"Name, Vorname, Beruf"
Seite 5: Unterdrückung durch Abhängigkeit
- "Name, Vorname, Beruf"
- Glückliche Hellenen
- Ursache und Wirkung
- Erdrückende Beweislast
- Unterdrückung durch Abhängigkeit
- Rädchen im Getriebe
- Doch keine Gerechtigkeit
- Auf einer Seite lesen
Im Laufe der Ermittlungen werden Täter und Anstifter identifiziert, vor allem aber bringt die Untersuchung des Richters (und die Recherche des Reporters) eine von Korruption und Vetternwirtschaft zerfressene Gesellschaft zum Vorschein. Wie geschickt der Film konstruiert ist kann man an Ilya Coste und Yago sehen. Der eine ist ein Linker, der andere gehört zur rechtsextremen Organisation CROC. Verbunden sind die beiden außer durch das Bier, das sie gemeinsam trinken, durch die Art, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen und durch den Oberst von der Polizei als Vertreter einer Staatsgewalt, die den einen, Coste, in ein Umerziehungslager für politische Gefangene deportiert hat und den anderen, Yago, zum Mord an einem demokratisch gewählten Abgeordneten anstiftet.
Beide, Yago und Coste, machen Transporte mit einem dreirädrigen Kleinlaster. Dafür brauchen sie eine vom Oberst ausgestellte Lizenz, die alle sechs Monate erneuert wird - oder eben nicht. Das ist die dunkle Seite des legendären griechischen Führerscheins, den man sich kauft, indem man einem Beamten ein paar Geldscheine zusteckt. Auf den ersten Blick ist das ein Geschäft zum Vorteil beider Seiten. Der bestochene Beamte bessert sein Gehalt auf, der Käufer spart sich das Geld für die teure Fahrschule, und man lebt gemeinsam in einem Staat, in dem nicht immer alles bürokratischen Regeln unterworfen ist. Was aber, fragt Costa-Gavras (der selber keinen Führerschein bekommen konnte, weil sein Vater ein früherer Widerstandskämpfer und also "Kommunist" war), wenn man rechtlos und den Launen des Beamten ausgeliefert ist, wenn man seinen Wünschen entsprechen muss oder sehen, wo man sonst bleibt? Dann wird aus dem südländischen, das Leben angenehmer gestaltenden Laisser faire ein Netz von Abhängigkeiten und im schlimmsten Fall ein Unterdrückungssystem.
Yago ist doppelt abhängig, weil sein Kleinlaster der Bank gehört und er seine Existenzgrundlage verliert, wenn er den Kredit nicht abstottern kann. Der Verbindungsmann zum Oberst ist der Chef von CROC, der verspricht, die ausstehenden Raten zu bezahlen, wenn Yago tut, was man ihm sagt. Dieser ehemalige Nazikollaborateur mischt auch in den Docks mit. Hafenarbeiter haben es schwer, einen Job zu finden, wenn sie nicht zu den Treffen von CROC gehen. Costa-Gavras hätte sicher nichts dagegen, wenn einem hier ein Film seines Vorbilds Elia Kazan einfällt. In On the Waterfront spielt Lee J. Cobb einen korrupten Gewerkschaftsboss, der Marlon Brando auf eine schwarze Liste setzt. Wer nicht mitmacht hat verloren.
Nichts von dem macht die Taten von Yago, Vago und den anderen kleinen Lichtern in der Organisation der Rechtsextremen irgendwie besser. Aber man sieht sie doch mit anderen Augen, wenn sie in einer Rückblende bei einem CROC-Treffen sitzen. Diese Männer, die sich da herumlümmeln, sind nicht nur die eindimensionalen Schläger, die wir zuvor in Aktion erlebt haben. Barone, der wie von Sinnen auf den Abgeordneten Pirou einprügelt, weil er ihn mit dem Doktor verwechselt hat, dem eigentlichen Opfer des Attentats, schlägt bei dem Treffen vor, die Buchhandlung um die Ecke zu demolieren, als der CROC-Chef gegen Intellektuelle hetzt. Dem Untersuchungsrichter gegenüber gibt er zu, dass er kaum lesen und schreiben kann. So wird aus dem Täter auch ein Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse. In diesem vielschichtigen Film ist er sogar da ein Opfer, wo er Täter ist, weil er sich gegen diejenigen aufhetzen lässt, die an diesen Verhältnissen etwas ändern wollen und mehr Geld für Bildung und Gesundheit fordern (zu Lasten des Sicherheitsetats, mit dem ein Staat im Staate finanziert wird).
