Olaf Scholz und Christoph Krupp - eine Männerfreundschaft, die sich lohnt

Bild Olaf Scholz: Bundesministerium für Finanzen / CC-BY-2.0

Die Ernennung des neuen "Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Produktion von Corona-Impfstoffen" klingt mehr nach Parteienklüngel als nach fachlicher Überlegung

Der promovierte Physiker, Sozialdemokrat und langjährige Verwaltungsfachmann Christoph Krupp folgt dem Ruf des jetzigen Finanzministers Olaf Scholz (SPD) seit einem Jahrzehnt: Vom Bezirksamt im Hamburger Stadtteil Bergedorf ins Rathaus an der Alster, von Hamburg nach Bonn und nun von Bonn nach Berlin. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass er seine neue Aufgabe von Berlin aus erledigen wird.

Zumindest vorübergehend soll er der neue "Impfstoffbeauftragte der Bundesregierung" werden und in dieser Funktion allerdings nicht dem Finanz-, sondern dem Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) unterstellt sein. Eine Personalentscheidung mit Gschmäckle. Oder, wie wir hier im Norden sagen: Der Hamburger Filz lässt grüßen.

Die Rechnung ging nicht auf

Haben Sie jemals von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) gehört? Vermutlich nicht. Am 9. Dezember 2004 wurde das Gesetz über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben erlassen, in dem festgelegt wurde, dass die Behörde dem Bundes-Finanzministerium unterstellt und seinen Sitz in Bonn haben werde. Als Zweck wurde seinerzeit formuliert:

Sie trägt die Bezeichnung "Bundesanstalt für Immobilienaufgaben" (BImA). Die Bundesanstalt nimmt die ihr vom Bund übertragenen liegenschaftsbezogenen sowie sonstigen Aufgaben eigenverantwortlich wahr. Hierzu gehört insbesondere die Verwaltung von Liegenschaften, die von Dienststellen der Bundesverwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben genutzt werden (Dienstliegenschaften). Die Bundesanstalt hat das Ziel, eine einheitliche Verwaltung des Liegenschaftsvermögens des Bundes nach kaufmännischen Grundsätzen vorzunehmen und nicht betriebsnotwendiges Vermögen wirtschaftlich zu veräußern.

Gesetz über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImAG), § 1 Errichtung, Zweck, Sitz

In erster Linie sollten durch die BImA, die am 1. Januar 2005 ihre Arbeit aufnahm, die Verwaltungskosten gesenkt werden. Doch eine Analyse des Bundesrechnungshofes von 2010 ergab, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde.

Zur Zeit der Gründung der Behörde war Christoph Krupp Leiter des Bezirksamtes des Hamburger Bezirks Bergedorf. Bezirksämter sind die öffentlichen Verwaltungen der sieben Hamburger Bezirke, die indes letztlich keine eigenständigen Verwaltungen, sondern der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke unterstellt sind.

Bezirksamtsleiter sind Verwaltungsangestellte im Dienste dieser Behörde, die Stellen werden öffentlich ausgeschrieben, die betreffenden Personen von der Bezirksversammlung gewählt und dann vom Senat für eine Amtsdauer von zunächst sechs Jahren eingesetzt.

Dieses Amt bekleidete Krupp seit 2001, dem Jahr, in dem in Hamburg eine Ära zu Ende ging: 40 Jahre lang hatte die SPD die Hansestadt regiert, nach der Bürgerschaftswahl am 23. September 2001 bildete die CDU (26,2%) mit knapper Mehrheit eine Koalition mit der Schill-Partei (19,4%) und der FDP (5,1%).

Die SPD bekam zwar mit 36,5% mit Abstand die meisten Stimmen, doch die Grünen, mit der die Sozialdemokraten seit 1997 koalierten, rutschten von 13,9 auf 8,6% und damit wurde die Fortsetzung der rot-grünen Koalition unmöglich.

