"Name, Vorname, Beruf"

Seite 3: Ursache und Wirkung

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Es ehrt ihn, dass er nicht einfach Hollywood kopiert. Zu den Erfolgsrezepten des US-Kinos gehört der durch zumeist schlichte Ursache-Wirkungs-Muster strukturierte Plot. Costa-Gavras variiert das auf eine kreative Weise, die seinem Film Tempo und Spannung gibt. Ein Beispiel: Der Reporter verabschiedet sich von Pirou mit der Ankündigung, dass am nächsten Tag der Artikel über Barone erscheinen wird. Er geht und schließt von außen die Tür zum Krankenzimmer. Sofort geht sie wieder auf und Barone stürmt herein, der Pirou vorwirft, ihn zu Unrecht beschuldigt zu haben. Die Kamera setzt sich in Bewegung und zeigt uns das Krankenzimmer, in dem jetzt auch der Untersuchungsrichter sitzt. Ein verdeckter Filmschnitt hat uns von einem Tag zum anderen gebracht. Costa-Gavras packt da viel hinein und tariert es so geschickt aus, dass es bestens funktioniert: die Beschleunigung der Handlung durch den Zeitsprung, die Dramatik der Situation, die bewegte Kamera, die überraschende Präsenz des Richters.

Costa Gavras: "Z"

Alle Politiker seien Schweine, brüllt Barone, er sei nie bei der Demonstration gewesen und habe ein Alibi, aber durch den Bericht in der jeden Morgen aus der Hauptstadt eingeflogenen Zeitung stehe er jetzt als brutaler Schläger da. Das ist das klassische Muster, wenn auch schon umgedreht: Der Feigenverkäufer rennt wutentbrannt ins Krankenhaus und will den ihn beschuldigenden Pirou zur Rede stellen (Wirkung), weil er sein Bild auf der Titelseite der Zeitung gesehen hat (nachgereichte Ursache). Dumm nur, dass die Zeitung an diesem Morgen nicht geliefert wurde, weil das Postflugzeug nicht starten konnte, wie der Richter jetzt erklärt (eine der nicht eingeplanten Unwägbarkeiten, die das Lügengebäude der Verschwörer im Mordfall Lambrakis zum Einsturz brachten). Barone ist darauf nicht vorbereitet, aus dem Wüterich wird ein Häuflein Elend, ein Schauspieler ohne Regieanweisung. Der Regisseur ist der Mann im Hintergrund, dessen Namen Barone nicht nennen will und der ihn instruiert hat, mit dem Zorn des Gerechten seine Unschuld zu beteuern und ein falsches Alibi zu präsentieren, um weiteren Ermittlungen vorzubeugen.

Costa Gavras: "Z"

Erst fliegt die Charade auf, dann wird die Frage nach Ursache und Wirkung neu gestellt. Der Untersuchungsrichter nimmt sich den Feigenverkäufer zur Brust, um herauszufinden, wie es wirklich zu der Szene im Krankenzimmer kam. In Rückblenden sehen wir den Rücken des Mannes im Hintergrund, der Barone Anweisungen für seinen gespielten Wutanfall bei Pirou gibt und ihn, noch weiter in der Vergangenheit, instruiert, auf das eigentliche Opfer der Verschwörung einzuschlagen, den aus der Hauptstadt angereisten Doktor, weshalb der mit ihm verwechselte Abgeordnete jetzt im Krankenhaus liegt. In der letzten Rückblende dreht sich der Unbekannte zu uns um. Es ist der Oberst, der Sicherheitschef der Stadt und die rechte Hand des Generals, dem er als Mittelsmann zu CROC dient.

