Nicht nur Erfüllungsgehilfe der USA

Bei der aktuellen Debatte um die CIA-Flüge wird die Rolle der deutschen Politik kleingeredet

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Vizekanzler Franz Müntefering übt sich in neuer Sachlichkeit. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk erklärte der SPD-Politiker, er könne die tatsächliche oder gespielte Aufregung über die CIA-Flüge nicht verstehen. Da es ein weltweites Terrornetzwerk gebe, müsse auch der Kampf gegen den Terrorismus weltweit geführt werden. Dazu gehöre auch die Gefangenennahme von Verdächtigten. Daher sei auch an den Flügen wenig auszusetzen. "Die Gefangenen an bestimmten Stellen werden ja nicht dahin geschwommen sein, sondern die werden geflogen", so Müntefering.

Doch wohin? Diese Frage, die Müntefering in dem Interview nicht stellte, beschäftigt Menschenrechtler in aller Welt. Dabei spielen sicherlich koalitionstaktische Überlegungen nicht die wichtigste Rolle. Im Gegenteil würden sicher einige Sozialdemokraten gerne zumindest rhetorisch den deutschen Weg von Ex-Kanzler Schröder weiter verfolgen. Noch vor wenigen Tagen hat die ehemalige Bundesjustizministerin und jetzige SPD-Bundestagsabgeordnete Herta Däubler-Gmelin im Deutschlandfunk ein Interview ganz auf dieser Linie gegeben. Allerdings gehört die Politikerin, seit sie 2002 wegen eines umstrittenen Bush-Hitler-Vergleichs ihr Ministeramt aufgeben musste, nicht mehr zu den Entscheidungsträgern in der Partei.

Es ist aber nicht in erster Linie Druck aus den USA, der die Sozialdemokraten gefügig macht. Denen, die die Debatte wieder einmal für ein Lamento über die mangelnde deutsche Souveränität nutzen, muss man zumindest ein extremes Kurzzeitgedächtnis attestieren.

Von der uneingeschränkten Solidarität ...

Es war nämlich Bundeskanzler Schröder, der unmittelbar nach den Anschlägen vom 11.September 2001 ganz souverän und ohne Druck aus Washington den USA die uneingeschränkte Solidarität Deutschlands versicherte. Das drückte sich praktisch auch in bedingungsloser Unterstützung aller Maßnahmen aus, mit denen tatsächliche oder vermeintliche Terroristen dingfest gemacht werden aus. Nur eine Minderheit warnte anfangs vor der Gefahr, dass mit einer uneingeschränkten Solidarität auch ein Blankoscheck für alle Arten von Menschenrechtsverletzungen ausgeschrieben werde.

Solche Kritiker hatten es auch in Deutschland zunächst schwer, sich Gehör zu verschaffen. So sei nur an den Fall des Siegener Pädagogen Nolz (Viel Trouble um einen Peacemaker) erinnert, der zeitweise suspendiert wurde, weil er auf einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Anschlags zur friedlichen Lösung von Konflikten aufgerufen und den Jugendlichen zur Kriegsdienstverweigerung geraten hatte. Das ist nur ein Beispiel für das politische Klima dieser Zeit auch in Deutschland.

Berichte über das Verbringen von Verhafteten in befreundete Staaten, in denen sie nicht nach den Regeln der Menschenrechtskonvention befragt, sprich gefoltert wurden, waren schon damals auch in Deutschland bekannt (Etwas Foltern lassen bei Freunden). Es war nicht der Druck aus den USA, sondern das Klima im eigenen Land, das eine ausführliche Debatte darüber weitgehend verhinderte. Nicht nur die Springerpresse versuchte in den ersten Monaten nach den Anschlägen jegliche Kritik an der Politik der USA als Unterstützung des Terrorismus zu denunzieren. Das Klima änderte sich kurz vor Beginn des Irakkriegs. Die weltweite Front gegen den Terror wurde zwar rhetorisch weiter beschworen, doch längst bestimmten wieder Interessengegensätze zwischen der EU und ihren führenden Staaten wie Deutschland oder Frankreich auf der einen Seite und den USA auf der anderen Seite die politische Tagesordnung.

Schröders deutscher Weg war nur der Begriff, in den diese Interessengegensätze gekleidet wurden. Doch jenseits dieses rhetorischen Schlagabtausches gab es weiterhin beispielsweise bei der sogenannten Terrorismusbekämpfung eine reibungslose Zusammenarbeit der zuständigen Stellen Zudem hatte Schröders Haltung zum Irak-Krieg große Kritik von CDU/CSU und FDP auf sich gezogen, die bei einer erneuten Distanzierung vermutlich wieder laut einen Anti-Amerikanismus gegeißelt und mehr Nähe zur Bush-Regierung beschworen hätten.

Heute wird kolportiert, dass die Verhaftung el Masris durch deutsche Geheimdienstinformationen begünstigt worden sein könnte. Doch was heute skandalisiert wird, war und ist alltägliche Praxis zwischen verbündeten Staaten: die Koordinierung und der Austausch von Informationen im Bereich der Terrorismus- und Verbrechensbekämpfung. Man kann schließlich nicht die uneingeschränkte Solidarität verkünden und dann die konkrete Zusammenarbeit verweigern. Unbestreitbar war und ist hier viel Heuchelei bei der aktuellen Debatte im Spiel, auf die Müntefering in seinem Interview hinwies.

...zur Opferrolle

Es gibt in der jüngeren Geschichte schon Parallelen, wo deutsche Politiker erst eine bestimmte Politik mit anschoben und forcierten, aber später davon nichts mehr wissen wollen. Erinnert sei an das Zustandekommen des Nato-Doppelbeschlusses.

Es war Ende der 70er Jahre hauptsächlich der damalige sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt, der eine Raketenlücke in Europa entdeckt haben wollte und so wesentlich an dem Zustandekommen dieses Beschlusses beteiligt war, der Anfang der 80er Jahre zur Stationierung von Mittelstrecken in Westeuropa führte. Als sich eine breite Protestbewegung zu regen begann, die bis weit in die sozialdemokratische Partei hinein ausstrahlte, wurde die Vorgeschichte umgedeutet. Nur noch die alte Parteigarde um Schmidt und Verteidigungsminister Apel verteidigte den Beschluss und blieb bei den historischen Tatsachen. Für große Teile der Friedensbewegung waren es die USA, die die europäischen Staaten zur Stationierung der Raketen zwangen. So wurde diese Bewegung auch zum ersten Schwungrad für eine eigene europäische Souveränität.

Es bleibt abzuwarten, ob auch die aktuelle Debatte um CIA-Flüge eine solche Entwicklung nimmt. Zumindest ist schon auffällig, dass el Masri in seinen Äußerungen zwar die USA eindeutig anklagt, aber jede offene Kritik an der deutschen Politik vermeidet.

Opfer oder Islamistenfreund?

Umgekehrt wird der Deutsch-Libanese den meisten deutschen Medien ausschließlich als Opfer von US-Machenschaften und vielleicht noch einer Verwechslung dargestellt. Seine angeblichen Verbindungen zu Ulmer Islamistenfreunden, die wohl zu el Masris Verschleppung führten, werden weitgehend ausgeblendet.

„El Masri – Seyam – Binalshibh – Osama?“ Diese Aneinanderreihung konnte durchaus nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland menschenrechtliche Sicherungen durchbrennen lassen. In einem aktuellen Focus-Artikel werden diese Namen mit einem Fragezeichen versehen. Es könnte auch als dezente Warnung an el Masri verstanden werden. Bei Bedarf kann er medial wieder zum Islamistenfreund mutieren.