Neonikotinoide: Das lukrative Geschäft mit den Ackergiften

Seite 2: "Insektenschutzgesetz" mit vielen Ausnahmeregelungen

Im Juni 2021 wurde der Insektenschutz erstmals in einem Bundesgesetz geregelt und durch eine Verordnung zum Pflanzenschutz ergänzt. Nach langer Diskussion einigten sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) mit den Agrarministern der Länder auf folgende Kernpunkte: Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Herbiziden in bestimmten Schutzgebieten und entlang der Randstreifen von Gewässern muss deutlich reduziert werden. In den Naturschutzgebieten sind Pflanzenschutzmittel grundsätzlich verboten.

Das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat soll ab 2024 verboten werden. Dass die EU-weite Zulassung des Wirkstoffs Glyphosat im Dezember 2022 ausläuft und von diesem Zeitpunkt an eine einjährige Abverkaufsfrist gelten soll, war allerdings schon lange vorher entschieden worden. Und ein Antrag auf Verlängerung des Wirkstoffs liegt bei den zuständigen Behörden bereits auf dem Tisch.

Der Einsatz von Glyphosat im Ackerbau und auf Grünland darf künftig nur noch erfolgen, wenn es keine besseren Alternativen dazu gibt. Verboten ist Glyphosat auch auf öffentlichen Flächen sowie in Haus- und Kleingärten. Allerdings bittet der Bundesrat die Regierung um zusätzliche Vorschläge zum Schutz und zur Stärkung der Artenvielfalt, unter anderem durch noch stärkere Reduktion von Pflanzenschutzmitteln. Im Aktionsprogramm vorgesehen sind auch sogenannte Refugialflächen. Demnach dürfen besonders schädliche Pestizide nur dann auf einer Fläche eingesetzt werden, wenn zusätzlich eine Rückzugsfläche für Insekten vorhanden ist.

Verboten werden in Naturschutz- und vergleichbaren Schutzgebieten lediglich Herbizide und Insektizide, die als gefährlich für Bienen oder andere bestäubende Insekten eingestuft werden - auch in den europarechtlich geschützten Fauna-Flora-Habitat-Gebieten, kurz FFH-Gebieten. Die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln betrifft somit nur 0,5 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Obst-, Gemüse-, Weinbau und Sonderkulturen sind von den Regelungen ausgenommen.

Unterm Strich seien weniger Flächen von dem neuen Gesetz betroffen als ursprünglich angedacht, freut sich Eberhard Hartelt, Präsident des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Pfalz. Er begrüßt zudem, dass betroffene Landwirte einen finanziellen Ausgleich bekommen. Nur so könnten zusätzliche Kosten und Einkommensverluste durch die Einsparung von Pestiziden ausgeglichen werden. Immerhin will der Bund für diesen Zweck im kommenden Jahr 65 Millionen Euro ausgeben. Dafür stocken die Länder die Summe auf insgesamt 250 Millionen Euro auf. Allerdings dürfen die einzelnen Bundesländer abweichende Regelungen treffen.

Bienentod im Rheintal

Insgesamt seien die Maßnahmen zu wenig effektiv, kritisiert der Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Es brauche eine allgemeine Strategie zur Pestizid-Reduktion in der gesamten Agrarlandschaft sowie naturnahe strukturreiche Landschaften mit artenreichen Lebensräumen. Zehn Prozent der Flächen aus der Agrarlandschaft sollen unbewirtschaftet bleiben, fordert der Nabu.

Da wirkt die Ankündigung des Nabu Rheinland-Pfalz, Pestizidspritzungen in Naturschutzgebieten unterstützen zu wollen, um den Obstbau zu erhalten, etwas irritierend. Seine Obstplantagen könne er nur dann weiterbetreiben, wenn das Spritzen gegen Schädlinge weiter erlaubt bliebe, erklärt Tobias Diehl, der im Rheintal Plantagen mit Mirabellen, Zwetschgen und Süßkirschen bewirtschaftet. Nach eigenen Angaben legt der Obstbauer Blühflächen an, um den Insekten auch nach der Obstblüte genügend Nahrung zu bieten. In der Blütezeit stünden in seinem Gebiet 800 Bienenvölker, wie er behauptet.

Im Rheintal kam es bereits vor Jahren auf Grund von Ackergiften zu einem massenhaften Bienensterben. Hintergrund dafür war, dass im Frühjahr 2008 ein neuer Schädling die riesigen Maisfelder bedrohte. Um die Ernten zu retten, erlaubten die Behörden den Einsatz eines Wirkstoffs aus der Gruppe der Neonikotinoide. Von einem Moment zum andern hörten die Bienen auf zu fliegen, erinnert sich ein damals betroffener Imker in einem Interview mit dem Sender 3sat.

Mehr als 500 Millionen Tiere starben einen qualvollen Tod. Bei der Aussaat hatte sich damals das rote Pestizid von den gebeizten Maiskörnern gelöst und war in die Umwelt gelangt. Das zuständige Landwirtschaftsamt machte zunächst die Sämaschinen für die falsche Ausbringung verantwortlich. Im selben Atemzug wurde ein Verbot für Neonikotinoid-Produkte zur Behandlung von Mais angeordnet.

