Nordsyrien: Die Zukunft der Kurden nach dem Fall von Rakka

Seite 2: Kurden sind politisch keine homogene Gruppe

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Die Kurden sind ein Volk von rund 30 Millionen und sie sind die Urbevölkerung von Teilen der Türkei, Syriens, des Iraks und Irans. In allen Ländern, mit Ausnahme des Iraks, wurden und werden sie als ethnische Minderheit nicht anerkannt. Die Wurzeln der politischen Differenzen zwischen der PKK und der KDP liegen in der Geschichte: Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Parteien ist die Orientierung von Barzani auf seine Stammesstruktur im Irak, während die PKK in den 1970er Jahren in der Türkei als politische Befreiungsbewegung gegen die Unterdrückung und den Assimilierungsdruck durch den türkischen Nationalismus entstanden ist.

Das Gleiche gilt für die syrischen Kurden, wo Stammesstrukturen - im Gegensatz zu der arabischen Bevölkerung - eine untergeordnete Rolle spielten und spielen. Sie haben eine größere Nähe zu den Kurden in der Türkei, da zwischen Nordsyrien und der Türkei ganze Familien durch die willkürliche Grenzziehung in den 1920er Jahren quer durch Städte und Dörfer entlang der Bagdad-Bahn zerrissen wurden.

Die beiden kurdischen Gruppen führen im Wesentlichen ihre politischen Philosophien auf eine von zwei Gründungsfiguren zurück: Mustafa Barzani und Abdullah Öcalan. Der grundsätzliche Unterschied zwischen den beiden ist, dass Mustafa Barzani, der Vater des derzeitigen Präsidenten der kurdisch-irakischen Regionalregierung (KRG), Massoud Barzani, den Aufbau eines nationalistischen kurdischen Staates auf der Grundlage der Aristokratie und der Herrschaft von Wenigen forderte, während Öcalan einen sozialistischen Weg favorisierte, indem die Menschen, ungeachtet der ethnischen und religiösen Herkunft, gleichberechtigt sind.

Im Laufe der Zeit entwickelte Öcalan seine Ideen vom Sozialismus hin zum Föderalismus. Er glaubte, eine Demokratie, in der Macht dezentralisiert ist, sei der beste Weg, um individuelle und kollektive Freiheiten zu schützen.

Die heutige Umsetzung der beiden Wege

Die irakische Partei KDP von Massoud Barzani entspringt aus der barzanischen Denkschule. Der konservative Stammesfürst Massoud Barzani regiert daher die Autonome Region Nordirak autoritär-feudalistisch. Macht und Reichtum konzentrieren sich in den Händen der Familie Barzani und ihrer Freunde. Barzani geht es nicht um Solidarität unter Kurden. Ihm geht es um die Bewahrung der Macht seines Clans, daher versucht er nicht nur im Irak seine kurdischen politischen Gegner, die PUK und Gorran-Partei auszuschalten. Auch in Nordsyrien versucht er mit seiner Partei KDP-S und den Rojava-Peschmergas das demokratische System zu torpedieren.

Öcalans Denkschule erstreckt sich dagegen auf die PYD in Nordsyrien, die türkische Demokratische Partei (HDP) und die PKK in der Türkei sowie Teile der Eziden im Irak und Teile der Kurden im Iran. All diese Gruppen haben Öcalans Ideen jeweils anders umgesetzt und verfolgen den örtlichen Gegebenheiten entsprechend verschiedene Ziele.

So gehen die Kurden der demokratischen Föderation Nordsyrien einen anderen Weg als ihre Brüder und Schwestern in der Türkei - trotz gleicher Denkschule. "We are not PKK, no matter how often Erdogan says otherwise", sagt Aldar Khalil von TEV-Dem in einem Kommentar. In Nordsyrien wurde eine ganz andere Organisationsstruktur als die der PKK in der Türkei aufgebaut.

Auch der militärische Arm, die SDF, ist anders aufgebaut, als es die Guerilla der PKK ist. In der Türkei scheiterte der Aufbau ähnlicher Selbstverwaltungsstrukturen bekanntlich an der Haltung der türkischen Regierung, während "Rojava" in Nordsyrien weitgehend von der syrischen Regierung in Ruhe gelassen wurde. Wie lange noch, das ist eine andere Frage.

Die Bewertung der PKK ist in den 1970er/80er Jahren stehengeblieben

Die Anfänge der PKK als Befreiungsbewegung mit einer bewaffneten Guerilla-Armee sind nicht besonders ruhmreich. Die stalinistische Ausrichtung, die Eliminierung von Kritikern in den eigenen Reihen, unsinnige Anschläge auch in Europa- all dies führte in Europa dazu, dass sie innerhalb der linken Bewegung ein Schattendasein führte. Eine Folge war unter anderem, dass es wenig Solidarität und Auseinandersetzung mit der kurdischen Frage in der Türkei und der Diaspora gab.

