"Offene Beobachtung" des Linken Ramelow durch Verfassungsschutz ist angemessen

Das Bundesverwaltungsgericht kam zu einem fragwürdigen Urteil, wenn nun Abgeordneten, die keine "verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgen", nachspioniert werden darf

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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat gestern das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom Februar 2009 kassiert, das dem Verfassungsschutz verboten hatte, weiter Bodo Ramelow, Thüringer Fraktionschef der Linken und ehemaliger linker Bundestagsabgeordneter, zu überwachen, wie dies seit 1999 geschehen ist. Das sei unverhältnismäßig, da Ramelow nicht durch verfassungsfeindliche Äußerungen aufgefallen sei.

Allerdings traf dieses Urteil nur auf den Abgeordneten Ramelow, nicht aber auf alle Abgeordneten der Linkspartei oder auf diese insgesamt zu. Auch das Verwaltungsgericht Köln hatte es zuvor nicht für zulässig angesehen, dass Ramelow vom Verfassungsschutz beobachtet wird, auch wenn dies angeblich nur aufgrund von frei zugänglichen Informationen geschah und Reden oder Abstimmungen im Bundestag nicht einschloss.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz legte Revision ein, Ramelow und die Linken hofften nun, dass die Bundesverwaltungsrichter einen Schlussstrich unter die generelle Beobachtung der Partei und die einzelner Abgeordnete ziehen würden. Erst vor kurzem hatte Heinz Fromm, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Link auf www.heise.de/tp/blogs/8/147698, dass die Linkspartei weiter unter Beobachtung stünde. Zwar gestand er zu, dass es nur in Einzelfällen eine Verbindung zum Linksextremismus gebe, was für die Organisation aber nicht zutreffe. Der Verfassungsschutz, so erklärte Fromm, beobachte allerdings nicht nur militante Strukturen, sondern habe auch den Auftrag, "jegliche Form des politischen Extremismus" zu beobachten. Und dieser sei in der Linkspartei wegen der in ihr "integrierten offen extremistischen Zusammenschlüsse" gegeben.

Die Repräsentanten des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatten vor dem Gericht ebenfalls erklärt, es gäbe eine "unverminderte Dichte an Anhaltspunkten" für verfassungsfeindliche Bestrebungen in der Linkspartei. Man habe sich nicht von Bestrebungen zur Überwindung des Kapitalismus distanziert (was freilich nicht an sich schon verfassungswidrig wäre, es sei denn die Verfassung würde den Kapitalismus als einzige Wirtschaftsordnung stützen). Offen extremistisch würde sich die Kommunistische Plattform gebärden, die nach dem Verfassungsschutzbericht "weiter für die Überwindung des Kapitalismus und das Ziel Sozialismus" kämpfe. Zudem hätten sich die Linken nicht wirklich vom DDR-Unrechtsstaat distanziert und die Partei habe eine Aversion gezeigt, Gauck zum Bundespräsidenten zu wählen. Aber reicht dies schon als Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen aus?

Das Bundesverwaltungsgericht wischte nun aber alle Bedenken weg. Eine Beobachtung sei auch dann zulässig, wenn der Beobachtete, selbst wenn er Abgeordneter eines Landtags oder des Deutschen Bundestags ist, nicht selbst "verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge", aber in "den Parteien PDS, Linkspartei.PDS und DIE LINKE" tätig sei, in denen es "Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen" gebe. Das prüfte das Bundesverwaltungsgericht nicht nach, sondern nahm es als gegeben hin, weil man "aus revisionsrechtlichen Gründen an die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gebunden" sei, dass dies festgestellt habe. Das wirkt dann doch sehr konstruiert.

Rechtens sei jedenfalls eine "offene Beobachtung", die nicht nur verhältnismäßig, sondern sogar "angemessen" sei, da Ramelow in der Linkspartei führender Funktionär sei, selbst wenn "die nachrichtendienstliche Beobachtung von Parlamentsabgeordneten", wie das Gericht einräumt, "erhebliche Gefahren im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit und auf die Mitwirkung der betroffenen Parteien bei der politischen Willensbildung und damit für den Prozess der demokratischen Willensbildung insgesamt" birgt. Diese erheblichen Gefahren müssen aber nach Ansicht des Gerichts aufgrund "des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" hintanstehen, weil dieser ein besonderes Gewicht habe.

Der Welt sagte Ramelow, er halte das Urteil für eine "krasse Fehlentscheidung", es setze "sämtliche rechtsstaatliche Maßstäbe außer Kraft". Überdies sei er kein führender Funktionär mehr, wie das Gericht unterstellt. Schwer wiegt auch der Vorwurf, dass das Gericht sich für die Interessen der anderen Parteien einspannen lasse. Zudem meint Ramelow, dass selbst die Forderung nach Verstaatlichungen von Unternehmen kaum als verfassungswidrig angesichts der Handlungen der Bundesregierung bezeichnet werden können: "Aber wer hat denn zuletzt die Hypo Real Estate verstaatlicht? Sahra Wagenknecht? Oder die Bundesregierung?", so Ramelow.

Die Linke überlegt nun, vor das Bundesverfassungsgericht oder auch vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen. Die Chancen für Ramelow dürften dabei nicht schlecht sein. Wenn der das Bundesamt für Verfassungsschutz vertretende Anwalt meinte, man könne doch die Behörde nicht daran hindern, öffentlich zugängliche Informationen, die auch für jeden anderen offenstehen, zu sammeln und zu nutzen, dann ist hier tatsächlich eine Schieflage. Schließlich wird dem Beobachteten damit von einem Staatsorgan unterstellt, dass er ein mögliches Risiko darstellt, was dann auch noch in den Verfassungsschutzberichten publiziert wird. Hier scheint dem Verfassungsschutz oder seinem Vertreter jede Verhältnismäßigkeit abzugehen.

Auch Politiker der Grünen hatten die Beobachtung von Abgeordneten kritisiert, Union und die FDP halten dagegen ihre Bedenken zurück, sofern sie denn solche haben sollten und sich nicht freuen, wenn die politische Konkurrenz weiterhin unter Generalverdacht steht. Bosbach (CDU), der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, hält das Urteil für "überzeugend", auch das Bundesinnenministerium unter Schäuble begrüßt das Urteil, das der "wehrhaften Demokratie" zugute komme.

Immerhin sagte Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) der MZ: "Das ist ein absurdes Urteil. Die Linkspartei ist eine politische Realität und eine verfassungskonforme, demokratische Partei." Er kenne Ramelow als "streitbaren Politiker, der für seine Überzeugungen eintritt. Das ist das Wesen der Demokratie. Ich habe keine Hinweise darauf, dass er sich außerhalb der Verfassung bewegt." Aber in der SPD ist man gegenüber der Haltung zur direkten Konkurrenzpartei uneins. In NRW wird die Linkspartei nach einer Entscheidung des Innenministers Ralf Jäger (SPD) weiter beobachtet, obwohl die rot-grüne Minderheitsregierung auch auf die Kooperation mit dieser angewiesen sein wird. Nur in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wird vom Verfassungsschutz die gesamt Partei beobachtet, in anderen nur die "extremistischen" Strömungen oder gar nicht mehr.