Neue Atommeiler: Warum die Ukraine auf Energieunsicherheit setzt

Die IAEA trifft im ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja ein, 1. September 2022.

Die IAEA trifft im ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja ein, 1. September 2022. Bild: Fredrik Dahl / IAEO / CC BY 2.0 Deed

Mit dem Krieg ist die Energieversorgung in der Ukraine in die Krise geraten. Doch es wird weiter auf fossil-atomare Kraftwerke gesetzt. Eine Einordnung.

Bevor Hans-Josef Fell erläutern wird, wie die fossile Energieabhängigkeit als politische Waffe eingesetzt wird (der Ukraine-Krieg zeigt das), damit globale Unsicherheiten erzeugt werden und eine Energiewende diese negativen Effekte bannen kann (aber in der Ukraine ein anderer Weg eingeschlagen wird), ein kurzer Überblick über die Energiekrise in der Ukraine seit der Invasion Russlands im Februar 2022.

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine erschütterte den ukrainischen Energiesektor in einem noch nie dagewesenen Ausmaß, da Moskau die Energieinfrastruktur mit Raketen, Drohnen, Sprengstoff und Artillerie angriff.

Die russischen Luftangriffe zerstörten umgehend zwei Dutzend große Treibstoffdepots und Raffineriekapazitäten.

Vor der Invasion hatten Russland und Belarus zusammen mehr als die Hälfte der in der Ukraine verbrauchten Brennstoffe geliefert. Als diese Lieferungen ausblieben und die einheimischen Raffineriekapazitäten zerstört wurden, geriet das Land in eine Krise fossiler Brennstoffe.

Die ukrainische Elektrizitätswirtschaft litt am meisten unter den kriegsbedingten Verlusten. Die Besetzung der östlichen Gebiete seit dem 24. Februar 2022 bedeutete, dass die Ukraine mehr und mehr den Zugang zu Energiekapazitäten einbüßte.

Besonders einscheidend war der Verlust der Kontrolle über das Kernkraftwerk Saporischschja im März 2022, das größte Kernkraftwerk Europas, das vor dem Konflikt 44 Prozent der ukrainischen Kernkraftkapazitäten ausmachte.

Russische Truppen beschlagnahmten das Kraftwerk unmittelbar nach der Invasion. Der Beschuss des Kraftwerks erhöhte die nuklearen Sicherheitsrisiken auf bedrohliche Weise.

30 Prozent der Solar- und 90 Prozent der Windkraftkapazitäten wurden nach Angaben des ukrainischen Energieministeriums im über zweijährigen Krieg beschädigt, zerstört oder besetzt.

Mehr als die Hälfte der Stromübertragungsinfrastruktur wurde zerstört oder stark beschädigt. Die Raketenangriffe dezimierten das gesamte 750-kV-Hochspannungsnetz (750.000 Volt), das für die Verteilung des Stroms aus den Kernkraftwerken in der gesamten Ukraine genutzt wurde.

Fast alle Wärme- und Wasserkraftwerke wurden angegriffen. Ende April 2023 lag die verfügbare Wärmekraftkapazität um 65 Prozent unter den 17,1 Gigawatt (GW), die Anfang 2022 zur Verfügung standen, und die verfügbare Wasserkraftkapazität war um 29,8 Prozent von 6,7 GW im selben Zeitraum zurückgegangen.

Die Angriffe Russlands gegen die ukrainische Energieversorgung haben sich in letzter Zeit wieder verstärkt.

Obwohl die ukrainischen Erdgas- und Strommärkte in der Vergangenheit eng an Russland gebunden waren, sind sie nun in die europäischen Märkte integriert. Bereits nach der Invasion wurde das ukrainische Stromnetz, das zuvor an das russische System angeschlossen war, mit dem europäischen synchronisiert.

Die Ukraine hat alle technischen Anforderungen erfüllt und ist nun ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Stromnetzes.

David Goeßmann

Der schreckliche russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Energiesicherheit in ein neues Licht gerückt. Wer glaubte und vielleicht immer noch glaubt, dass nur Erdöl, Erdgas, Kohle und Atomkraft eine sichere Energieversorgung bieten könnten, weil diese Energie im Gegensatz zu den wetter- und jahreszeitabhängigen erneuerbaren Energien verlässlich sei, hat sich massiv getäuscht.

Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes.

Fossile Energie: Politische Waffe und Kriegswirtschaft

Da die meisten Länder der Erde kaum genügend eigene Energieressourcen haben und daher von ausländischen Importen der fossilen und atomaren Rohstoffe abhängig sind, sind sie ebenso in der Hand von politischen Verwerfungen der Lieferländer.

Energie wird zunehmend als Waffe benutzt, um eigene machtpolitische Interessen durchzusetzen. So sind die Europäer von der Gasversorgung Russlands über Pipelines abgeschnitten, weil Europa den russischen Angriffskrieg in der Ukraine nicht unterstützen will.

Schlimmer noch, durch unseren Einkauf von Erdöl, Erdgas, Kohle und auch Uran zur Stromerzeugung in der EU finanzieren wir islamistische Terrorregime und den russischen Krieg in der Ukraine. Auch die Angriffe der jemenitischen Terrorgruppe Huthi auf Transportschiffe im Roten Meer sowie anderer Terrororganisationen wie die Hamas oder Hisbollah gegen Israel werden zum großen Teil durch unseren Erdöl- und Erdgaskonsum finanziert.