Der in seiner Freizeit so brutale Barone ist sonst ein freundlicher Obstverkäufer und wird ganz zärtlich, wenn er bei den Singvögeln sein kann, die er auf dem Dach hält (wie Marlon Brando in On the Waterfront seine Tauben). Den Nachbarn geht das Gezwitscher auf die Nerven. Ob die Vögel bleiben dürfen oder nicht bestimmt die Polizei. Der Oberst will sich für Barone einsetzen, wenn er tut, wie ihm geheißen. Als Feigenverkäufer braucht Barone eine Lizenz. Das kennen wir schon von Yago. Der Oberst muss die Lizenz alle sechs Monate verlängern und deutet an, dass er sie unbefristet ausstellen kann, wenn er das will. Die Gewalt entsteht aus einer Kombination von sozialem und wirtschaftlichem Druck, Korruption, Bildungsferne, persönlichem Vorteilsstreben und einer mit Feindbildern operierenden Ideologie, die den Rahmen vorgibt, innerhalb dessen sich die Hemmschwelle immer weiter absenkt. Am Ende liegt der Abgeordnete Pirou schwer verletzt im Krankenhaus, und der Doktor, sein Kollege aus dem Parlament, ist tot.
Schmierentheater auf der Isolierstation
Beim Sarglackierer Nick, der von CROC-Leuten niedergeknüppelt wird, weil er gegen Yago aussagen will, schlägt die Aufdeckung korrupter Strukturen vorübergehend ins Komödiantische um, weil Costa-Gavras solche Gelegenheiten gerne nutzt, um die Stimmung aufzuhellen. Z sollte ein populärer Politthriller werden, kein bierernstes Agitprop-Stück, dies jedoch, ohne sich beim Publikum anzubiedern. Es gibt eine komische Szene mit Magali Noël (vorher u. a. in Fellinis La dolce vita und Helmut Ashleys Mörderspiel zu sehen) als Nicks Schwester. Wie eine Furie stürmt sie in den Krankensaal. Das erinnert an Barone, der wutentbrannt in das Krankenzimmer von Pirou eindringt, weil andere ihn dazu angeleitet haben. Immer, wenn die Charaktere ein übermäßig theatralisches Verhalten zeigen, liegt der Verdacht nahe, dass sie eine von den Hintermännern vorgegebene Rolle spielen. Die Verschwörer, sagt der Film, agieren auf dem Niveau des Schmierentheaters.
Mir fällt dazu die Witwe von Lambrakis ein. Z wurde für mehrere Academy Awards nominiert. Zur gleichen Zeit verklagte die Witwe die Produzenten, Jacques Perrin und den Algerier Ahmed Rachedi. Gregory Peck, damals Präsident der Academy, sagte dem schließlich leer ausgehenden Costa-Gavras (nominiert als bester Regisseur und zusammen mit Jorge Semprún für das beste adaptierte Drehbuch), dass ihm die Klage bei der Abstimmung sehr geschadet habe. Zwei Oscars gingen dann doch an Z: für den besten Schnitt (Françoise Bonnot) und als bester fremdsprachiger Film (eingereicht von Algerien, weil Frankreich Meine Nacht bei Maud von Eric Rohmer ins Rennen geschickt hatte). Die Witwe von Lambrakis war inzwischen mit einem Offizier der griechischen Armee liiert, hatte also gewissermaßen die Seiten gewechselt. Man kann nur darüber spekulieren, ob sie aus eigenem Antrieb gegen den Film klagte (wegen geänderter Loyalitäten oder auch, weil Yves Montand seine Frau betrügt) oder ob sie sich von der Junta instrumentalisieren ließ.
