Netanjahus Vorwürfe gegen Iran: "Irgendwie irreführend"

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Der israelische Ministerpräsident wirft Teheran vor, dass dort weiter das Ziel verfolgt werde, sich Atomwaffen zu entwickeln. Auf Schautafeln "beweist" er ein "geheimes Atomlager". US-Vertreter äußern sich vorsichtiger

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Ob die internationale Öffentlichkeit einmal Gewissheit darüber erlangt, ob Iran heimlich an einem nuklearen Waffenprogramm gearbeitet hat? Dass Iran bis zum Herbst 2003 ein solches Programm verfolgt habe, behauptete eine Einschätzung von 16 amerikanischen Geheimdiensten in einem Bericht vom Dezember 2007. Iran bestritt dies.

Im Jahr 2011 bestritten die US-Geheimdienste ihre früheren Einschätzungen. Sie äußerten den Verdacht, dass Iran an Komponenten für eine Nuklearwaffe arbeite und das "nukleare Waffenprogramm" gar nicht aufgegeben habe (vgl. US-Geheimdienste ändern Einschätzung des iranischen Nuklearprogramms).

2012 ließen der damalige US-Verteidigungsminister Leon Panetta und Geheimdienstdirektor James Clapper, damals Chef der 16 US-Nachrichtendienste, die Öffentlichkeit wissen, dass sie trotz verstärkter Bemühungen Irans zur Urananreicherung keine Hinweise darauf sehen würden, dass die Islamische Republik entschieden habe, Atomwaffen zu entwickeln.

"Wenn Iran betrügt, wird die Welt es wissen"

Im selben Jahr wurden die 5 (USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich) plus 1 (Deutschland)- "Atomgespräche" mit Iran wieder aufgenommen - nach einigen Schwierigkeiten und Mühen, so der damalige Außenminister Westerwelle. Der Spiegel schrieb: "Die Gespräche gelten als letzte Chance, mögliche Militärschläge Israels gegen iranische Atomanlagen abzuwenden."

Nach weiteren Mühen und Schwierigkeiten gab es dann April 2015 einen Durchbruch bei Verhandlungen in Lausanne, die 5+1 und Iran einigten sich auf Eckepunkte. Die SZ titelte: "Wenn Iran betrügt, wird die Welt es wissen"

Im Juli 2015 wurde die gemeinsame Vereinbarung, genannt JCPOA, in Wien gefeiert und am 20. Juli wurde der Gemeinsame umfassende Aktionsplan und restriktive Maßnahmen, wie der JCPOA auf Deutsch heißt, vom UN-Sicherheitsrat gebilligt.

Neben der SZ war auch die damalige US-Regierung unter Präsident Obama sowie, wie immer wieder erwähnt wurde, auch Mitglieder der israelischen Geheimdienste der Überzeugung, dass die Vereinbarung die politisch bestmöglichen Bedingungen geschaffen habe, um Iran von der Entwicklung nuklearer Waffen fernzuhalten und dies auch genau zu kontrollieren.

Bekanntlich sind US-Präsident Trump und der israelische Ministerpräsident Netanjahu ganz anderer Meinung. Trump kündigte im Mai dieses Jahres den "schlechtesten Deal aller Zeiten" auf. Seither gibt es zwei Lager.

Der streit der zwei Lager

Das eine, China, Russland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, hält am Abkommen mit Iran fest und gab am Rand der UN-Vollversammlung in dieser Woche eine gemeinschaftliche Erklärung heraus, in der darauf verwiesen wurde, dass die Kontrollbehörde, die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), in zwölf aufeinander folgenden Berichten festgestellt habe, dass Iran seinen Verpflichtungen bezüglich seiner Nuklearaktivitäten nachkomme - sprich, dass Iran nicht betrüge.

Zwei Tage nach der Erklärung der zwei Großmächte und der drei europäischen Länder trat der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu vor das UN-Plenum und hielt eine 40-minütige Rede, die genau das Gegenteil behauptete. Netanjahu und Trump bilden das andere Lager.

Manche meinen, dass Trump sich in der Sache Iran sehr viel von Netanjahu abschaut. Ob das so stimmt, wäre Angelegenheit einer längeren Recherche. Allerdings bewegt sich Netanjahu schon sehr viel länger in der internationalen Politik und dass sich seine Reden vor großem Publikum gerne und häufig dem Thema die Bedrohung Irans widmen, ist immer wieder Gegenstand mehr oder weniger schmeichelhafter Charakterisierungen Netanjahus. Gelegentlich fällt auch das Wort Obsession.

Andere wiederum sind davon überzeugt, dass Iran trickst (vgl. Der Schmusekurs der EU mit Iran muss ein Ende finden. Am Donnerstag griff Netanjahu wie bereits zuvor zu Schautafeln, die verkündeten, was für Netanjahu zu einer unumstößlichen Wahrheit geworden ist: Dass die IAEA von einer ganzen Menge der Aktivitäten Irans nicht Bescheid weiß und dass diese Aktivitäten auf eine nukleare Bewaffnung zielen.

