junta sympathisierenden Franz Josef Strauß nicht verärgern, der die Obristen jüngst dafür gelobt hatte, die Drachme zur "heute stabilsten Währung der Welt" gemacht zu haben? Laut Bayernkurier hatte der Militärputsch eine "lang ersehnte Regierung" hervorgebracht, und einem Bericht des Spiegel zufolge hatte der CDU-Bundestagsabgeordnete Manfred Wörner - später Verteidigungsminister und NATO-Generalsekretär - die Bundesregierung anlässlich einer Griechenland-Reise zu "freundschaftlicher Kooperation mit der griechischen Regierung" aufgefordert. Solche der Vertiefung der freundschaftlichen Gefühle dienenden Informationsreisen zum Folterregime in Athen waren bei Unions- und FDP-Politikern, bei deutschen Wirtschaftsführern und einem Teil der Presse gleichermaßen beliebt. Organisiert und finanziert wurden sie von einer britischen Werbeagentur, die das Image der Junta aufpolieren sollte.

Ein Gutes hat die Verunstaltung ausländischer Kulturgüter durch deutsche Synchrontäter wenigstens: Der Vergleich mit der deutschen Fassung von Z belegt sehr eindrucksvoll, was für ein integraler Bestandteil - im Original - die Musik von Mikis Theodorakis ist. Hier sei noch einmal daran erinnert, dass der Komponist damals ein politischer Gefangener der Obristen war. Die Art, wie Costa-Gavras die am Komplott gegen Lambrakis beteiligten Offiziere am Nasenring durch die Manege führt und dazu die Musik des eingekerkerten Theodorakis spielt ist ein Triumph des widerständigen Kinos - und der Beweis dafür, dass man Kunst nicht wegsperren kann (und - es lebe die DVD! - auf Dauer auch nicht wegsynchronisieren).

Dreyfus war schuldig

Jeder von den vier Uniformträgern muss durch die Eingangshalle, wo die Reporter mit ihren Kameras auf sie warten. Der Oberst geht wie ein tapsiger Bär auf die Journalisten los, weil er es gar nicht fassen kann, dass er, der mächtige Chef der Sicherheitsbehörde, in eine solche Lage geraten ist. Nach dieser unfreiwilligen Slapstickeinlage (der auf Komödien spezialisierte Julien Guiomar läuft sich hier schon für seine Rolle als Gegenspieler von Louis de Funès in Brust oder Keule warm) muss er wie seine Offizierskollegen auf demselben Stuhl Platz nehmen wie zuvor Vago oder Barone, die gemeinen Kriminellen. Der Sekretär des Richters sitzt dabei und tippt alles in seine IBM-Schreibmaschine, die sich anhört wie das - ganz zivile und kein Blut kostende - Schnellfeuer einer Justizbehörde, die geduldig Munition gesammelt hat und mit dieser nun die Schuldigen zur Strecke bringt. Gedanklich kann man das Geräusch des Kugelkopfs "Elite" in die Redaktionen der Zeitungen verlängern. Dann kommen zur Gerechtigkeit noch Öffentlichkeit und Transparenz dazu. Alan J. Pakula nutzt den Effekt in seinem Watergate-Thriller All the President’s Men. Da begleitet er Richard Nixon auf dem Weg zum Rücktritt.

Costa Gavras: "Z"

Jedes Verhör endet mit der Mitteilung des Richters, dass für den Beschuldigten ein Haftbefehl ausgestellt wurde und höhere Offiziere vor der Vollstreckung ein Recht auf 24 Stunden in Freiheit haben. Dann zeigt er den Offizieren die Tür, durch die sie nach draußen kommen, ohne erneut der Presse zu begegnen. Der Hinterausgang führt durch ein Labyrinth von Korridoren, in dem die Herren, ob der Unbotmäßigkeit des Richters ganz orientierungslos geworden, unweigerlich gegen die erste, leider abgesperrte Tür rennen. Beim vierten Mal ist das noch immer ein erhebender Moment. Man sollte ihn in einen Leitfaden dafür aufnehmen, wie man die Mächtigen vom Sockel holt.

Als letzter der vier Offiziere kommt der General. Er hat so viel Lametta an der Brust, dass man sich wundert, wie sich der Mann aufrecht halten kann. Der General sieht nur zwei Möglichkeiten. Entweder, sagt er, er wird von allen Vorwürfen entlastet, oder er erschießt sich, zur Wahrung seiner Ehre (der echte General brachte eine Pistole mit, um die Drohung zu bekräftigen). Bei Costa-Gavras, dem Feind des falschen Pathos, gerät er damit an den falschen, und beim Untersuchungsrichter sowieso. Statt einer Antwort begrüßt er den General mit derselben Floskel wie die anderen davor: "Name, Vorname, Beruf." Die getönte Brille des Richters, die den Chef der Polizei von Beginn an irritiert hat, erweist sich nun als Augenbinde Justizias, die in diesem Fall tatsächlich blind ist, also fair und ohne Ansehen der Person ermittelt. "Name, Vorname, Beruf" wurde damals zur geflügelten Redewendung, zum Losungswort für den Eintritt in eine Welt, in der man die Großen doch nicht laufen lässt. Schade, dass es aus der Mode gekommen ist.

Für den General kann dieser Richter nur ein Kommunist sein. Nein, sagt sein Anwalt, er ist der Sohn eines Gendarmerieoffiziers. Der General versteht die Welt nicht mehr und rüttelt kurz danach an der verschlossenen Tür im Korridor. Inzwischen hat die Presse den Hinterausgang entdeckt und wartet da auf ihn. "Sind Sie ein Opfer der Justiz wie Dreyfus?", will Jacques Perrin mit einem Lächeln von ihm wissen. "Dreyfus war schuldig!", blafft der General zurück. Für einen wie ihn ist Ironie eine unbekannte Größe, weshalb Costa-Gavras sie so mag - als Feindin der Mächtigen.

Dem wenig würdevollen Abgang des Generals lässt er eine beinahe elysisch anmutende, nur mit ein paar einleitenden Bouzoukiklängen unterlegte Szene folgen. Ganz kurz befinden wir uns in einem Griechenland der Pastorale (in der deutschen Fassung ist die Szene akustisch mit etwas zugemüllt, das mehr mit Kaufhausbeschallung als mit Griechenland zu tun hat). Matt, der Mitstreiter des beim Attentat Ermordeten, läuft einen Hain am Meer entlang, um Hélène, der Witwe, die frohe Botschaft zu überbringen. Alle werden Sie angeklagt, sagt er, sogar der General. Der Richter hat keinen Rückzieher gemacht. Das ist eine Revolution. Die Regierung wird stürzen, die Extremisten werden weggefegt. Bei den Wahlen wird es einen Sieg wie einen Erdrutsch geben. Hélène kämpft mit ihren Gefühlen und schweigt. Was sollte sie auch sagen? Die Utopie ist in diesem Augenblick vorbei.

Costa Gavras: "Z"

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