Neue Havarie mit alten Bekannten

Wie der Prestige wurde auch der jetzt vor Alaska havarierten Selendang Ayu von der US-Firma ABS Seetüchtigkeit bescheinigt, die ehemalige konservative Regierung Spaniens will mit ihrer Löschaktion von Dokumenten ihr Verhalten zu den Terroranschlägen und zur Prestige-Katastrophe vertuschen

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Ob die Havarie des malaysischen Frachters "Selendang Ayu" zu einer neuen Umweltkatastrophe in Alaska führt, ist noch unklar. Klar ist: Die Firma American Bureau of Shipping (ABS) hatte dem Schiff die Seetüchtigkeit ebenso bescheinigt wie dem Öltanker Prestige, der vor zwei Jahren vor Spanien zerbrochen war. Über die spanische Klage gegen ABS findet die neue sozialistische Regierung keine Unterlagen. Sind auch sie der Löschaktion der konservativen Vorgänger zum Opfer gefallen?

Selendang Ayu am 18.12. Foto: NOAA

Seit fast zwei Wochen läuft Öl aus dem Massengutfrachter Selendang Ayu und bedroht nach Angaben der Umweltorganisation WWF das "Goldene Dreieck", eines der wichtigsten Naturreserven in der Beringsee. Vermutet wird, etwa 30 Prozent der knapp 2000 Tonnen Schweröl seien aus den verschiedenen Tanks schon ausgelaufen. Der Unfall ist aber mit dem der Exxon Valdez von 1989 nicht vergleichbar (Langzeitschäden durch die "Exxon Valdez" Ölpest). Trotzdem handelt es sich wohl um den seither schwersten Unfall in einem von bedrohten Tierarten bevölkerten Gebiet.

Nach einem Motorausfall war der Frachter am 7. Dezember vor der Nordküste der Aleuten-Insel Unalaska auf Grund gelaufen. Es war nicht gelungen, das 220 Meter lange Schiff von der Küste fernzuhalten. Einmal auf Grund gelaufen, zerbrach der Frachter, sechs Seeleute verloren das Leben beim Rettungseinsatz. Die Küstenwache versucht Ölsperren zu errichten, angesichts der schweren See kann sie aber nicht verhindern, dass die giftige Fracht sensible Strände und Küstenregionen erreicht. Wird das Öl nicht bald geborgen, droht die Gefahr, dass die auf Felsen liegenden Wrackteile weiter zerbrechen und auch das restliche Öl aus den fünf Tanks ausläuft.

Zwar handelt es sich, wie bei der Exxon Valdez oder der Prestige (Bilanz zwei Jahre nach der Ölpest), nicht um einen Ölfrachter, aus dem sich Tausende Tonnen Öl in die See ergießen. Trotzdem ist der ökologische Schaden hoch, weil Schiffe wie Selendang Ayu statt Diesel billiges, giftiges und schwer zu reinigendes Schweröl als Treibstoff benutzen. Der WWF fordert seit langem, darauf zu verzichten, um im Unglücksfall die Schäden zu minimieren. Diese Forderung verhallte genauso ungehört, wie die nach ausreichend vielen Notschleppern. Vor den Aleuten war nur zufällig ein kleiner Schlepper von geringer Zugkraft in der Nähe.

Bei der Havarie des Schiffs stößt man neben alten Problemen auch auf alte Bekannte. Denn wie der Prestige hat auch der Selendang Ayu das American Bureau of Shipping (ABS) die Seetüchtigkeit bescheinigt. Bisher liegt keine Erklärung der ABS vor, warum die Maschinen ausgefallen sein könnten, die von der ABS geprüft wurden.

Auffällig oft sind Schiffe wegen strukturellen Mängeln in Havarien verwickelt, die von der "not-for-profit" und "non-governmental organization", wie sich die ABS selbst bezeichnet, geprüft wurden. Neben der Prestige havarierte am 29. April dieses Jahres der taiwanesische Frachter Cape Africa. Er musste vor der südafrikanischen Küste mit einem 20 Meter langen Riss abgeschleppt werden.

