Nordkoreanische Raketen: Setzt das US-Militär statt auf Abfangraketen lieber auf Cyberangriffe?

Abschuss einer Abfangrakete des Aegis-Systems. Bild: MDA

Angeblich hat es über den Einsatz des Flugzeugträgers Kommunikationsprobleme zwischen dem Weißen Haus und dem Pentagon gegeben

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Mit der Ankündigung, mit dem US-Flugzeugträger Carl Vinson eine "mächtige Armada" nach Nordkorea zu schicken, die aber noch Tausende von Kilometern entfernt ist und an einer Übung mit australischen Streitkräften teilnimmt, hat Trump großes Rätselraten ausgelöst. War alles nur ein Bluff? Weiß man in Washington nicht, was das Pentagon macht? Läuft etwas schief mit dem obersten Kriegsherrn, der sich so gut auf Deals verstehen soll? Trump hatte seine Bemerkung gemacht, nachdem am 8. April Admiral Harry Harris vom US Pacific Command erklärt hatte, der Kampfverband würde Richtung Nordkorea losfahren.

Angeblich handelte es sich um ein Missverständnis zwischen dem Pentagon und dem Weißen Haus, wie ein hoher Regierungsangehöriger CNN gesagt haben soll. Das wäre natürlich höchst beunruhigend.

Kein Wunder, dass US-Vizepräsident Mike Pence, der weiter Drohungen Richtung Nordkorea bei seinem Besuch in Japan äußerte, in einem Gespräch mit CNN versuchte, die Wogen zu glätten, aber zu entkräften, dass Trump desinformiert war oder täuschen wollte: "Der Präsident wollte sagen, dass wir bereit sind. Wir sind bereit, unsere Alliierten in dieser Region zu verteidigen. Wir wollen eine eindeutige Botschaft besonders an Nordkorea senden, dass jeder Versuch, Waffen jeder Art gegen unsere Verbündeten in dieser Region oder gegen amerikanische Truppen im Ausland niedergeschlagen und mit überwältigender Waffengewalt beantwortet wird".

Nordkorea sei die "gefährlichste Bedrohung" in der Region, sagte Pence und versicherte, die US-Regierung habe in absehbarer Zeit nicht vor, in Gespräche mit Nordkorea einzutreten. Am Dienst war das interne Missverständnis jedenfalls aufgelöst worden. Admiral Jim Kilby gab bekannt, dass der Einsatz von USS Carl Vinson um 30 Tage verlängert wurde, um in koreanischen Gewässern Präsenz zu zeigen. Die Übung mit den australischen Streitkräften wurde nach einem Sprecher der Marine verkürzt. Jetzt fahre der Verband endgültig Richtung Norden - als "Sicherheitsmaßnahme". Nächste Woche könne er an der koreanischen Halbinsel ankommen.

Jim Kilby erklärte in einem Statement, dass es die Mission des Kampfverbands sei, den Alliierten und Partnern in der Region "unsere feste Verpflichtung" zu zeigen: "Wir werden der Kern der sichtbaren maritimen Abschreckung sein und unserem nationalen Kommando flexible Abschreckungsoptionen, Zugang zu allen Gebieten und eine sichtbare Präsenz bieten."

Ob damit die Unsicherheiten beiseite geräumt wurden, ist fraglich. Überlegt wird wieder einmal, ob die US-Streitkräfte, wenn nun mal der Verband des Flugzeugträgers vor der Küste wäre, überhaupt in der Lage und willens wären, eine nordkoreanische Rakete abzuschießen, wie das auch mal angekündigt wurde. Die Zerstörer sind mit dem Aegis-Raketenabwehrsystem ausgerüstet, in Südkorea wird das landgestützte THAAD-Raketenabwehrsystem eingerichtet. Beide basieren auf das Abfeuern von Abfang- oder Killraketen, mit denen ballistische Raketen durch kinetische Energie zerstört werden sollen.

Könnte das US-Raketenabwehrsystem überhaupt eine nordkoreanische Rakete abschießen?

Auch auf südkoreanischen Kriegsschiffen ist das Aegis-System vorhanden, das gegenüber dem landgestützten NMD bessere Testergebnisse vorweisen kann (Könnte das US-Raketenabwehrsystem nordkoreanische Langstreckenraketen abschießen?). Aber das US-Raketenabwehrsystem wurde bislang nur in Tests geprobt, unter realen Bedingungen wurde es noch nicht eingesetzt.

THAAD-Test. Bild: MDA

Das Aegis-System soll mit den AN/SPY-1-Radarsystemen bis zu 100 Raketen gleichzeitig verfolgen und Abfangraketen abschießen können. Daten können auch andere US-Zerstörer mit dem Aegis-System oder an japanische bzw. südkoreanische Kriegsschiffe gesendet werden, um eine ballististische Raketen, falls notwendig, mehrfach anzugreifen. Die Kriegsschiffe aller drei Staaten können aber nicht verbunden werden, weil es dafür kein gemeinsames Verschlüsselungssystem gibt. Das Aegis-System hat eine größere Reichweite als das THAAD-System, mit dem es aber auch verbunden werden kann. Der größte Erfolg für das Aegis-System war vermutlich 2008 der Abschuss eines alten Satelliten.

