"Nostalgia" - ein faszinierendes Bild von Neapel und der Mafia

Seite 2: Mafia-Jäger Falcone, Gladio und korrupte Richter

Am 23. Mai 1992 war der legendäre Mafia-Jäger Falcone ermordet worden, zwei Monate später sein Kollege Borsellino. Vor allem Falcone hatte durch seine unerschrockenen Ermittlungen den großen "Maxi-Prozess" gegen die Mafia ermöglicht, dessen Urteile leider in höherer Instanz annulliert wurden – vom später wegen Mafia-Korruption verurteilten Richter Corrado Carnevale.

Auch Carnevale selbst wurde später in höherer Instanz freigesprochen – nach gut drei Jahren Prozessdauer, 35.000 Seiten Prozessakten und zehn ihn unabhängig voneinander belastenden, geständigen Mafia-Insidern.

War alles nur ein Justizirrtum? Oder wie kann eine Mafia derart viel Einfluss in Staat und Justiz erlangen? Auch Falcone selbst kamen vor seiner Ermordung Zweifel, ob er es nur mit organisierter Kriminalität allein zu tun hatte. 1989 sollte bereits ein Sprengstoffanschlag auf Falcone verübt werden, wobei nur ein enger Kreis aus Justiz und Geheimdiensten die dafür nötigen Informationen besaß. Falcone kommentierte dies:

Wir sehen uns mit raffiniertesten Hirnen konfrontiert, die versuchen, gewisse Aktionen der Mafia zu lenken. Möglicherweise existieren Verbindungspunkte zwischen der Führung von Cosa Nostra und geheimen Machtzentren, die von anderen Interessen geleitet sind.

zit.n.Igel S.395

Regine Igel sieht darin bei Falcone den Verdacht, dass ein Geheimdienst in den Anschlagsversuch verwickelt war. Auch die italienische Presse brachte den SISDE-Chef Bruno Contrada damals ins Gespräch.

Doch ein Contrada handelt nicht nicht auf eigene Faust. Es muss eine politische Instanz, eine 'Entität' für Auftrag und Deckung des Geheimdienstmannes und seiner Helfer geben.

Igel ebd.

Falcone war ihrer Analyse nach seit den Gladio-Enthüllungen Andreottis 1990 der Connection Gladio-Mafia auf der Spur – bis er 1992 ermordet wurde. Igels Analyse lässt kaum Zweifel, dass der SISDE wie seine Vorläufer-Geheimdienste von der CIA kontrolliert wurde und in einem Netzwerk von Mafia, Logen wie der P2 und der heute zunehmend mit Schweigen bedachten Nato-Geheimarmee Gladio agierte.

Der heute 92-jährige Geheimdienst-Boss Contrada wurde 2007 zu zehn Jahren Haft verurteilt, 2012 sein Antrag auf Wiederaufnahme abgewiesen, 2014 kam ihm jedoch der EuGH zu Hilfe: Die ihm nachgewiesene Mafia-Korruption sei im Tatzeitraum 1979-88 im italienischen Recht nicht strafbar gewesen. 2017 wurden die Urteile aufgehoben und Contrada rehabilitiert.

Andreottis Christdemokraten-Partei DC, die Italien seit dem Zweiten Weltkrieg dominiert hatte, zerfiel nach seinem Sturz. Mit dem Aufstieg der rechtspopulistischen Berlusconi-Partei Forza endeten die aufsehenerregenden Anti-Mafia-Kämpfe der italienischen Justiz, doch wie Regine Igel meint, "...die Ruhe sagt wenig darüber aus, ob die Mafia besiegt sei." (Igel S.412)

In Berichten über Mafia-Verbrechen dominiert heute die kalabrische ’Ndrangheta, die reichste Mafia Italiens, agiert weltweit. Mit über 50 Milliarden Euro hauptsächlich aus Kokainhandel und krimineller Giftmüll-"Entsorgung" soll sie drei bis vier Prozent des BIP Italiens erwirtschaften. Nach einem besonders abscheulichen Kindsmord in Kalabrien exkommunizierte Papst Franziskus 2014 alle Mitglieder der ’Ndrangheta – die Camorra Neapels offenbar nicht. Viel weiterer Stoff für Mafia-Filme.

Literaturverzeichnis

  1. Igel, Regine: Terrorjahre: Die dunkle Seite der CIA in Italien, Herbig, München 2006
  2. Leyendecker, Hans, R.Rickelman, G.Bönisch, Mafia im Staat: Deutschland fällt unter die Räuber, Knaur, München 1993

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