Bayer bot den Imkern eine Soforthilfe von 2,2 Millionen Euro an. Bedingung war, dass sie sämtliche Schadensersatzansprüche an das Land Baden-Württemberg abtraten. Bis heute liefern Bayer und Syngenta Insektizide in mehr als hundert Länder und verdienen damit Milliarden Euro. Allein in Deutschland wurden von 1992 bis 2017 rund 3700 Tonnen der Wirkstoffe verkauft.

Nehmen die Bienen geringe Dosen der Wirkstoffe zum Beispiel in Rapsfeldern auf, sterben sie zwar nicht sofort daran, erklärt Bienenforscher Randolf Menzel. Allerdings beeinträchtigen die Gifte ihre Gehirnfunktionen, so dass sie nicht mehr in ihre Bienenstöcke zurückfinden. Und das führt letztlich zu ihrem Tod.

Apfelbauern leiden unter dem Druck des Marktes

Mals, ein Dorf im Vinschgau, erklärte sich 2014 zur pestizidfreien Zone. Nicht nur die Gifte, auch das veränderte Landschaftsbild stört die Malser Bürgerinnen und Bürger. Zudem wollen sie verhindern, dass die Malser Heide mit Monokulturen zugepflastert wird. Für ihr Engagement erfahren sie großen Zuspruch aus dem Ausland. Von der einheimischen Apfel-Lobby allerdings werden sie eher angefeindet.

Denn auf den meisten Apfelplantagen in Südtirol werden bis zu 60 verschiedene gesundheitsschädliche Pestiziden gespritzt - bis zu zwanzig Mal pro Saison. Diese Pestizide wirken sich besonders negativ auf Bodenorganismen aus, weiß Johann Zaller von der Universität für Bodenkultur in Wien. In den konventionellen Apfelplantagen war die Vielfalt an Bodenorganismen deutlich geringer als im Bio-Apfelanbau, wie er beobachtete.

Die Stoffe sind vermutlich krebserregend, wirken hormonell, sind schwer Haut irritierend sowie umwelt- und gewässerschädigend. Vor Captan zum Beispiel, ein Wirkstoff, der mehrmals im Jahr gegen Pilzerkrankungen wie Apfelschorf gespritzt wird, warnt selbst die Zulassungsbehörde. Denn die meisten Apfelbauern in Südtirol unterwerfen sich den Mechanismen den Marktes.

Verpackung, Vertrieb und Marketing regeln die Genossenschaften für sie, denn das garantiert hohe Umsätze. Dazu kommen 34 Millionen Euro EU-Subventionen pro Jahr. So kostete der Neubau der Obstbaugenossenschaft im Vinschgau zehn Millionen Euro, 40 Prozent davon wurden von EU-Subventionen bezahlt.

Es werde 15 Mal pro Saison gespritzt, erklärt Obstbäuerin Andrea Ladurner im Interview mit dem ZDF. Makellos und perfekt sollen die Äpfel sein. Dabei sind natürlich gewachsene Äpfel nie makellos. Und Pilzkrankheiten und Apfelschorf beeinflussen weder Geschmack noch Vitamingehalt. Was, wenn man die Gelder für eine umweltgerechte Landwirtschaft nutzen würde? Dies würde die Apfelbäuerin sogar unterstützen, vorausgesetzt, es rechnet sich für sie.

Der Kreislauf der Ackergifte muss unterbrochen werden

Die Gesamtmenge der Pestizide müsse bis 2030 um 50 Prozent gesenkt, besonders gefährliche Pestizide verboten werden, fordert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). In einem Impulspapier hat er konkrete Punkte aufgelistet, wie der Ausstieg aus der Nutzung synthetischer Pflanzenschutzmittel gelingen kann.

Da wäre zum Beispiel die Idee, über finanzielle Anreize Agrochemikalien zu reduzieren, etwa über eine Pestizidabgabe oder die Zahlung von Prämien für pestizidfreie Äcker oder beides. Eine andere Forderung ist, den Ökolandbau innerhalb von zehn Jahren auf 25 Prozent zu erhöhen. Nicht zuletzt sollen mehr Gelder in die Erforschung nicht-chemischer Unkraut- und Schädlingsbekämpfung investiert werden. Beispiele dafür gibt es bereits: So werden Marienkäfer mit ihrem Appetit auf Blattläuse seit Jahren in der biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt.

Anfang November überreichten Vertreter von Umweltverbänden und der Bürgerinitiative "Bienen und Bauern retten" mehr als 450.000 Unterschriften an die designierte Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP. Mit ihrer Aktion erinnerten sie die Politiker daran, die Forderungen der Europäischen Bürgerinitiative in den Koalitionsvertrag mit aufzunehmen. Die neue Bundesregierung sei in der Pflicht, Landwirtschaft fair, sozial und ökologisch zu gestalten und endlich mit dem Ausstieg aus chemisch-synthetischen Pestiziden zu beginnen, heißt es in einer Erklärung. Dafür brauche es ein ambitioniertes Pestizidreduktionsprogramm.

Forderungen, Statements, Programme und Regelungen gibt es inzwischen genug. Jetzt braucht es nur noch den politischen Willen, sie auch in die Praxis umzusetzen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.