Neue Pandemiephase: Niederlande lassen Corona-Maßnahmen schrittweise los

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Erste Lockerungen mit sofortiger Wirkung. Nächste Schritte zum 18. und 25. Februar. Lockdown war politisch nicht mehr haltbar

"Das Land wird wieder geöffnet." Mit diesem bedeutungsschweren Satz eröffnete der niederländische Gesundheitsminister Ernst Kuipers, wie sein deutscher Amtskollege Karl Lauterbach ein Medizinprofessor, am gestrigen Abend die Pressekonferenz zur Corona-Lage.

Der Minister fasste zunächst die schweren Folgen der Corona-Pandemie in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zusammen, für Jung und Alt, Einzelne, ihre Familien, aber auch Unternehmen: "Corona warf einen Schatten über unsere Leben."

Doch dann zeigte er, dass die Anzahl der positiven Tests in den letzten Wochen in den Niederlanden kontinuierlich abgenommen hat. Auch wenn zurzeit immer noch sehr viele Menschen infiziert seien, scheine man den Höhepunkt hinter sich zu haben. Damit befinde man sich wahrscheinlich in einer neuen Pandemiephase.

Anders als in den vorherigen Phasen würde zudem die Anzahl der Krankenhausbehandlungen wegen Covid nicht mehr steigen. Diese scheine nun von den Infektionszahlen abgekoppelt und bleibe konstant unter 2.000. Hierfür machte der Minister die Impfungen, die natürliche Immunität in Reaktion auf eine Infektion und die Verbreitung der milderen Omikronvariante verantwortlich.

Dieses Gesamtbild erfordere eine neue Interessenabwägung: "Wir können nicht ohne Gesundheitsfürsorge auskommen. Aber auch nicht ohne einander." Sich miteinander treffen, Sport, Kultur, das Unternehmertum – das seien alles wesentliche Bereiche der Gesellschaft. "Darum wird alles wieder geöffnet."

Lockerungen in großen Schritten

Mit sofortiger Wirkung wurden die Einschränkungen für Hausbesuche aufgehoben. (Streng genommen war das aber sowieso nur eine dringende Empfehlung, kein verbindliches Gesetz.) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen nun maximal die Hälfte der Zeit im Büro, den Rest zuhause arbeiten.

Doch ab Freitag, den 18. Februar, dürfen das Gaststättengewerbe und der Kultursektor wieder bis um 1 Uhr geöffnet sein. Bisher galt noch 22 Uhr als Sperrstunde.

Bei Veranstaltungen mit bis zu 500 Personen sind dann keine Schutzmasken, kein Mindestabstand und auch keine festen Sitzplätze mehr nötig. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Gäste einen "Coronazugangsbeweis" haben, also mit QR-Code ihren Status als geimpft, genesen oder getestet nachweisen (3G).

Außerdem wird die Isolationszeit bei einer Corona-Infektion verkürzt, von sieben auf fünf Tage. Allerdings muss man 24 Stunden symptomfrei sein, bevor man die Wohnung wieder verlassen darf.

Für viele ausländische Reiseziele wurde nun auch schon die Warnstufe gesenkt, von Orange auf Gelb. Das bedeutet allgemein: "Passen Sie auf, es gibt Risiken."

Eine Woche später, also zum 25. Februar, verschwindet der QR-Code größtenteils. Bei Veranstaltungen im Inneren mit mehr als 500 Gästen müssen dann allerdings alle einen negativen Test nachweisen (1G). Von der Testpflicht sind aber Messen und Kongresse ausgenommen.

Für Gaststätten und den Kultursektor gelten dann wieder die normalen Öffnungszeiten von vor der Corona-Pandemie. Die Abstandsregeln verschwinden vollständig. Schutzmasken bleiben nur noch im öffentlichen Personenverkehr, an Flughäfen und in Flugzeugen verpflichtend.

Zum 15. März will das Kabinett die Lage neu beurteilen. Möglicherweise werden dann die letzten Regeln aufgehoben.

Maßnahmen waren politisch nicht mehr haltbar

Die Niederlande hatten eigentlich schon im September 2021 einen Fahrplan aus der Corona-Pandemie bekanntgegeben. Stattdessen gab es im November immer stärkere Einschränkungen, bis zu einem kurzfristig angekündigten harten Lockdown im Dezember. In dieser Phase war es zu schweren Krawallen gekommen, in Rotterdam sogar mit Polizeischüssen auf Randalierer.

Da die Nachbarländer Deutschland und Belgien nicht nachzogen, waren die Einschränkungen zur Reduktion der Mobilität aber schwer durchsetzbar. Wer einkaufen oder feiern gehen wollte, fuhr schlicht über die Grenze. So warnte die niederländische Bahn oft vor übervollen Zügen und sahen niederländische Unternehmer ihre Kunden zur ausländischen Konkurrenz abwandern.

Seit Mitte Januar gab es darum immer größeren Widerstand: Bürgermeister stellten sich offen gegen die Durchsetzung der Regeln, die Polizei streikte. Läden, Bars und Restaurants öffneten trotz des Verbots. Die Regierung unter Ministerpräsident Mark Rutte ließ das als "Protest" durchgehen, wenn die Regelverstöße nur vorübergehend sind.

Schließlich machten Theater und Konzerthallen nicht mehr mit. Es gab Sport, Yoga oder Termine zum Haareschneiden in Museen oder mit Schauspielern. Am vergangenen Wochenende widersetzten sich dann auch einige Nachtclubs.

Inzwischen räumte Professor Jaap van Dissel, Direktor des RIVM (vergleichbar dem RKI in Deutschland) und wichtiger Ratgeber des "Outbreak Management Team", das die Regierung in Coronafragen berät, Fehler ein. Man habe für die Omikronvariante mit zu pessimistischen Annahmen gerechnet. Schließlich wies ein interdisziplinäres Forschungsteam auch noch nach, dass die 3G-Regeln in der derzeitigen Phase der Pandemie kaum noch nutzen.

Das neue Kabinett Mark Ruttes ist erst seit 10. Januar 2022 an der Regierung, nach der längsten Sondierungsphase in der Geschichte der Niederlande. Die vier Parteien verfügen im Parlament nur über eine hauchdünne Mehrheit und Ruttes Koalitionspartner machten immer deutlicher, die Einschränkungen der Unternehmer nicht weiter hinnehmen zu wollen.

Dass der Ministerpräsident, anders als bei vorherigen Pressekonferenzen, gestern nicht mehr vor die Kamera trat, ist ein weiteres Zeichen. Das Management der Pandemie scheint nun keine unmittelbare Chefsache mehr zu sein, sondern vor allem dem Gesundheitsministerium überlassen zu werden.

Der neue Gesundheitsminister Kuipers (Jahrgang 1959) fällt mit seinem sachlichen Stil auf. Sein Amtsvorgänger und Parteikollege Hugo de Jonge (Jahrgang 1977) war demgegenüber immer perfekt gestylt und beeindruckte mit modischem Schuhwerk). Doch langweilen muss auch er sich seit dem Regierungswechsel im Januar nicht: Er ist jetzt Bauminister.