Nur ein kleiner, unbedeutender Fehler

Der Leiter des US-Raketenabwehrsystems versichert, das Scheitern des letzten Tests bedeute nicht, dass das System nicht funktionsfähig sei

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Obwohl die Technik für das geplante Raketenabwehrsystem bei weitem nicht ausgereift war, beschloss US-Präsident Bush schon im Dezember 2002, dass es ab Ende 2004 schrittweise zumindest für einen partiellen Schutz eingerichtet werden soll (Die große Mauer). Das technische und viele Milliarden schwere Mammutprojekt der Bush-Regierung, wie so vieles ein Überbleibsel der Reagan-Zeit, sollte auch dann bereits Fuß gefasst haben, falls Bush nicht wieder gewählt werden sollte. Die ersten Abfangraketen wurden, ohne weitere Tests durchzuführen, bereits in Alaska und Kalifornien abschussbereit in Silos stationiert ("Sie starten eine Rakete, wir schießen sie ab").

Der erste Test seit langer Zeit, der im Dezember des letzten Jahres die Funktionsfähigkeit, wenn auch unter sehr artifiziellen, also realitätsfernen Bedingungen, beweisen sollte, ging schief. Die Abfangrakete hob nicht einmal ab, der Start wurde automatisch abgebrochen. Der 100 Millionen US-Dollar teure Test schien also erst einmal nur zu demonstrieren, dass der Schutz nicht allzu groß sein würde, den das System bietet (Test für Raketenabwehrsystem gescheitert).

Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, dass das von Donald Rumsfeld in einem vor der Präsidentschaft von Bush verfassten Bericht beschworene Pearl Harbor aus dem Weltraum in nächster Zeit stattfinden könnte. Die USA sind derzeit, anders als während des Kalten Kriegs, nicht von Staaten bedroht, die über Langstreckenraketen verfügen. Die Bedrohung, allen voran ausgehend von Nordkorea und dann von Iran, ist eher theoretischer Natur, weitaus größer ist die Gefahr von Terroranschlägen, gegen die das teure Raketenabwehrsystem aber überhaupt nichts nutzt.

Der Washington Post berichtete nun Henry "Trey" Obering III, der die Missile Defence Agency leitet, dass nur ein "sehr kleiner" Softwarefehler für das Scheitern des letzten Tests verantwortlich gewesen sei. Den Fehler könne man jedoch leicht korrigieren - und er habe keinen Einfluss darauf, dass man mit dem vorhandenen System die USA vor feindlichen Raketen schützen könne.

Das Problem habe darin bestanden, dass zu viele Daten in dem Signalstrom zwischen dem Flugcomputer und dem System, das den Antrieb der Abfangrakete steuert, verloren gegangen seien (möglicherweise aber ist der verwendete Datenbus zu langsam, wie Kritiker meinen). Die Ingenieure hätten nur die Menge der zulässig fehlenden Informationen zu sehr begrenzt (diese könne man, so Obering, ohne Risiko verdoppeln). Das habe dann zum automatischen Abbruch des Starts geführt. Ein Fehler dieser Art käme aber "sehr selten" vor - und im Ernstfall wäre dann einfach eine andere Abfangrakete gestartet. Zumindest gegen eine einfache Langsteckenrakete, die ohne Attrappen oder andere Täuschungsstrategien für die Erkennungs- und Verfolgungssystem des kill vehicle ausgestattet ist, wäre das Raketenabwehrsystem wirksam, behauptet Oberin.

Noch freilich arbeitet das System nicht rund um die Uhr, Oberin wollte dazu auch keine genaueren Angaben machen. Das hieße nämlich auch, dass das System als voll funktionsfähig erklärt würde. Möglicherweise werde dies aber gar nicht geschehen, meinte der Pentagon-Sprecher Larry di Rita. Das System werde ständig verbessert (evolutionär nennt das Pentagon dieses Vorgehen). Man will offenbar vermeiden, ganz in die Schusslinie der vielen Kritiker zu geraten. Allerdings wäre der Test, auch wenn er erfolgreich gewesen wäre, wenig realistisch gewesen. Das Ziel war mit einem GPS-Sender ausgestattet und vom Radar erfasst, also von vorneherein identifiziert und kaum zu verfehlen, zudem würde ein Angreifer, der über die vielfach publizierten Schwächen Bescheid wissen sollte, sicherlich nicht nur eine Rakete, sondern mehrere starten, womit das System in der gegenwärtigen Verfassung nicht zurecht kommen würde.