Nordkoreas Atomwaffenprogramm auch ein Phantom der US-Geheimdienste?
Wie sich jetzt herausstellt, gab es weder 2002 noch später Beweise für ein nordkoreanisches Atomwaffenprogramm mit hochangereichertem Uran
Die Krise mit Nordkorea, neben Irak und Iran das dritte Land in der "Achse des Bösen" von US-Präsident Bush, begann 2002, als die Bush-Regierung propagandistisch auch den Irak-Krieg vorbereitete (Update: Die US-Regierung hat dem Kongress die Informationen über das nordkoreanische Atomwaffenprogramm vorenthalten). Offenbar war die Lage, was die angeblichen Geheindienstinformationen in beiden Ländern betrifft, durchaus vergleichbar. Die Bush-Regierung wartete mit der Bekanntgabe des angeblichen, auf Urananreicherung basierenden nordkoreanischen Atomwaffenprogramms noch, bis der US-Kongress dem Präsidenten die Kriegsermächtigung gegeben hatte. Günstig war, dass das nordkoreanische Regime gleich bereitwillig einräumte, ein Atomwaffenprogramm zu haben, 2005 erklärte es, Atomwaffen zu besitzen. Seit 2002 spielte es mit der Drohung, Atomwaffen einzusetzen, um sich zu schützen und Forderungen durchzudrücken.
Wenn man nur lange genug auf Spekulationen beharrt, zumal wenn beide Seiten politischen Nutzen daraus ziehen können, scheint das den Zweifel, der immer gegenüber dem nordkoreanischen Atomwaffenprogramm bestanden hat, allmählich verschwinden zu lassen. Immer wieder wurde allerdings von kritischer Seite betont, dass die nordkoreanischen Atomwaffen ebenso wie Langstreckenraketen mehr Phantom als Wirklichkeit seien. Auch bei dem von Nordkorea im Oktober 2006 durchgeführten unterirdischen Bombentest gab es keine eindeutigen Hinweise darauf, dass es sich wirklich um einen Atombombentest gehandelt hatte, vermutlich wurde Plutonium verwendet (US-Geheimdienstchef bestätigt Atomtest Nordkoreas).
Abgesehen von der langfristigen Strategie der Bush-Regierung, den Ländern aus der "Achse des Bösen", beginnend mit dem Irak, nach und nach wegen ihrer angeblichen Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen militärisch oder auch mit anderen Mitteln einen Regimewechsel zu bescheren, hatte die US-Regierung ein mit Atomwaffen aufgerüstetes Nordkorea vermutlich deswegen gebraucht, um im asiatischen Raum geopolitisch Südkorea und Japan an sich zu binden und die Macht von China und Russland zu beschränken (Die dunkle Bedrohung).
Wie sich jetzt herausstellt, hat Nordkorea vermutlich nie die Möglichkeit gehabt, hochangereichertes Uran herzustellen und daraus Atomwaffen entwickeln zu können. Die Welt scheint wieder einmal zum Zuschauer eines fiktiven Schauspiels auf der politischen Bühne geworden zu sein. Der für Nordkorea zuständige Geheimdienstmitarbeiter Joseph DeTrani berichtete dem Streitkräfteausschusses des Senats am Dienstag, dass es 2002 und später offensichtlich keine Beweise auf ein heimlich betriebenes Programm zur Anreicherung von Uran gegeben hat. DeTrani versicherte zwar, man vermute weiterhin, dass es ein solches Programm gibt, stufte die Zuverlässigkeit der Behauptung aber nur auf einen mittleren Wert. Der "mid-confidence level" bedeute in der Terminologie der Geheimdienste, so DeTrani, dass "die Information auf unterschiedliche Weise interpretiert wird, dass wir alternative Ansichten haben", also kurz: dass es sich um Spekulationen oder Vermutungen handelt. Die Vermutung stützte sich auf Käufe von Zentrifugen und anderem Material, die aber offenbar nie eingesetzt wurden.
die Washington Post berichtet, hatte kurz zuvor Christopher R. Hill vom US-Außenministerium erklärt, dass man nicht wisse, ob Nordkorea überhaupt über die technischen Mittel für eine Atomwaffenentwickelung habe. Noch vor kurzem hatte US-Präsident apodiktisch versichert, ddie Regierung habe 2002 entdeckt, dass "sie Uran mit dem Ziel anreichern, Atomwaffen zu entwickeln". Auch Joel S. Wit, ein ehemaliger Mitarbeiter des US-Außenministeriums, schreibt in dem Artikel Enhancing U.S. Engagement with North Korea, der eben im The Washington Quaterly erscheinen ist, dass die US-Regierung keine Beweise hatte und nur den Behauptungen des nordkoreanischen Regimes Glauben schenkte.
Aufgrund dieser Vermutungen – die nun auch nicht besser begründet gegenüber Iran erhoben und nachdrücklich mit einem Truppenaufmarsch beantwortet werden – kam es dann zu der Krise mit Nordkorea, dem Druck auf die Atomenergiebehörde und den langen Verhandlungen, die nun zu einem Einlenken Nordkoreas – oder eher der Bush-Regierung? - geführt haben. Hier ist schon von der Urananreicherung nicht mehr die Rede, sondern nur noch davon, dass der Reaktor zur Herstellung von Plutonium binnen 60 Tage abgeschaltet und in der Folge alle möglichen Atomwaffenprogramme eingestellt werden müssen. Die US-Regierung hatte 2002 das Abkommen mit Nordkorea aufgekündigt, das daraufhin aus dem Atomwaffensperrvertrag austrat, seine Anlage zur Herstellung von Plutonium wieder anfuhr und so seitdem eine unbekannte Menge an Plutonium herstellen konnte.
Aus dieser Perspektive hat die Bush-Regierung mit der unbegründeten Behauptung der Urananreicherung für Atomwaffen Nordkorea erst ermöglicht, eine unbekannte Menge an waffenfähigem Plutonium herzustellen. Das alles hätte nicht nur einen anderen Verlauf nehmen können, sondern untergräbt vor allem noch einmal dramatisch die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Geheimdienste und der US-Regierung, was ohne Zweifel Folgen für den Iran-Konflikt haben wird, das im Unterschied zu Nordkorea kein waffenfähiges Plutonium herstellen kann. Die Regierung habe, so der demokratische Senator, die Absichten Nordkoreas mit vermeintlichen Erfolgen vermischt.
Warum die US-Regierung jetzt zu einer höchst ungünstigen Zeit eine Kehrtwende einleitet und zugibt, dass es keine verlässlichen Beweise für ein auf Uran basierendes Atomwaffenprogramm gegeben hat, könnte, so vermutet die New York Times, mit dem Verhandlungserfolg mit Nordkorea zu tun haben. Sollte das Land die Bedingungen erfüllen, würde es wieder seine Atomanlagen für internationale Inspektoren öffnen müssen, die dann schnell erkennen könnten, dass es keine Möglichkeit gibt, hochangereichertes Uran herzustellen. Um eine erneute Blamage wie nach dem Einmarsch in den Irak zu vermeiden, fährt man die Behauptungen schon jetzt zurück.