Ein Freund, ein guter Freund

Erst bei den Wahlen am 20. Februar 2011 gelang es der SPD mit 48,4% erneut die Regierung zu stellen. Insgesamt stellte die SPD mit 62 von 121 Abgeordneten ganz knapp die absolute Mehrheit. Spitzenkandidat der SPD war seinerzeit Olaf Scholz, der bis 2018 das Amt des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) bekleidete.

Zum Leiter der Senatskanzlei im Range eines Staatsrats wurde der Bergedorfer Bezirksamtsleiter Christoph Krupp berufen. Dieser sei "ein guter Freund von mir" betonte Olaf Scholz, inzwischen Bundesminister der Finanzen, am 4. März 2021 in der Sendung Markus Lanz des ZDF.

In Folge der Bundestagswahl am 24. September 2017 wurde nach langem Hickhack und vielen Bildern vom Balkon eine große Koalition aus CDU und SPD gebildet; Olaf Scholz wurde am 14. März 2018 zum Finanzminister und Stellvertreter der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) berufen.

Christoph Krupp wurde am 1. Oktober 2018 zum Sprecher der BImA bestellt. Die Behörde ist wie erwähnt dem Finanzminister unterstellt, der seinem "guten Freund" bei dem sicherlich lukrativen Job sicherlich nicht im Weg stand. Seitdem steht Christoph Krupp einer Behörde vor, die zwar ihren Zweck nicht zu erfüllen scheint und vermutlich nicht nur durch den Sitz in Bonn ein von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerktes Leben abseits des allgemeinen Polittheaters führt.

Das kann sich für Christoph Krupp nun ändern: In seiner neuen Funktion soll er nicht nur garantieren, dass die Impfstoffproduktion in Zukunft klappt, sprich so viel Produktionskapazitäten zur Verfügung gestellt werden, dass die Vakzine in Deutschland hergestellt werden können, sondern er soll sicherstellen, dass genügend Rohstoffe vorhanden sind und die Lieferketten funktionieren. Doch damit nicht genug. Jana Frielinghaus schreibt im Neuen Deutschland (ND):

"Nebenbei" soll er daran arbeiten, Deutschland mittelfristig zu einem der führenden Impfstoffproduktionsländer der Welt zu machen. Dafür wird ein Förderprogramm aufgelegt, um Investitionen in Produktionsstätten attraktiver zu machen.

Jana Frielinghaus, Neues Deutschland

Dass Deutschland ganz vorn bei Big Pharma mitmischen solle, dieses Ziel formulierte CDU-Kanzlerkandidatur-Bewerber Friedrich Merz in der Sendung Markus Lanz vom 13. Januar 2021.

Der Hamburger Filz lässt grüßen

Ob Olaf Scholz' Alter Ego Christoph Krupp dieses ambitionierte Ziel vorübergehend "nebenher" erreicht, sei mal dahin gestellt. In jedem Fall erinnert die die Ernennung des "guten Freundes" des Finanzministers zum staatlich bestellten Troubleshooter in Sachen Corona-Impfung an typisch hanseatisch-sozialdemokratisches Gebaren, sozusagen ein Arbeitsplatzbeschaffungsprogramm der ganz besonderen Art.

Selbstverständlich sollte eine Bekanntschaft, auch keine Freundschaft, nicht mal eine "gute", zu einem Minister kein Ausschlusskriterium bei der Besetzung eines Postens sein. Wenn aber eigens ein hochrangiger Posten geschaffen und dieser mit einem "guten Freund" eines Ministers besetzt wird, der diesem seit einem Jahrzehnt wie ein Schatten auf dem Fuße folgt, wirft das Fragen auf.

In den Hamburger Bürgerschafts-Wahlkampf 2001 griffen die beiden Journalisten Jörn Breiholz und Frank Wieding mit dem Buch "Das Machtkartell - Die Stadt als Beute" über 40 Jahre sozialdemokratischen Filz in der Hansestadt ein. Auf die Frage der Welt "Wie würden Sie Filz beschreiben?", antwortete Jörn Breiholz:

Ich würde es als System beschreiben. Wir haben in Hamburg mit der SPD eine Partei, die seit 40 Jahren die Regierungen dieser Stadt entscheidend prägt. In dieser Zeit haben sich viele SPD-Funktionäre ihre Pfründe gesichert.