Natürlich hätte man das auf die traditionelle Weise erzählen können, mit der Ursache zuerst, in weniger Leinwandzeit und in chronologischer Abfolge der Ereignisse, und da auch das Attentat und das Drumherum nur eine Inszenierung ist tritt in der nächsten Szene der opportunistische Bezirksstaatsanwalt auf und ermahnt den Richter im Stile eines Filmproduzenten, die Ermittlungen nicht unnötig in die Länge zu ziehen, weil das nur der Opposition nützt und dieser Gelegenheit für subversive Aktionen gibt. Einleitend öffnet er den Vorhang seines Büros (oder ist das sein Wohnzimmer?), als hätte er gerade die neuen Muster studiert. Die Subversiven, die sich in Algerien zusammengefunden hatten, weil Z in traditionellen Filmländern nicht realisiert werden konnte, hatten bestimmt viel Spaß, als sie das drehten. Komplexe Ereignisse, würde Costa-Gavras dem Mann antworten, erfordern eine komplexe Betrachtungsweise, weil man sie sonst nicht verstehen kann.

Wie zur Bestätigung rekapituliert der Untersuchungsrichter die Ergebnisse seiner bisherigen Ermittlungen. Die einfache Version sei die, sagt er, dass zwei betrunkene Individuen den Doktor angefahren haben und er infolge eines Verkehrsunfalls gestorben ist. Das sei nicht länger haltbar. Nur wenn man davon ausgehe, dass es sich um einen von einer Gruppe ausgeführten Plan handelte, mit Billigung oder Unterstützung der Polizei, ergäben die einzelnen Elemente einen Sinn und die Sache wäre klar. Der Staatsanwalt hört das gar nicht gern. Nach wie vor favorisiere er die Unfalltheorie, meint er, aber nun müsse er doch den Minister anrufen. Dann nimmt er eine staatstragende Haltung an. François Périer, einer der vielen hervorragenden Schauspieler in diesem erstklassig besetzten Film, würzt das mit einer fein dosierten Hitler-Parodie. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass mich die Fauteuils in diesem Zimmer immer an die Polstersessel erinnern, in denen der Führer und seine Gäste auf dem Obersalzberg saßen. Costa-Gavras stellt da keine unzulässigen Vergleiche an. Er macht sich über Leute in wichtigen Positionen lustig, die zu lächerlichen Figuren werden, wenn die Dinge nicht so laufen wie erwartet. Das Lachen, sagt der Schriftsteller Rafik Schami, der aus Syrien geflohen ist, als dort noch der Vater des jetzigen Gewaltherrschers der Diktator war, sei die "Tankstelle des Widerstands". Costa-Gavras sagt das auch.

Alibi bestätigt

"Die Stadt, das Land, sogar die ganze Welt schauen auf uns und warten", sagt der Staatsanwalt. "Die Ehre unseres Landes steht auf dem Spiel." Nach dieser patriotischen Aufwallung setzt er sich wieder hin und gibt den Jovialen. "Ihre ganze Zukunft liegt noch vor Ihnen", ermahnt er den jungen Richter. "Dieser Fall kann Sie weit bringen … oder Ihre ganze Karriere zerstören." Am Anfang der Konferenz durfte Niki, die von Eva Simonet gespielte Tochter des Staatsanwalts, den Herren kalte Getränke servieren. Sie und Trintignant haben wir zum ersten Mal gesehen, als Périer nichts von einem geplanten Mordanschlag wissen wollte und Niki sich um den jungen Mann kümmern sollte, der gekommen war, um die Familie des Staatsanwalts zum Bolschoi-Ballett zu begleiten. Das fiel damals kaum auf, hatte aber eine Bedeutung, die jetzt verständlich wird. In diesem Raum, das Büro ist oder Wohnzimmer oder beides, lernen wir etwas darüber, wie Korruption und Vetternwirtschaft funktionieren. Wenn der Untersuchungsrichter darauf befindet, dass es doch ein Verkehrsunfall war, ist das gut für seine Karriere, er darf die Tochter des Bezirksstaatsanwalts heiraten und seinem Schwiegervater im Amt nachfolgen, wenn dieser pensioniert wird. Was den Monarchen mit ihren Erbfolgeregelungen und politischen Heiraten recht ist, kann den Bürgern nur billig sein.

