Neue Atommeiler: Warum die Ukraine auf Energieunsicherheit setzt

Seite 2: Energiesicherheit wird nur durch erneuerbare Energien gewährleistet

Nun ist gerade in der Ukraine weiten Teilen der Bevölkerung bewusst geworden, dass dezentrale erneuerbare Energien, am besten durch eigene Solaranlagen auf dem Dach und Speicher im Keller ergänzt, mit regionaler Windkraft, Wasserkraft und Bioenergien Energiesicherheit bringen können und nicht die großen zentralen Atom-, Kohle- oder Erdgaskraftwerke.

Die Bombenangriffe Russlands auf Energiezentren und große Stromleitungen in den vergangenen Jahren haben in weiten Teilen der Bevölkerung die Augen geöffnet.

Selbst viele Taxifahrer in Kiew erzählen mittlerweile, dass sie lieber eine eigene Solaranlage mit Batterien hätten, um sicheren Strom zu haben, so Torsten Wöllert von der EU-Kommission im Gespräch mit mir im ukrainischen Sender Energy Freedom.

Denn jeder sieht, wie die vielen russischen Bombenangriffe unentwegt Elemente der zentralen Energieinfrastruktur zerstören und so Stromausfälle verursachen. Zudem sind die Atomkraftwerke keineswegs kostengünstig, wenn man über die reinen Stromerzeugungskosten der alten abgeschriebenen Atomkraftwerke hinausschaut, so Torsten Wöllert.

Der Abriss alter AKW, z. B. in Tschernobyl, ist für die Ukraine nicht finanzierbar, genauso wie ein sicheres Endlager für Atommüll und viele andere Kosten.

Ukrainische Regierung will dennoch neue AKW bauen

Dennoch hält die Regierung unter Präsident Selenskyj am Neubau von sündhaft teuren Atomkraftwerken fest, im Glauben, nur so sei eine kostengünstige und sichere Energieversorgung möglich. So will die ukrainische Regierung noch in diesem Jahr mit dem Bau von vier neuen Atommeiler in Chmelnyzkyj beginnen.

Es ist unbegreiflich, wie die ukrainische Regierung an der Atomenergie festhält, obwohl sie mit der weiterhin nicht überwundenen Atomkatastrophe in Tschernobyl und den großen Problemen des im Krieg zerstörten Atomkraftwerks Saporischschja längst hätte wissen können, dass Atomkraft allein wegen Kriegs- und Terrorgefahren, insbesondere in Kriegsgebieten, abgeschaltet werden muss.

Die EU-Kommission ist ebenfalls schuld an dieser Fehleinschätzung, weil sie Atomkraft und Erdgas in der Taxonomie als grüne Energie einordnete.

Daher stellt sich die Frage, wie das inzwischen weitverbreitete Wissen der ukrainischen Bevölkerung, dass dezentrale erneuerbare Energien kostengünstige Energiesicherheit bieten können, endlich Eingang in das Handeln der Regierung findet.

Energie-Diskussion im ukrainischen Sender

In der Diskussion im ukrainischen Sender Energy Freedom waren wir uns einig, dass das nur gelingt, wenn sich die Wahrheiten über die großen Vorteile der erneuerbaren Energien wie Kostenvorteile, Klimaschutz, Energiesicherheit u. a. auch in der Regierung der Ukraine und der EU-Kommission durchsetzen.

Stattdessen sehen wir jedoch, dass die Desinformation mit Lobbyeinfluss und Korruption der fossilen und atomaren Energiekonzerne weiterhin großen Einfluss auf Regierungen ausübt.

Wie sich doch die Bilder gleichen. Auch in der EU haben, wie in der Ukraine, immer noch die großen Öl-, Gas-, Kohle- und Atomkonzerne den entscheidenden Einfluss auf die Energiepolitik der Regierungen, auch wenn weite Teile der Bevölkerung in Europa und auch in der Ukraine längst die großen Vorteile der erneuerbaren Energien erkannt haben.

Daher muss endlich der Lobby- und Korruptionseinfluss der fossilen und atomaren Konzerne in ganz Europa und darüber hinaus beendet werden.

Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Von 1998 bis 2013 war er für die Grünen im Bundestag. Er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen für sein Engagement erhalten. Fell ist Botschafter für 100 Prozent erneuerbare Energien und Sprecher der Bürgerinitiative Bürger Solarfabrik.