Der letzte Aegis-Test fand Anfang Februar dieses Jahres statt - angeblich erfolgreich. Eine Standard Missile-3 (SM-3) Block IIA schoss eine Mittelstreckenrakete ab. Es war der dritte Flug- und der erste Abschusstest. Der letzte THAAD-Test fand im November 2015 statt. Im Oktober 2012 wurde erstmals eine Mittelstreckenrakete abgeschossen. Die Aussagefähigkeit der Tests wird bezweifelt, da Abschusszeit und -Ort der Raketen, die vom kill vehicle getroffen werden sollen, bekannt ist.

Kann das US-Militär bzw. das Cyberkommando Left-of-Launch-Angriffe führen?

Da der letzte nordkoreanische Raketentest zur Begrüßung von Mike Pence gescheitert ist, wird auch spekuliert, ob das US-Militär bereits in der Lage ist, Raketen mit Cyberangriffen oder elektronischer Kriegsführung am Start zu hindern oder zum Absturz zu bringen. Die New York Times hatte im März berichtet, dass nach Gesprächen mit Angehörigen der Trump- und der früheren Obama-Regierung das Pentagon über kein effektives Abwehrsystem für nordkoreanische Raketenangriffe verfügt. Daher wurde unter Obama schon vor Jahren nach Möglichkeiten gesucht, Raketen schon vor oder direkt während des Abschusses auszuschalten. Das nennt man den Ansatz "left of Launch".

Sea-Based X-Band Radar (SBX auch SBX-1), das Radarsystem von Aegis. Bild: MDA

So wird nun gerne bei jedem gescheiterten Raketenstart vermutet, dass möglicherweise das Pentagon die Hände im Spiel gehabt haben könnte. "Left-of-launch"-Angriffe können Cyberangriffe sein, um Steuerungssysteme zu manipulieren oder lahmzulegen. Als eine Möglichkeit gilt, dass Bauteile für die Steuerung infiziert wurden, sofern Nordkorea diese importieren muss, wie angenommen wird. Eine Infizierung durch einen USB-Stick wie im Fall von Stuxnet ist in Nordkorea vermutlich nicht machbar. Cyberangriffe auf Raketen wären jedenfalls die günstigere und vielleicht auch die effektivere Variante der Raketenabwehr als die teuren Abwehrsysteme mit Radarstationen und Abfangraketen. Allerdings bliebe für beide Seiten unklar, ob ein Raketenstart wegen eines Cyberangriffs oder wegen einer anderen Störung gescheitert ist. Zudem müsste bei einem Cyberangriff klar sein, wo und wann eine Rakete abgeschossen werden soll. Ob das US-Militär vorher weiß, wann die Raketentests erfolgen, ist nicht bekannt.

Das THAAD-System, das die USA in Südkorea unter Einverständnis der alten Regierung und unter Kritik der Oppositionsparteien installiert, dürfte vermutlich nicht vor der Wahl in Südkorea am 9. Mai einsatzbereit sein, wenn überhaupt. Das Aegis-System ist nicht dafür ausgelegt, ballistische Raketen beim Start und Aufstieg abzufangen. Möglich wäre, dass Nordkorea in der Erwartung eine Rakete startet, um damit einen Abschuss zu provozieren.

Wie Kingston Reif, Raketenabwehrexperte von Arms Control Now, erklärt, könnte auch ein Abschuss Nordkorea wertvolle Hinweise liefern. Zudem müssten für ein Gelingen eine Menge Vorbedingungen gegeben sein, beispielsweise die Vorwarnzeit, die verfügbaren Schiffe und Radarsysteme oder die Abschätzung der Flugbahn. Ein Scheitern wiederum wäre für das US-Militär nicht nur peinlich, sondern würde das ganze Konzept des Raketenabwehrschilds mit Abfangraketen in Frage stellen. Das würde nicht nur Nordkorea sowie Russland und China stärken, sondern auch den Versuch der USA in Frage stellen, die Alliierten wie die Nato oder eben Japan und Südkorea unter den Schirm zu bringen und militärisch abhängig zu machen.

Daher meint Reif, es spreche viel dafür, es anders mit Störungen zu versuchen. Wenn das nicht klappt, wäre es auch nicht so offensichtlich. Das ist auch die Überzeugung von Patrick Cronin vom Center for a New American Security. Bekannt ist nicht, ob bereits solche Angriffe ausgeführt wurden und ob sie erfolgreich waren. Das gehört zum Cyberwar, der im Informationsnebel stattfindet.

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