Dies änderte sich erst, als sich auch die Strukturen und politische Ausrichtung der PKK in den 1990er Jahren änderten, als die PKK Selbstkritik übte und als sie in den 2000er Jahren den Dialog zur türkischen Regierung suchte. Langsam drangen auch die theoretischen Texte über demokratisch-föderative Gesellschaftsmodelle, Frauenbefreiung und Gleichberechtigung aller ethnischen und religiösen Minderheiten von Abdullah Öcalan, dem Idol und Vorbild der Bewegung nach Europa.

Internationalisten aus Europa schlossen sich der Guerilla an und trugen ihre Erfahrungen nach Europa. Bundesdeutsche Regierungen interessierten sich nicht für demokratische, emanzipatorische Bewegungen, wenn sie nicht mit ihren politischen Allianzen kompatibel waren. Es war immer wichtiger, die Türkei als NATO-Vorposten im Nahen Osten zu stützen, als die Stimmen aus der dort lebenden Bevölkerung zu hören.

Eins zu eins wurde die Meinung der damaligen türkischen Regierung übernommen und die PKK als Terrororganisation gelistet. Dort steht sie bis heute ohne Überprüfung, ob dies noch den Realitäten entspricht. Obwohl der Verfassungsschutz der PKK seit Jahren keine terroristischen Aktivitäten in Deutschland bescheinigt.

Deutschland und das Problem mit Rojava

Die Bundesregierung identifizierte 2014 sehr schnell, dass die Peschmerga der konservativen KDP die "guten" Kurden seien, die es zu unterstützen galt. Obwohl beim Kampf gegen den IS im Shengal im Herbst 2014 mit vielen Bildquellen vor Ort belegt wurde, dass es die HPG, die Guerillas der PKK und die YPG aus Rojava waren, die die Eziden vor weiteren Massakern bewahrt hatten und die KDP-Peschmergas vor dem IS-Angriff das Weite suchten, - nicht ohne die Eziden vorher entwaffnet zu haben mit dem Argument, sie seien doch für ihren Schutz da.

Verteidigungsministerin von der Leyen war sich nicht zu schade, in einer TV-Sendung gebetsmühlenartig zu behaupten, die Peschmergas Barzanis hätten die Eziden gerettet, während im Hintergrund Videos liefen, die eindeutig die Fahnen der HPG (Guerilla der PKK) und Einheiten der YPG/YPJ zu sehen waren, die den Korridor für die Menschen nach Rojava freikämpften. Aufgrund der vielen Flüchtlinge und des Rundum-Embargos von Türkei, Nordirak (Barzani) und Assad baten die Repräsentanten von Rojava international um Hilfe. Die Resonanz war spärlich.

Nur begrenzt durften Hilfsgüter vom Nordirak nach Rojava. Die Türkei untersagte jegliche Hilfe genauso wie die syrische Regierung. Da Rojava, bzw. die "demokratische Föderation Nordsyrien" international nicht als politische Körperschaft anerkannt ist, können europäische Staaten nicht ohne weiteres Hilfsgüter auf Staatskosten liefern - so die offizielle Argumentation. Trotzdem flossen offensichtlich Gelder der Bundesregierung zu der in Nordsyrien aktiven oppositionellen Organisation ENKS, auch Kurdisch National Council (KNC) genannt.

Dieser Organisation gehören auch der in Berlin lebende Siyabend Haco und seine deutschen Ehefrau an. Mit Vehemenz versuchen sie, die basisdemokratischen Strukturen zu torpedieren. Haco ist Besitzer des in Qamishlo ansässigen Radiosenders Hêvî. Der Sender betreibt mit Unterstützung der türkischen Regierungspartei AKP und der Barzani-Partei KDP Propaganda gegen die Föderation.

ANF veröffentlichte eine Liste, aus der hervorgeht, dass der Sender von der Bundesregierung mehr als 110.000 Euro erhielt. Die Bundesregierung bestätigte, dass das von Haco und seiner Ehefrau gegründete "kurdische Forschungszentrum", das ebenfalls in der Liste aufgeführt ist, mit einer Million Euro subventioniert wurde.

Damit unterstützt die Bundesregierung im Verbund mit Barzani und Erdogan de facto die Opposition gegen die von den USA unterstützte "Demokratische Föderation Nordsyrien". Die ENKS ist ein Zusammenschluss verschiedener kleiner syrischer Parteien, die in der Föderation Teil der Opposition sind.