Der General und der Oberst jedenfalls schicken die Schwester vor. Zur Betonung der Farce gibt ihr Costa-Gavras eine Handtasche mit, denn es ist das kleinbürgerliche Glück der Hausfrau, das die Furie verteidigen muss wie in einer Boulevardkomödie. Die Schwester warnt ihren Bruder, dass er wegen Meineids im Gefängnis landen wird, um dann zum Punkt zu kommen. Nick schadet seinem Schwager, wenn er bei seiner Aussage bleibt, dass Yago ihm von dem geplanten Attentat erzählt hat und er auf dem Weg zum Untersuchungsrichter niedergeschlagen wurde. Die Schwester war nicht dabei, weiß aber, wie es gewesen sein muss und sagt das auch dem Journalisten, damit er endlich die "Wahrheit" schreibt: Nick hatte einen epileptischen Anfall, oder er ist ausgerutscht (auf einer Orangenschale, schlägt seine Mutter vor), oder die Linken haben ihm auf den Kopf geschlagen, um Unfrieden zu stiften. Epilepsie oder linke Verschwörung, das sind die Theorien der Polizei. Wenn Nick nicht einlenkt muss der Schwager fürchten, seinen Polizistenjob zu verlieren, den er nur erhalten hat, weil er CROC beigetreten ist. Die Schwester ist mittlerweile so außer sich, dass sie zugibt, selbst Mitglied von CROC zu sein, der Vorteile wegen.
Damit geht sie wieder ab. Das ist jetzt gar nicht mehr so lustig, weil wir weitere Einblicke in einen Staat bekommen haben, der auch die familiären Strukturen korrumpiert. Man kann dazu Das Gebot lesen, Dido Sotirius Buch über Nikos Beloyannis. Dort wird nachgezeichnet, wie das starke Zusammengehörigkeitsgefühl, das die Mehrzahl der Griechen unter der deutschen Besatzung verband, in der Nachkriegszeit zerbrach. Die Schwester in Z zögert erst, ihren Bruder für verrückt zu erklären, wäre dann aber doch bereit, sich an Belastendes aus der gemeinsamen Kindheit zu "erinnern", wenn man Nick nur so zum Schweigen bringen kann. Der grotesk leere, nur für den wichtigen Zeugen reservierte Krankensaal ist Teil der Farce und zugleich Ausdruck der Vereinsamung. Wer den Mut hat, bei einer für die Polizei unangenehmen Wahrheit zu bleiben, wird isoliert. Nick bleibt trotzdem bei seiner Aussage.
Bevor das zu heroisch wird schiebt Costa-Gavras die Information nach, dass der Sarglackierer nicht nur bei der Aufklärung des Attentats helfen will. Nick neidet Yago dessen Bild in der Zeitung. Der Reporter verspricht ihm Photos und Schlagzeilen für eine ganze Woche. Costa-Gavras ist alles Pathetische ein Graus. Auch die Presse ist davon nicht ausgenommen. Paradoxerweise ergibt sich daraus ein starkes Statement für die Pressefreiheit. Die Wahrheit kommt nicht ans Licht, weil der Reporter ein diese wie eine Monstranz vor sich hertragender Heiliger ist, sondern weil er, ganz pragmatisch, den Beruf ausübt, mit dem er seinen Lebensunterhalt verdient. Aus der anfänglichen Sensationsgier wird dabei ganz allmählich ein Gefühl für die gesellschaftliche Verantwortung der Medien. Die Charaktere, die uns der Film als Identifikationsfiguren anbietet, sind nicht perfekt. Insgesamt aber, sagt Costa-Gavras, soll der Zuschauer den Eindruck haben, dass das anständige Menschen sind.
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