Costa Gavras: "Z"

Der Staatsanwalt stellt seinen Schwiegersohn in spe als einen von den jungen Leuten im Land vor, die zu großen Hoffnungen Anlass geben. In diesem Staat sind das solche, die sich korrumpieren lassen. Zwischen öffentlichem Amt und privater Verbandelung ist da nicht mehr zu trennen. In der Szene ist mehrfach von Politik die Rede, weil auch diese nicht besser wird, wenn man sie als Familienangelegenheit betreibt wie in Griechenland. Aus Sicht des Films ist der Richter ein Hoffnungsträger, weil er sich nicht den bestehenden Verhältnissen anpasst, nicht die Tochter des Bezirksstaatsanwalts heiratet und sich nicht kaufen lässt. Ihm geht es um das Recht, nicht darum, durch willfähriges Verhalten Teil einer Familiendynastie zu werden.

Bei Costa-Gavras hat auch der Dekor einen politischen Gehalt. Darum führt er uns aus dem großbürgerlichen Salon des Staatsanwalts direkt in das spartanisch ausgestattete Büro des Richters: ein Schreibtisch, ein paar Stühle, Akten, ein Spiegel, der von einer früheren Nutzung des Gebäudes übrig ist. Hier wird das Private nicht mit dem Dienstlichen vermischt. So gibt die Ausstattung bereits eine Antwort auf die Frage, wie sich der Richter nun verhalten wird. Auf dem Vernehmungsstuhl sitzt der Chef von CROC, der die auch bei den Nazis so beliebte Metapher vom Staat als Körper bemüht wie der General am Anfang. "Wir sind ehrbare Bürger", sagt er, "gesunde Elemente der Gesellschaft, Antikörper im Kampf gegen alle Infektionen. Unser Ziel ist die Verteidigung unserer christlich-abendländischen Zivilisation." Aber das sei ein moralischer Kampf, fährt er fort, einer der Ideen. Niemand von CROC sei bei der Demonstration gewesen, wo man Oppositionelle verprügelt und den Doktor erschlagen hat.

"Wo waren Sie an diesem Abend", fragt der Richter. Die Antwort gibt im Gegenschuss ein anderes CROC-Mitglied, das dem Richter jetzt gegenüber sitzt. Das ist eine der Ellipsen, mit denen Costa-Gavras die Handlung beschleunigt und zugleich sein Kommentar zur Glaubwürdigkeit dieser Zeugen, die austauschbar sind, weil sie ihre Aussagen abgesprochen haben. "Ich war beim Schatzmeister der Hafenarbeitergewerkschaft", behauptet der Mann. "Alibi bestätigt", sagt der Assistent des Richters mit Blick in die Unterlagen. Einer hat mit seinem Bruder und ihrem Zahnarzt Karten gespielt. "Alibi bestätigt", sagt der Assistent. So geht es immer weiter. Der Bäcker hat bis Mitternacht im Laden seines Arbeitgebers geschlafen, einige waren gemeinsam in der Kneipe, "Alibi bestätigt", sagt der Assistent.

Costa Gavras: "Z"

Der Richter hört sich das alles ruhig an, bis einer auf dem Stuhl sitzt, der mit den Brüdern und dem Zahnarzt beim Kartenspiel gewesen sein will. "Alibi bestätigt", sagt der Assistent. Dann legt der Richter zwei der Photos auf den Tisch, die der Reporter noch machen konnte, bevor ihn der General wegschaffen ließ. Der Kartenspieler ist als einer von den Schlägern zu sehen. "Angeklagt wegen Falschaussage", sagt der Richter zu seinem Assistenten. "Zusammen mit denen, die sein Alibi bestätigt haben. Und wegen Behinderung der Justiz". Der Zeuge wird festgenommen und abgeführt. Das ist ein großartiger Moment, weil spätestens an dieser Stelle klar wird, dass der Untersuchungsrichter mindestens so trickreich ist wie seine Gegenspieler und er sich tatsächlich dagegen entschieden hat, der Schwiegersohn und Nachfolger des Bezirksstaatsanwalts zu werden. Jetzt geht es den Schuldigen doch noch an den Kragen, denkt man sich als Zuschauer. Die flotte Montage verstärkt das Gefühl, dass die Gerechtigkeit nun Fahrt aufnimmt. Bevor das zu euphorisch wird, lassen Drehbuch und Regie einen Dämpfer folgen. Der nächste Zeuge kann nicht kommen, weil er gestorben ist. Der Mann, dessen Lokal den Rechtsextremen als Versammlungsort diente, wurde Opfer eines Herzanfalls. Zumindest ist das der amtliche Befund.

