"Natürlich gibt es militärische Lösungen"

Seite 2: Tanzende Studenten statt Putsch

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Ebenfalls bei der Debatte anwesend war Oleh Mirus, Gesandter der ukrainischen Botschaft in Deutschland. Er vertrat seinen Vorgesetzten, Botschafter Andrij Melnyk, der kurzfristig abgesagt hatte. Mirus sprach von einer fehlenden gemeinsamen Erinnerungskultur in Russland und der Ukraine. Dies sei auch ein Grund für die Kämpfe in der Ostukraine. Russland betrachte die Kämpfer im Donbass als Nachfolger der anti-faschistischen Kämpfer im Zweiten Weltkrieg und die Kiewer Machthaber als "Nachfolger Banderas". Das ist aber alles Propaganda, erklärte Mirus.

Der Maidan sei kein Bandera-Putsch gewesen, sondern eine Demonstration von Studenten für ihre europäische Zukunft. Der damalige Präsident Janukowitsch habe diese auf telefonische Anweisung Wladimir Putins blutig unterdrückt, wusste der Botschaftsrat zu berichten. Doch Linke und Rechte, Juden und Ukrainer hätten unter schweren Opfern "Seite an Seite" gegen Janukowitsch gekämpft. Dieser habe dem nicht "standgehalten" und sei geflohen.

Die gewaltsame Dauerokkupation öffentlichen Raums und öffentlicher Gebäude in Kiew und der Westukraine, teils schwer bewaffnete Maidan-Kämpfer, getötete Polizisten oder die verfassungswidrige Absetzung des gewählten Präsidenten kommen in seiner Erzählung vom Maidan nicht vor (Der Putsch, der keiner sein darf).

Wladimir Putin habe schließlich das Machtvakuum nach dem Maidan genutzt, um die Krim zu annektieren, erklärte der Gesandte weiter. Putin habe die schutzlose Ukraine "missbraucht". Gleichzeitig habe die "russische Propaganda" die Ostukrainer anti-westlich erzogen. Überhaupt herrscht in Russland eine "Psychose des Antiamerikanismus", so der gelernte Geograf und frühere Zeitungskorrespondent Mirus.

SS-Massaker

Anlass der Diskussion in Hannover war neben dem Antikriegstag die Eröffnung einer Fotoausstellung im Neuen Rathaus1 zum Massaker der SS im französischen Ort Oradour-sur-Glane im Juni 1944. 642 Dorfbewohner, darunter mehr als 200 Kinder, hatte die SS damals umgebracht und anschließend das gesamte Dorf angezündet. Die steinernen Reste sind heute ein Mahnmal.

Kein Thema bei der Debatte waren die Parallelen des Massakers zu ganz ähnlichen Vorkommnissen während des Zweiten Weltkrieges in der Ukraine. Neben unzähligen Massenerschießungen von jüdischen Ukrainern und Ukrainerinnen durch die SS gab es im heute westukrainischen Dorf Huta Pieniacka 1944 quasi eine Kopie des Massakers von Oradour-sur-Glane.

Damals ermordete die SS in Huta Pieniacka mehrere hundert Bewohner des Dorfes und brannte die Siedlung anschließend nieder. Der Ort war damals jedoch eine polnische Siedlung und die Täter ukrainische SS-Soldaten von der Freiwilligen-Division "Galizien".2 Vielleicht war dies der Grund, warum der historisch durchaus beflissene Gesandte3 den gleichartigen Vorfall nicht erwähnte. Ein bemerkenswertes Detail: Das Truppenkennzeichen der SS-Division "Das Reich", welche das Massaker in Oradour anrichtete, war die Wolfsangel. Sie ist bis heute ein unter Rechtsradikalen genutztes Symbol, das sich besonders in der Ukraine großer Beliebtheit erfreut: So etwa beim Freikorps "Asow", das im Bürgerkrieg in der Ostukraine aktiv ist.

Auf die Rechtsradikalen in der Ukraine angesprochen, sagte Mirus, diese hätten "viel für die Verteidigung des Vaterlandes geleistet". Trotzdem hätten Pravij Sektor und Swoboda nur wenige Wählerstimmen. Und schließlich: "Was sollen wir tun? Wir haben Meinungsfreiheit in der Ukraine." Die Angriffe dieser Militanten auf das Parlament in Kiew mit drei Toten am Montag machte der Diplomat nicht zum Thema.