Neues Pestizid: Dieses Gift knipst Gene aus

Seite 2: Bedenken hinsichtlich Immunreaktion und Wirksamkeit

Allgemein gilt als eine Art Faustregel: je spezifischer das Eiweiß ist, dessen Genese in der Biochemie des Kartoffelkäfers unterdrückt wird, desto weniger andere Organismen werden geschädigt. Betrifft das Gen-Silencing aber Eiweiße, die auch für enge Verwandte des Kartoffelkäfers oder gar für alle Käfer oder Insekten lebensnotwendig sind, sieht die Sache schon ganz anders aus.

Denn der Gen-Silencing-Mechanismus, der solchen Pestiziden innewohnt, wird nach der Aufnahme in den Körper immer dann ausgelöst, wenn sie auf eine passende oder auch nur ähnliche Gensequenz treffen.

Verbraucher:innen, die mit Calantha gespritzte Kartoffeln kochen oder entsprechende Kartoffelprodukte essen, haben nichts zu befürchten, denn die Eiweiße verlieren beim Kochen ihre Funktionalität. Doch für Tiere, die den RNAi-behandelten Kartoffelkäfer fressen, sieht das schon ganz anders aus und vor allem auch für die Farmer:innen, die Calantha anwenden.

Befürchtet wird, dass das neue Pestizid beim Menschen eine Reaktion des Immunsystems auslösen könnte. Eine Analyse von GreenLight Biosciences selbst hat zwei Boten-RNA-Abschnitte im menschlichen Stoffwechsel identifiziert, die möglicherweise von Ledprona beeinflusst werden könnten. Auch die EPA stellt fest, dass längere RNAi-Moleküle, wie die im Ledprona-Wirkstoff, "als Kandidaten für die Auslösung von angeborenen Immunreaktionen gelten". Deshalb sollten Menschen, die mit dem Pestizid arbeiten, Atemschutzmasken tragen.

Dessen ungeachtet und ungeachtet der nicht abgeschlossenen Standardtestphase kommt die EPA zu dem Schluss, dass es "eine begründete Erwartung gibt, dass es unwahrscheinlich ist, dass Ledprona diese Gene in vivo beeinflusst".

Im Umkehrschluss der oben angesprochenen Faustregel gilt aber auch, dass die Wirkung eines RNAi-basierten Pflanzenschutzmittels umso schneller nachlässt, je spezifischer das Eiweiß für den Organismus ist, der bekämpft werden soll. Denn je artspezifischer das gehemmte Gen ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es einzelne Individuen gibt, die ohne es auskommen können – und folglich überleben.

In einer Studie aus dem Jahr 2021 wurde eine ähnliche genhemmende RNAi untersucht, die ebenfalls für ein Spray zur Bekämpfung desselben Kartoffelschädlings entwickelt worden war. Schon innerhalb von neun Generationen wurde die 11.100-fache Menge des ursprünglichen Wirkstoffs benötigt, um die gleiche Wirkung zu erzielen.

Es ist eine Binsenweisheit, dass man mit jeder landwirtschaftlichen Pflanzenschutzmethode gleichzeitig auch resistente Schädlinge quasi mitzüchtet – einfach, indem immer einige die Spritzung überleben und sich vermehren. Doch die hier beobachtete rasche Entwicklung und starke Ausprägung der Resistenz wurde selbst in der nüchternen wissenschaftlichen Untersuchung als "extrem" bezeichnet.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Friends of the Earth mahnt:

RNAi-Pestizide stellen ein genetisches Experiment unter freiem Himmel dar. Unbeabsichtigte genetische Konsequenzen könnten vererbt werden und in der Umwelt über Generationen fortbestehen.