Netanjahus spektakuläre "Beweise"

Im Mai verkündete Netanjahu in einem dramatischen "Multimedia"-Auftritt , dass Iran trotz des Abkommens weiter ein geheimes Atomwaffenprogramm verfolge und in wenigen Jahren nach Ende des Abkommen unbegrenzt Uran anreichern könne.

Im Zentrum seines spektakulären Auftritts standen 55.000 Dokumente und 183 CDs, die der israelische Geheimdienst aus einem iranischen "Nuklear-Archiv" aufgespürt und nach Israel gebracht habe. Insgesamt sollen es 100.000 Dokumente sein, die Israel aus Iran herausgeschmuggelt habe, was angesichts der Menge allein schon einige Fragen aufwirft.

Der Auftritt fand ein zwiespältiges Echo, gewertet wurde je nach Lager-Orthodoxie. Allerdings stachen genauen Beobachtern bei dem Spektakel Ungenauigkeiten ins Auge, wie etwa der Zeitraum: Die Dokumente "belegen allerdings höchstens, dass der Iran vor dem Abkommen ein Atomwaffenprogramm verfolgte, nicht aber, dass dies weiterhin der Fall ist. Man erhält angesichts des Auftritts den Eindruck, dass hier ähnlich wie vor dem Irak-Krieg mit vermeintlichen Beweisen agiert wird" (siehe: Netanjahu setzt zur Eskalation auf Bilder: "Iran lügt").

Das Atomlager

Beim jüngsten Auftritt vor der UN ging Netanjahu ebenfalls nicht gerade kleinlich vor. Im Zentrum seiner aktuellen Präsentation stand eine Karte der Umgebung der Teherans, wo in einem Lagerhaus bis zu 300 Tonnen Material sein sollen. In den vergangenen Wochen habe die iranische Regierung daraus 15 Kilogramm radioaktives Material entfernt und in der Hauptstadt verteilt, sagte Netanjahu in seiner Rede. Die IAEA wisse von nichts.

Auch das klingt nach großen Dimensionen und wird zwiespältig diskutiert. Iran dementiert wie immer, Außenminister Zariv twitterte von einer "Show", die nicht darüber hinwegtäuschen könne, dass es Israel sei, das ein "geheimes", nicht-erklärtes Atomwaffenprogramm habe, das für internationale Inspektoren geöffnet werden müsse. Die iranische Nachrichtenagentur IRNA soll von Lügen sprechen, wie Times of Israel berichtet.

Die Glaubwürdigkeit?

Dort wird die Einschätzung eines US-Vertreters hervorgehoben, der Netanjahus Äußerungen als "irgendwie irreführend" bezeichnet. Man kenne das Gebäude oder die Einrichtung schon seit einiger Zeit. Sie sei voll mit Dokumenten und Papier, aber nicht mit Aluminium für Zentrifugen. Zum anderen gebe es nichts, was Iran erlaube, schnell aus den Verpflichtungen des JCPOA auszubrechen. Die Aussage wurde Reuters gegenüber gemacht, wo sie am Ende des Textes erscheint.

Zu erfahren ist dort auch, dass jemand vom US-Außenministerium fordert, das die IAEA in der Sache ermittelt. Zu klären wäre einiges. Ob sich die Vorwürfe Netanjahus erhärten, wird weiter offen bleiben.

An der Glaubwürdigkeit seiner Darstellungen wie auch der IDF rüttelte zuletzt das russische Verteidigungsministerium und zwar ganz vehement (vgl. Russland rüstet syrische Armee mit S-300 auf).

P.S. Von Außen ist nicht zu entscheiden, welche Partei Recht hat. Die Situation im Nahen Osten ist von Konflikten gekennzeichnet, die kriegerisch sind, weswegen Misstrauen, Aufrüstung, Tricks und laute Wortmeldungen dominieren. Das ist eigentlich eine Situation, in der es sehr auf unabhängige, übernationale Institutionen ankäme. Wenn nun mit dem emphatischen Verweis auf die eigenen Sicherheitsinteressen die Wahrnehmung und Maßgaben dieser Institutionen in Zweifel gezogen werden ("wir wissen es besser"), dann haben diese Schwierigkeiten, weiter als glaubwürdig zu gelten.

Bei Zweifeln der syrischen und russischen Regierungen gegenüber Anschuldigungen der Organisation für das Verbot der chemischen Waffen (OPCW), wonach die syrische Armee mehrmals Giftgas eingesetzt habe, kommt genau dieser Einwand: Russland würde in Partnerschaft mit Syrien die Institution unterwandern, weil sie deren Nachweisführung nicht akzeptieren. In diesem Zusammenhang ist viel von einer geschickten Desinformationspolitik Russlands die Rede, die dazu führe, die Autorität von internationalen Instutionen zu untergraben. Das ist, wie sich an mehreren Stellen zeigt, ein recht einseitiger Vorwurf.