Allgegenwärtige Vergangenheit

Der große Schauspieler und Theaterregisseur Jean Dasté flog mit Costa-Gavras nach Algerien, um eine der Nebenrollen zu übernehmen. Dastés Filmkarriere begann in den 1930ern, als er mit Jean Renoir (Boudou - sauvé des eaux, Le crime de Monsieur Lange, La grande illusion) und Jean Vigo (Zéro de conduite, L’Atalante) zusammenarbeitete. In Z ist er als Ilya Coste zu sehen. Dem Mann merkt man an, dass er schlimme Dinge erlebt hat und bemüht ist, daran nicht zu zerbrechen. Shoula, der Aktivistin von den Freunden des Friedens, gelingt es erst nach viel Zureden, ihn zu einer Aussage zu bewegen. Den Behörden gegenüber ist Coste extrem misstrauisch. Schließlich erzählt er dem Richter, was er zur Aufklärung beizutragen hat. Coste fährt beruflich einen Kleintransporter wie Yago, mit dem er am Tag des Mordes ein Bier getrunken hat (in der Rückblende sind Kästen der Brauerei Fix hinter den beiden aufgestapelt).

Costa Gavras: "Z"

Coste hat gesehen, wie Yago sich mit dem Chef von CROC und dem Oberst traf, und von ihm persönlich gehört, dass er den "Transport" eines aus der Hauptstadt erwarteten Abgeordneten übernehmen sollte. Dafür brauchte Yago einen Knüppel. Eine Überprüfung des neuen Zeugen ergibt, dass Coste im Zweiten Weltkrieg Mitglied in der kommunistischen Untergrundbewegung war. Nach dem Krieg wurde der ehemalige Widerstandskämpfer als Staatsfeind verfolgt und in eines der Umerziehungslager auf den Inseln gebracht. Dieses oder ein ähnliches Schicksal erlitten Tausende von Griechen, weil jeder, der mit linken Gruppen gegen die deutschen Besatzer gekämpft hatte, kein Nationalist war und keinen König wollte, aus Sicht der Rechten ein gefährlicher Kommunist sein musste. Dahinter steckt eine verquere Logik, die Vassilikos in seinem Roman genauer durchleuchtet:

Hitler führte Krieg gegen die Sowjetunion. Hätte ihn der Westen dabei unterstützt, statt sich mit den Russen zu verbünden, wäre das kommunistische Problem längst erledigt (eine Überlegung, der auch gewisse US-Militärs etwas abgewinnen konnten). Folglich waren die ehemaligen Nazikollaborateure jetzt die Guten (nach einer kurzen Übergangszeit, in der sie mit Strafverfolgung rechnen mussten wie der Chef der Verteidiger des christlichen Abendlands). Griechen, die als Mitglieder einer kommunistischen Gruppe oder einfach nur an deren Seite gegen die Nazis gekämpft hatten (die Kommunisten waren am besten organisiert und am effektivsten), gehörten zu den Bösen. Dasselbe galt für politisch Engagierte wie Grigoris Lambrakis, der sich als Humanist einem linken Bündnis anschloss, weil er glaubte, so seine Ziele am ehesten verwirklichen zu können. Damit war er ein "Kommunist".

Coste, auch "Kommunist", ist für Z (den Film) ein wichtiger Zeuge, weil seine Beobachtungen eine Lücke in der Rekonstruktion der Verschwörung schließen. Der Untersuchungsrichter ist klug beraten, wenn er auf ihn verzichtet, weil man sich in den Gerichtssälen dieses Landes nur schadet, wenn man einen der nach dem Krieg pauschal als "Kommunisten" diffamierten Republikaner als Zeugen aufruft. Nach dem Erscheinen seines Romans gab Vasilikos dem französischen Fernsehen ein Interview. Die Ereignisse in Griechenland, sagt er, haben ihre Wurzeln im Zweiten Weltkrieg und im Bürgerkrieg. Die Leute reden noch darüber, als wäre es erst gestern passiert. Vassilikos wirkt selbst ein wenig ratlos, als er das sagt.

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