Neue Studie schürt Zweifel an Wirksamkeit von Corona-Maßnahmen
Forscher aus Stanford zu staatlichen Maßnahmen. Zusammenhang zwischen Maßnahmen und Pandemieverlauf nicht nachweisbar. Hier die Erkenntnisse.
Eine umfassende Studie zu Covid-19-Maßnahmen in 181 Ländern legt die Vermutung nahe, dass Regierungsentscheidungen wie Schulschließungen oder Maskenpflicht keine nachweisbaren Verbesserungen des Pandemiegeschehens erreicht haben. Die Ergebnisse schüren erneut Zweifel an der Wirksamkeit solcher Maßnahmen. Das ist vor allem für kommende Pandemien relevant.
Aber werden die Ergebnisse Gehör finden? Und weshalb kommende andere Studien zu gegenteiligen Ergebnissen?
Für die Analyse, veröffentlicht in der US-Fachzeitschrift Science Advances, haben die Forscher Eran Bendavid und Chirag J. Patel 99.736 analytische Modelle entworfen, um Effekt von 16 Regierungsmaßnahmen und vier pandemischen Phänomenen – Anzahl der Fälle, Infektionen, Covid-19-Todesfälle und Übersterblichkeit – zu bewerten. Ausgewertet wurden Daten aus 181 Staaten. Zum Vorgehen schreiben sie:
Wir verwenden sechs statistische Modelle. Die Modelle stellen mehrere Muster der Beziehungen zwischen den Reaktionen der Regierung und den Covid-19-Ergebnissen dar. Wir haben uns für Modelle entschieden, die im Großen und Ganzen eine erklärte erwartete Auswirkung der Reaktionspolitik der Regierung darstellen (wie zum Beispiel Modelle, die eine "Abflachung der Kurve" bewerten), und Modelle, die historische Muster der Bemühungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit erfassen, welchen es gelungen ist, die Belastung durch Infektionskrankheiten wie die Masernimpfung oder die Eliminierung von Polio zu reduzieren.
Uneinheitliche Ergebnisse
Von den Analysemodellen kamen 42 Prozent zu dem Schluss, dass strengere Maßnahmen zu verbesserten Ergebnissen führten, während 58 Prozent das Gegenteil nahelegten. Besonders auffällig: Unter den 14 statistisch signifikantesten Ergebnissen waren fünf hilfreich und neun nicht zielführend.
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Dies deutet darauf hin, dass es keine klare Tendenz gibt, die die Effektivität der Maßnahmen bestätigen kann. "Starke Behauptungen über die Auswirkungen von Regierungsmaßnahmen auf Covid-19 dürften empirisch nicht nachweisbar sein", so die Autoren.
Unterschiedliche Maßnahmen und Zeiträume
Die Studie verwendete Daten des Oxford Covid-19 Government Response Tracker (OxCGRT) und untersuchte Maßnahmen wie Schulschließungen, Maskenpflicht und Reisebeschränkungen.
Die Analyse deckte verschiedene Zeiträume ab, darunter die frühe Pandemiephase und die gesamten Jahre 2020 und 2021.
Methodik und Modelle
Die Forscher nutzten eine Multiversum-Analyse, die eine Vielzahl von Modellen und Annahmen testete, um die Beziehungen zwischen Maßnahmen und Ergebnissen verlässlich zu bewerten.
Die Modelle wurden auf täglicher, wöchentlicher und monatlicher Basis angelegt, um eine Verzerrung der Ergebnisse zu vermeiden.
Datenbasis und erste Erkenntnisse
Die Analyse umfasste 128.662 tägliche Beobachtungen. Die striktesten Maßnahmen wurden demnach meist im April oder Mai 2020 ergriffen, während Gesundheitssystemmaßnahmen wie Testzugang und Impfverfügbarkeit später ihren Höhepunkt erreichten. Honduras wies die stringentesten Maßnahmen auf, China und die USA lagen im Mittelfeld.
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Die Forscher fanden heraus, dass weder die allgemeine Analyse noch spezifische Untergruppen eindeutige Ergebnisse lieferten. "Wir können keine überzeugenden Beweise dafür finden, dass Regierungsmaßnahmen die Covid-19-Belastung verbessert oder verschlechtert haben", so Bendavid und Patel.
Widerspruch zur bisherigen Studien
Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zu vielen bisher veröffentlichten Studien, die oft signifikante Auswirkungen von Maßnahmen wie Lockdowns auf die Reduzierung der Virusübertragung betonen. Dazu die Autoren:
Wir können aus dieser Studie nicht ableiten, wie die Covid-19-Ergebnisse ohne Maßnahmen ausgesehen hätten. Zudem ist unsere Analyse global angelegt und untersucht die staatlichen Maßnahmen sowie die Covid-19-Verläufe auf Länderebene. Drittens, und vielleicht am wichtigsten, können wir keine zwingenden Beweise dafür finden, dass staatliche Maßnahmen die Covid-19-Belastung gemindert haben.
Diese Schlussfolgerung unterscheidet sich deutlich von vielen wissenschaftlichen Studien über staatliche Maßnahmen. In einer viel zitierten Studie zu diesem Thema heißt es z. B.: "Unsere Ergebnisse zeigen, dass wichtige nichtpharmazeutische Interventionen – und insbesondere Lockdownmaßnahmen – einen großen Einfluss auf die Reduzierung der Übertragung hatten." Solche Schlussfolgerungen finden sich häufig in der wissenschaftlichen Literatur, aber unsere Analyse – die in Bezug auf Umfang und Ergebnis sehr weitreichend ist – legt nahe, dass solche starken Behauptungen empirisch nicht gerechtfertigt sind.
Vorschläge für künftige Forschung
Die Forscher schlagen vor, dass künftige Studien auf repräsentativen und gut erfassten Daten basieren sollten. Sie betonen die Bedeutung nationaler und lokaler Datenplattformen, die eine bessere Bewertung von Maßnahmen ermöglichen könnten. "Verbesserte Messungen der Umsetzung, Durchsetzung und Einhaltung von Maßnahmen" könnten zu einem besseren Verständnis beitragen", so ihr Appell.