Neue Zweifel an der Out of Africa-Theorie
Hat Sex vor 100 000 Jahren eine größere Rolle gespielt als Gewalt?
In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature stellt ein amerikanischer Genetiker seine Analyse verschiedener Menschenpopulationen vor. Seine Interpretation bezweifelt mal wieder die "Out of Africa"-Theorie.
Alan Templeton von der Washington University in St Louis, Missouri, wirft einen neuen Stein in die unruhige See der Diskussion um die Ursprünge des modernen Menschen. Seit am Erbgut des Menschen geforscht wird, gibt es eine heftige Debatte über genetische Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die einen Rückschluss darüber zulassen wollen, wer die wirklichen Eltern der heute lebenden Menschen waren. Einig sind sich alle, dass der Homo erectus, der aufrecht gehende Mensch, sich vor maximal 1,8 Millionen Jahren in Afrika entwickelte und sich von dort über die ganze Welt verbreitete.
Der frühe Mensch lebte anschließend auf den verschiedenen Kontinenten und blieb vorerst unter sich, so dass sich regional leicht verschiedene Menschentypen ausbilden konnten. Die Funde belegen einen speziellen asiatischen Homo erectus, ebenso einen davon unterscheidbaren afrikanischen Homo erectus und in Europa den Homo heidelbergensis, der zum Neandertaler (Vgl. Der Mensch, der in die Kälte kam) wurde. Während der in europäischen Höhlen haust, macht sich der Homo sapiens, der vor mindestens 120 '000 Jahren in Afrika zur Welt kam, einige zehntausend Jahre später (ca. 80'000-100'000) auf den Weg, um die Welt erneut zu erobern. Über einen längeren Zeitraum lebten die Alteingesessenen und die Zuwanderer parallel nebeneinander. So weit sind sich alle einig.
Was dann geschah, ist aber unter den Anthropologen umstritten. Die meisten sind inzwischen Anhänger der "Out of Africa"-Theorie (in Deutsch auch "jenseits von Afrika" genannt), die davon ausgeht, dass der frisch aus Afrika zugereiste Homo sapiens sich durchsetzte und genetisch unser direkter Vorfahre ist, während die anderen, lokal verschiedenen Menschengruppen schlicht verschwanden, ohne Spuren in unserem Erbmaterial zu hinterlassen. Dieser Ansatz wurde von den evolutionären Genetikern bestätigt, die sich mit Analysen der mitochondrialen, also über die weibliche Linie vererbten DNS befassten (Vgl. "Humans did come out of Africa, says DNA" in Nature).
Die Out-of-Africa-These wird vom den so genannte Multiregionalisten bezweifelt, die davon ausgehen, dass eine Vermischung statt fand und wir sie bisher in den Genen nur noch nicht nachweisen konnten. (Vgl. Sind wir mehr Neandertaler als wir glaubten?). Sie vermuten, dass die genetischen Analysen ausschließlich der über die weiblichen Vorfahren vererbten Mitochondrien nicht ausreichend ist und die Theorie, dass wir von wenigen Eva-Urmüttern abstammen, deswegen nicht stimmt (Vgl. Rothaarig durch Neandertaler-Gen?).
Alan Templeton ist Multiregionalist und er vertritt in seiner neuen Studie die Auffassung, dass es genetische Spuren der Vermischung der zugewanderten Homo sapiens mit den bereits dort lebenden Menschen gibt. Er sieht das als make love not war-Szenario und vermutet, dass Sex vor 100 000 Jahren eine größere Rolle gespielt hat als Gewalt. Durch Genuntersuchungen jeweils von mindestens 35 Individuen aus vier Populationen (mindestens je eine in Europa, Asien und Afrika) und der Determinierung der jeweiligen Häufigkeiten von Haplotypen (Satz von genetischen Determinanten auf einem einzelnen Chromosom, Vgl. "The Promise that Haplotypes Hold" in The Scientist fand er Belege für zwei Auswanderungswellen aus Afrika, eine davon vor 420'000-840'000 und eine jüngere vor 80'000-150'000 Jahren. Unzweifelhaft ist also, dass afrikanische Vorfahren durch aufeinander folgende Auswanderungswellen eine maßgebliche Rolle bei der Komposition des modernen Genpools der Völker gespielt hat. Die Frage ist nur, ob die ursprüngliche Population genetisch auch in uns fortbesteht.
Mithilfe des von ihm mitentwickelten Computerprogramms GEODIS zur Analyse der geografischen Verteilung genetischer Haplotypen, gelang es ihm, Übereinstimmungen und Unterschiede der definierten Merkmale genau zu bestimmen und genetische Stammbäume anzulegen. Zu den untersuchten Sequenzen von 10 Erbgut-Regionen gehörten mitochondriale DNS, über den Vater vererbte Y-Chromosom-DNS und acht andere genetische Regionen inklusive zwei auf dem X-Chromosom. Templeton ist überzeugt, dass die verschiedenen an einem Ort siedelnden Menschen-Gruppen sich miteinander fortpflanzten:
Wenn es eine Verdrängung [der bereits Ortsansässigen] gegeben hätte, wären die drei signifikanten genetischen Signaturen der früheren Zuwanderung und die sechs signifikanten genetischen Signaturen von älteren, sich wiederholenden genetischen Strömungen, ausgelöscht worden. Die Menschen wanderten immer und immer wieder aus Afrika aus, aber diese Expansionen führten zur Kreuzung [der Menschentypen] und nicht zur völligen Verdrängung, dabei wurden die genetischen Bande zwischen den menschlichen Populationen überall auf der Welt gestärkt.
Dabei schränkt er selbst ein, dass seine Schlussfolgerungen Interpretationen sind, denn die statistische Beweiskraft seiner Untersuchung ist nicht wirklich hoch genug, um die Vermischung der verschiedenen Menschentypen zweifelsfrei zu beweisen.
Wer allerdings glaubt, dass Templeton mit seinen Interpretationen die Theorie der genetisch verschiedenen menschlichen Rassen untermauern will, der irrt. Er ist - wie alle anerkannten Genetiker weltweit (Vgl. Der Gen-Therapie-Boom kommt erst) - überzeugt, dass es von der DNS her betrachtet, nur eine menschliche Rasse gibt, weil die individuellen Unterschiede des Homo sapiens sapiens weitaus größer sind, als die zwischen verschiedenen Ethnien (Vgl. Tempelton 1998: Biological differences among races do not exist).
In ihrem begleitenden News-and-Views-Artikel in der selben Ausgabe von Nature zweifelt Rebecca L Cann von der University of Hawaii an der Beweiskraft der DNS-Analysen von Templeton. Sie meint, als überzeugte Vertreterin des Out-of-Africa-Ansatzes gehe ihr hier wie Hamlet: "I eat the air, promise-crammed." Sie meint, die Interpretation der Vermischung der Populationen sei doch etwas übereifrig, weil die statistische Gruppe von je 35 Individuen für echte Signifikanz nicht ausreiche.