Neues BGH-Urteil im Falle Motassadeq

Karlsruher Richter sehen Beihilfe zum Massenmord als erwiesen an

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Der einst weltweit erste Prozess im Zusammenhang mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde zur Never-Ending-Story: Zweimal, wurde der Angeklagte Mounir El-Motassadeq vom Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) verurteilt, Februar 2003 und August 2005, gegen beide Urteile wurde Revision eingelegt, beide Male, März 2004 und November 2006, verwies der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe den Fall zurück ans OLG Hamburg. Doch im Gegensatz zum ersten Mal soll nun nicht der gesamte Prozess wieder aufgerollt, sondern nur das Strafmaß neu bestimmt werden, das verkündete der Vorsitzende Richter Klaus Tolksdorf am Donnerstag. Experten rechnen deshalb mit einem baldigen Prozess mit einer Dauer von ein bis maximal drei Tagen.

Eigentlich stand dessen Ausgang fest, bevor das erneute Revisionsverfahren vor dem BGH überhaupt begann: Die Richter äußerten zu Beginn ihrer Beratungen eine Vermutung, wie ihre Entscheidung voraussichtlich ausfallen werde, die exakt dem jetzt verkündeten Urteil entspricht. Dem Antrag der Bundesanwaltschaft (BAW) wurde stattgegeben und der Prozess wieder nach Hamburg verwiesen, denn dort hätte eindeutig ein anderes Urteil gefällt werden müssen, so Tolksdorf.

Das Hanseatische OLG geht davon aus, dass Motassadeq grob in die Pläne eingeweiht war und wusste, dass ein Anschlag mittels Flugzeug geplant war. Dass ihm klar sein musste, dass dabei mindestens Besatzung und Passagiere sterben würden, diesen Schluss zog die Hamburger Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Ernst-Rainer Schudt offenbar nicht - obwohl sie zur Verurteilung zur Beihilfe zum Mord und somit für die Höchststrafe von 15 Jahren Haft gereicht hätte. Schudt verurteilte Motassadeq wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu sieben Jahren Haft. Die Karlsruher Kammer folgte in ihrem Schiedsspruch der Argumentation der Bundesanwaltschaft, nach der Moatassadeq zudem wegen Beihilfe zum Massenmord zu verurteilen sei - allerdings werden ihm nicht alle mehr als 3.000 Todesopfer zur Last gelegt, sondern die 246 Passagiere und Besatzungsmitglieder, die am 11. September in den vier Todesfliegern ums Leben kamen.

Am 22. Oktober 2002 hatte vor dem OLG in Hamburg der weltweit erste Al-Quaida-Prozess gegen den Technik-Studenten Motassadeq begonnen. Dem vermeintlichen Helfershelfer von Mohammed Atta wurde Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Am 19. Februar 2003 wurde Motassadeq zur Höchststrafe von 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Verteidiger legten Revision gegen dieses Urteil ein und es gelang ihnen, die Richter in Karlsruhe davon zu überzeugen, dass ihrem Mandanten das Recht auf ein faires Verfahren verwehrt worden sei (Kein Stress mit den USA). Am 4. März 2004 entschied der BGH, dass der Prozess neu aufgerollt werden müsse (Grenzen der Wahrheitsfindung). Am 7. April 2004 wurde der seit etwa zweieinhalb Jahren inhaftierte Motassadeq überraschend aus der Haft entlassen, so dass er zu Beginn des zweiten Prozesses am 10. August 2004 den Gerichtssaal als freier Mann betreten konnte.

Die Protokolle der Binalshibh-Verhöre aus den USA blieben weiterhin unter Verschluss, erst im Mai 2005 wurde dem Gericht eine Zusammenfassung gefaxt. Demnach hat der prominente Al-Qaida-Gefangene ausgesagt, dass Motassadeq und Mzoudi nichts von den Anschlagsplänen gewusst hätten. Diese Aussage wurde allerdings sowohl von amerikanischen Geheimdiensten als auch vom BKA stark angezweifelt, da Al-Qaida-Mitglieder ihren Erkenntnissen zufolge darauf trainiert werden, niemanden - oder nur tote Personen - zu belasten. Das Gericht war also im Prinzip genau so schlau wie vorher.

Unterdessen bestätigte der BGH den Freispruch Abdelghani Mzoudis, den Angeklagten in dem zweiten Hamburger al-Quaida-Prozess. Der Hamburger Richter hatte ihn zähneknirschend aus Mangel an Bewiesen frei gesprochen und Karlsruhe war dieser Argumentation gefolgt. Nun wurde allgemein erwartet, dass auch Motassadeq frei gesprochen wurde. Doch so einfach machte sich Schudt die Sache nicht: Er verurteilte Motassadeq im August 2005 und ließ ihn aus dem Gerichtssaal heraus verhaften. Am 7. Februar 2006 wurde er wieder aus der Haft entlassen.

Beide Seiten legten gegen das Urteil von Richter Schudt Revision ein: die Bundesanwaltschaft, weil sie den Vorwurf der Beihilfe zum Mord nicht entkräftet sah, und die Verteidigung, weil sie die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung als nicht erwiesen ansah. Darüber wurde nun höchstrichterlich - im Sinne der Bundesanwaltschaft - entschieden: Die Schuldfrage sei endgültig geklärt, so Tolksdorf, daran gebe es „nichts mehr zu rütteln“. Eine neue Beweisaufnahme wird es daher nicht geben, die Hamburger Richter haben lediglich über die Höhe des Strafmaßes zu befinden. Dabei dürfte es letztendlich egal sein, ob ihm Beihilfe zum Mord in mehr als 200 oder mehr als 3.000 Fällen angelastet wird, die Höchststrafe beträgt hierzulande 15 Jahre.

Seit gestern ist Motassadeq endgültig verurteilter Terrorhelfer, daran gibt es juristisch nichts mehr zu rütteln. Sowohl Bundesanwaltschaft als Nebenklägern klatschten dazu öffentlich Beifall. Andreas Schulz, der Berliner Anwalt der amerikanischen Nebenkläger konstatierte laut Spiegel online „eine gewisse Genugtuung“. Noch befindet Motassadeq sich auf freiem Fuß, doch das kann sich angesichts des BGH-Urteils schnell ändern, ein Haftantrag der Nebenklage wird derzeit in Karlsruhe geprüft.