Spektakulärer war der Fall der Panam Serena. Der Öl- und Chemiefrachter der Bahamas, explodierte vor fast genau einem Jahr im Hafen von Porto Torres, als das Schiff auf Sardinien entladen wurde. Die Explosion forderte zwei Todesopfer.

Informationen verschwunden

Der Name ABS tauchte in diesen Tagen auch in Spanien wieder auf. Im Mai 2003 hatten die noch regierenden Konservativen erklärt, man habe eine Zivilklage in New York gegen die ABS wegen der von der Prestige ausgelösten Ölpest eingereicht. Ohne alle Schäden zu berücksichtigen, sollte die Firma vorläufig auf zwei Milliarden Euro Schadensersatz verklagt werden. Aber dummerweise, so berichtete die Zeitung La Voz de Galicia vergangene Woche, findet die neue sozialistische Regierung über den Vorgang keine Dokumente. Die Zeitung bezieht sich auf eine Nachfrage des Obersten Gerichtshofs an die Regierung. Der hatte am 1. Oktober einen "Nachweis über den Beschluss des Kabinetts, des zuständigen Ministers oder eines Staatsorgans" angefordert, dass Klage gegen ABS erhoben wird. Darauf antwortete die Regierung am 22. Oktober: "Es liegen keine Informationen über diesen Vorgang vor."

Die Prestige am 19.11.2002

Das verwundert, denn der US-amerikanischen Anwaltskanzlei Holland & Knight wurden bisher 1,7 Millionen Euro über die spanische Staatsfirma Salvamento Maritimo (Sasemar) für die Klage bezahlt. Angeblich sei der Auftrag "mündlich" über die spanische Botschaft abgewickelt worden. Dass keinen Einfluss auf dieses Verfahren haben wird, glaubt die neue Regierung wohl selbst nicht. Trotzdem hat sie das in ihrer Not erst einmal erklärt.

Die ABS-Anwälte wollen die Klage offenbar über Formfehler kippen und fragten deshalb gezielt nach den Beschlüssen. Wurden sie aus Spanien vom Fehlen der Dokumente informiert? Wurden die Dokumente sogar gezielt vernichtet? Scheinbar sind auch Dokumente zur Prestige sind beim Regierungswechsel im März dem Löschvorgang zum Opfer gefallen. Erst am Montag vor einer Woche hatte der neue sozialistische Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero massive Löschvorgänge angeprangert. Vor dem Untersuchungsausschuss zu den Anschlägen vom 11. März erklärte er: "Am Regierungssitz gab es kein einziges Papier, keine einzige computergespeicherte Information, weil ein massives Löschmanöver stattgefunden hat."

Es scheint, der Ex-Ministerpräsident José María Aznar wollte nicht nur verschleiern, wie um die islamistischen Anschläge herum gelogen wurde (Lügen haben kurze Beine, auch in Spanien). Der Vorgang, bei dem die beauftrage Firma für 12.000 Euro sogar die Sicherheitsbänder gelöscht hat, soll wohl auch noch andere peinliche Vorgänge vernebeln, welche die Konservativen während ihre Regierungszeit zu verantworten haben (Großdemonstration und Generalstreik). Dazu gehört das fatale Vorgehen im Fall der Prestige.

Statt das vor der Küste havarierte Schiff an Land zu schleppen und auszupumpen, ließ man es tagelang aufs Meer schleppen, wo es schließlich zerbrach. Dieses Vorgehen schuf die Vorraussetzung dafür, dass sich die giftige Fracht weiträumig verteilen konnte. Bisher hatte Aznars Volkspartei (PP) mit allen Mitteln eine Untersuchung der Vorgänge verhindert. Illegal wurde sogar eine Untersuchungskommission im Regionalparlament von Galicien aufgelöst, urteilte das Verfassungsgericht erst kürzlich. Das Fehlen der Dokumente könnte nun auch die juristische Aufarbeitung torpedieren.