Nano. Für viele noch sehr cool...

Nach der Gentechnik ist die Nanotechnologie der aktuelle Hype in Technik und Wirtschaft - und damit das nächste gesellschaftliche Problem

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In der ökonomisch an die Kandare genommenen Technik lernt man nicht mehr aus geschichtlichen Erfahrungen - und die Verbraucher vergessen ebenfalls schnell, hat es den Anschein. Der Einsatz von Nanotechnologie gewinnt langsam an Boden. An größere Vorsichtsmaßnahmen, oder an einer intensiven Risikoabschätzung und Technikbewertung, wie es Aufgabe der staatlichen und gemeinschaftsstaatlichen (EU)-Administrationen wäre, wird derzeit wenig gedacht.

Emotional aufgeladene Verbraucher

Machen wir zuallererst einen Blick auf die aktuelle Verbraucherwahrnehmung. Verbraucher, die von Nanotechnologie schon etwas Näheres gehört haben – allerdings: rund 50 % haben das nicht –, klingen hier durchaus glücklich, sie gehen auch emotional an die Sache heran. Bei Oberflächenveredelungen oder bei Kleidung wären mehr als drei Viertel der deutschen Verbraucher und Verbraucherinnen kaufbereit, bei Lebensmittel allerdings sind die Konsumenten erheblich skeptischer, die Kaufbereitschaft ist da nur noch 20 %.

Die Befragten schätzen Nanotechnologie als technische Entwicklung, die in vielen Lebensbereichen Verbesserungen bringen wird. Zwei Drittel versprechen sich von Nanotechnologie mehr Nutzen als Risiken...

Rolf F. Hertel,: Wahrnehmung der Nanotechnologie durch Verbraucher, 2. Karlsruher Lebensmittelsymposium 28/29. 2. 2008, und Presseinformation des Bundesinstituts für Risikobewertung

Mit Gutgläubigkeit reagiert also der schlecht wahrnehmende und schnell vergessende Verbraucher auf die in den Medien von Industrie und Medien gehypten Versprechen.

Überforderte Verbraucherorganisationen?

Auch die Verbraucherorganisationen sind hier bislang zurückhaltend geblieben. Bei aller Skepsis sollten wir die Vorteile für den Verbraucher nicht vergessen, das schien bisher das Motto zu sein. Kennzeichnung: jedenfalls Ja (das entspricht der neoliberalen EU-Politik), lautstarken Widerstand gab es unter den europäischen Verbrauchereinrichtungen nicht.

Ein Umdenken scheint sich jedoch anzubahnen. Mit der Tagung Im Reich des Winzigen: Nanotechnologien unter der Lupe der vzbv (Verbraucherzentrale Bundesverband ) am 6. Mai 2008 in Berlin, scheint ein Umdenken zu beginnen.

Technikfreundlichkeit

Schnell vergessen die Menschen in diesen rasanten und globalisierten Zeiten. Irgendwie ähneln sich die Verhältnisse. Nur als ein Beispiel: Asbest. Dieses natürlich vorkommende Mineral wurde als Asbestzement Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem als Baustoff (Dachziegel, Verkleidungen, Markenname „Eternit“) immer breiter eingesetzt, da er viele eifrig beworbene Vorteile aufwies: feuerfest, isolierend, witterungsbeständig, preiswert. Erst Jahrzehnte später wurden die Probleme in der breiteren Öffentlichkeit bekannt (Asbestose durch die Fasern, bis hin zu Lungenkrebs). Seit Ende der 70er Jahre ist die Verwendung von Asbestzement mittlerweile EU-weit verboten. In vielen älteren Gebäuden steckt er aber noch immer drin, Beseitigung und Entsorgung sind aufwendig und mühsam.

Was sich mit der Technikeuphorie und den wenig entwickelten Vorsorgeprinzipien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vielleicht noch irgendwie entschuldigen lässt, gilt allerdings heute noch immer. Nanotechnologie wird emsig gepusht, klar, sie wird von der Industrie als Milliardengeschäft gesehen (vgl. Nano-Ethik) und ebenso von den öffentlichen Stellen wie etwa dem Bundesministerium für Bildung und Forschung. Aber wie groß die Risken für Umwelt und Mensch damit sind, weiß man nicht. Und will man offenbar auch nicht wissen.

Die Technik

Nanotechnologie beruht auf dem Einsatz kleinster (unter 100 Nanometer [1 Nanometer ist ein Millionstel Millimeter]) Partikel. Sie können durch Lösungen oder aus Vergasung hergestellt werden.

Das Interessante an diesen Teilchen ist, dass sie durch ihre Kleinheit eine enorm vergrößerte Oberfläche und damit regelmäßig ganz andere Eigenschaften als der konventionelle Ausgangsstoff haben. Genau das scheint sie für die Konsumgüterproduktion – sowohl Lebensmittel wie Nichtlebensmittel - zu einer Wunderwaffe zu machen. Während der Einsatz bei Lebensmittel noch in der Anfangsphase steckt, gibt es sie schon bei Kosmetika, bei Wachsen und als Beschichtungen.

Die Probleme

Solange Nanopartikel – ähnlich wie Asbest – fest gebunden sind, gibt es, außer bei der Produktion, vorerst einmal keine Probleme. Allerdings können sie freigesetzt, auf die Haut aufgetragen oder gegessen, Probleme verursachen. Eingeatmet, als Lebensmittel aufgenommen, durch die Haut oder Schleimhaut aufgenommen, gelangen sie in den Körper eines Lebewesens und bewegen sich, über das Blut in diesem Körper verteilt, irgendwohin. Sie mögen sich im Gehirn oder in Organen sammeln und es mag für jeden Stoff auch anders sein – Näheres weiß man nicht.

Klar ist daher, dass Experten ohne Tunnelblick wie etwa Georg Karlaganis, aus dem schweizerischen BAFU (Bundesamt für Umwelt) meint, dass die Anwendungsforschung zwar erheblich gefördert wird, „aber es gibt kaum Geld für die Risikoforschung. Wir würden darum ein Nationales Forschungsprogramm zu möglichen Nebenwirkungen und Risiken der Nanotechnologie sehr begrüssen.“

Umweltgruppen sehen das ähnlich. Eine Linksammlung von kritischen Naturwissenschafter findet sich hier.

Lösungen

Zwar hat die European Food Safety Authority (EFSA) eine Working Group zum Thema eingerichtet und einen Hilferuf um wissenschaftliche Daten publiziert, aber ob dies zu nachhaltigen Ergebnissen führen wird, ist eine andere Sache.

Die EU-Kommission hatte im Februar 2008 als Empfehlung einen Verhaltenskodex zum Umgang mit Nanotechnologie und Nanoscience publiziert, der aber der Sache nicht gerecht wird. Sinnvoll kann es hier nur mit rechtlichen Vorgaben weitergehen: Wer Produkte mit Nanotechnologie produziert, sollte in Anbetracht der geografisch breit streuenden und für die den Planeten noch bevölkernden Lebewesen möglicherweise verheerenden Risken, dies nur mit einem Zulassungsverfahren dürfen. Eines, das analog der Arzneimittelzulassung abläuft, wobei hier auch der Produktionsbereich und die Ökologie einzubeziehen wäre. Eine Deklaration allein, dass in einem Produkt Nano drin ist, reicht nicht, da die Risken aus der Anwendung Unbeteiligte und darüber hinaus die gesamte Umwelt treffen können.