Nordsyrien: Die Zukunft der Kurden nach dem Fall von Rakka
Seite 5: Was hat Russland im Sinn?
Russland verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele in Syrien. Erstens wollen sie ihren Einfluss geltend machen, weil sie den Stützpunkt Latakia am Mittelmeer als Posten im Nahen Osten nicht verlieren möchten. Dafür benötigen sie das mit ihnen verbündete Assad-Regime. Des Weiteren wollen sie verhindern, dass sich im Norden Syriens massenhaft islamistische Turkmenen, Tscherkessen oder Uiguren, die über die Türkei einreisen, niederlassen und die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung verändern.
Auch China ist beunruhigt und betrachtet diese Entwicklung mit Argwohn. 10.000 bis 20.000 Uiguren sollen sich mittlerweile in der von islamistischen Rebellen kontrollierten Provinz Idlib nahe des Kantons der nordsyrischen Föderation Afrin niedergelassen haben und die Demographie deutlich verändern. Die Türkei unterstützt diese Siedlungspolitik aktiv.
Zweitens setzen sie sich für einen Dialog zwischen der syrischen Regierung und der nordsyrischen Föderation ein, in der Hoffnung, dort eine Einigung zu erreichen. Ob dies innerhalb des bestehenden syrischen Zentralstaates oder eines föderalen Staates Syrien erreichbar ist, scheint ihnen zweitrangig. Beide Optionen scheinen möglich, vieles hängt von der syrischen Regierung Assads ab. Diese lehnt bislang eine föderale Lösung für Syrien ab. Dabei mag es nicht einmal Assad persönlich sein, der sich einer solchen Lösung gegenüber sperrig zeigt.
Vielmehr ist zu vermuten, dass es die Strukturen seines Vaters sind, das Militär und die Geheimdienste, die immer noch im Hintergrund agieren und eine konstruktive Lösung innenpolitisch verhindern. Aber die Töne gegenüber der nordsyrischen Föderation werden versöhnlicher. Außenminister Walid al-Muallim begrüßte jüngst das Vorgehen der Kurden in Rakka und unterstrich, dass sich die SDF um die Aufrechterhaltung der territorialen Integrität Syriens bemühen würden. Der syrische Abgeordnete der Baath-Partei, Sadschi Taama äußerte die Hoffnung, dass die SDF, wenn sie Rakka befreit haben, die Stadt den Behörden und den Streitkräften übergeben werden: "Früher ist es schon öfter passiert, dass die Syrischen Demokratischen Kräfte diese oder jene Gebiete befreiten und sie Damaskus' Kontrolle überließen."
Die SDF wollen jedoch die Bevölkerung von Rakka darüber entscheiden lassen, ob sie sich der Föderation anschließen oder sich unter die direkte Kontrolle der syrischen Regierung begeben wollen. Ein eigens dafür gegründeter Zivilrat soll den Prozess der Entscheidungsfindung vorbereiten.
Das Verhältnis zwischen Russland und der Föderation ist zurückhaltend bis solidarisch. Als die türkische Regierung im April begann, Dörfer des Kantons Afrins zu attackieren, schoben sich russische Einheiten als Puffer dazwischen. Das scheint aber die türkischen Militärs nicht davon abzuhalten, an den Punkten, an denen keine russische Präsenz ist, den Kanton weiterhin zu attackieren.
Ob die von Russland eingeführten und bei den Verhandlungen in Astana/Kasachstan verabschiedeten Deeskalationszonen zu einem Durchbruch in Syrien führen werden, steht in den Sternen. Verstöße gegen die Vereinbarungen wurden schon Stunden nach Inkrafttreten gemeldet. In der Provinz Idlib, wie auch in Al-Bab kämpfen islamistische Milizen gegeneinander, um sich Einfluss und Macht zu sichern. Im Moment ist es sehr ruhig geworden um die sogenannten Deeskalationszonen. Ob sie als solche überhaupt noch existieren, lässt sich nicht verfizieren.
Die Pläne der nordsyrischen Föderation nach Rakka
In einem Interview der Jungen Welt mit der Co-Vorsitzenden des Rates der Demokratischen Föderation Nordsyrien (DFNS), Hediye Yusif zum Bündnis mit den USA wird ausgeführt:
Unsere Beziehungen mit den USA betreffen den Kampf gegen den IS. Das von uns aufgebaute neue Gesellschaftsmodell ist davon keineswegs betroffen, das heißt, wir müssen keine Abstriche machen. Beide Seiten haben ihre Interessen, das sagen wir auch ganz klar. Unser Bündnis mit den USA ist nicht strategisch und unsere Beziehungen sind die zwischen Parteien auf gleicher Augenhöhe. Es ist daher absurd zu behaupten, dass wir von den USA ausgenutzt werden. Wir haben einen gut entwickelten, äußerst demokratischen Gesellschaftsentwurf, den niemand von außen so einfach ändern kann. Das bleibt auch so, wenn wir mit dem Baath-Regime ernsthaft über ein neues Syrien verhandeln sollten.
Hediye Yusif
Entgegen anderslautenden Behauptungen habe die Föderation keinerlei Expansionspläne ans Mittelmeer, erklärte Yusif. Es gehe auch nicht um eine Abspaltung von Syrien. Die Föderation sei ein Teil von Syrien und das solle auch so bleiben. Vielmehr gehe es darum, für ganz Syrien eine Lösung zu finden. Darüber würden sie mit Russland, den USA und den anderen in Syrien engagierten Ländern sprechen. Diesem Ziel sollte angesichts der rundum feindlichen Kräften und den geostrategischen Interessen der Großmächte Respekt gezollt werden.
Doch wie geht es in der Region um Rakka weiter? Die nordsyrische Föderation hat nicht nur mit dem IS zu kämpfen. Sie hat auch durch das Embargo von allen Seiten enorme Versorgungsprobleme. Dabei haben sie zusätzlich zur ansässigen Bevölkerung viele Binnenflüchtlinge aus anderen syrischen Gebieten zu versorgen. Die ökonomisch unterentwickelte Region kann nicht aus eigener Kraft alle notwendigen Ressourcen zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten, Maschinen, Baumaterialien etc. aufbringen.
Mit der Einnahme von Rakka ist der IS in Syrien längst noch nicht besiegt. Das wissen alle Beteiligten. Die noch in Rakka verbliebenen IS-Terroristen werden sich gen Süden Richtung Deir el-Zor bewegen. Die SDF sollten ihnen folgen, um auch nach Süden entlang der irakischen Grenze vorzudringen. Mit der Einnahme von Deir el-Zor könnten sie einen Versorgungskorridor in irakisches Staatsgebiet in der Nähe von Kirkuk schaffen, das außerhalb der kurdischen Autonomieregion Barzanis auf irakischem Territorium liegt. Dies liegt im Wirkungsbereich der irakischen Armee und der kurdischen Oppositionspartei PUK, die den SDF wohlgesonnener sind.