Jörn Breiholz

Der Spiegel konstatierte bereits 1998:

Als sich die 68er-Generation auf ihren langen Marsch durch die Institutionen begab, tat sie dies in Hamburg gleich in Heerstärke, und die Genossen konzentrierten sich wie ferngesteuert auf den Sozialsektor. Dort herrschte bald ein solches Gedränge, daß(!) die Aufbruchstimmung der Postenschacherei wich. (…) Die Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) erscheint der grünen Abgeordneten Anna Bruns denn auch wie "Block III in Tschernobyl. An den kommt man auch nicht ran".

Der Spiegel

Genau diese Behörde machten Jörn Breiholz und Frank Wieding zum Gegenstand ihrer Recherche, um auf eine Mauer des Schweigens zu stoßen, wie sie in der Welt beschreiben, ein Schweigekartell, das sich selbst über das Hamburgische Pressegesetz hinwegsetzte:

Ich habe als Journalist noch nie eine derart hohe Mauer des Schweigens erlebt. Wir haben weder mit dem früheren Bürgermeister Henning Voscherau reden können noch mit Jörg Kuhbier, der lange Jahre Umweltsenator und SPD-Chef gewesen ist. Auch mit Volker Lange gab es kein Gespräch. Die Sozialbehörde hat uns während unserer Recherche nicht eine Frage beantwortet, obwohl sie nach dem Hamburgischen Pressegesetz zur Auskunft verpflichtet ist.

Jörn Breiholz

Eine Ausnahme gab es allerdings: Den damaligen Hamburger "SPD-Chef Olaf Scholz, der ausführlich mit uns gesprochen hat".

Die Symbiose Olaf Scholz - Christoph Krupp erinnert jedoch weniger an Transparenz, sondern an ein Vorgehen, dass der Spiegel folgendermaßen beschrieb:

Auf wundersame Weise fand sich im Hamburger Feierabend-Parlament bisher noch stets ein Genosse, wann immer eine lukrative Leitungsstelle in Behörden frei geworden war. So wurde der Rechtsreferent Ralph Bornhöft zum Leiter des Einwohner-Zentralamtes befördert, der Postbeamte Heiner Widderich übernahm das Sportamt, und der Verwaltungsbeamte Wolfgang Pages wechselte auf einen Chefsessel der Landesbetriebe Friedhöfe (…) … wieviel in Hamburg auch ausgewählt und beraten wird - am Ende erweist sich in der Regel ein Sozialdemokrat als qualifiziertester Bewerber.

Der Spiegel

Auf wundersame Weise scheinen Olaf Scholz und Christoph Krupp miteinander verbunden. Und auf wundersame Weise findet sich seit einem Jahrzehnt auf allen Karrierestationen des Finanzministers auch ein lukrativer Job für seinen "guten Freund".

Ob dieser mehr zu bieten hat als Freundschaft und tatsächlich imstande ist, das Impfstoffdebakel auf einen guten Weg und vor allem den angezählten Wirtschaftsstandort Deutschland durch einen Platz in den vorderen Rängen von Big Pharma zu neuem Ruhm zu verhelfen, wird die Zukunft zeigen. Dass er dazu die geeignete Person ist, bezweifelt indes laut RP online der "Verband der Familienunternehmer":

"Diese Berufung wirft viel mehr Fragen auf als durch den neuen Posten gelöst werden können", sagte Familienunternehmer-Präsident Reinhold von Eben-Worlée." RP online

Dieser stellt die naheliegendste aller Fragen:

"'Warum halten sowohl der Vizekanzler als auch die Kanzlerin keinen der zahlreichen Staatssekretäre im Wirtschaftsministerium für geeignet, diese Aufgabe wahrzunehmen?', fragte Eben-Worlée." RP online

Schließlich bezieht auch diese Behörde Gelder zur Bewältigung der ihr gestellten Aufgaben. Warum sich anders entschieden wurde, auch dazu stellte der Spiegel bereits 1998 so seine Vermutungen an:

Die SPD erreichte mit dieser Spielart der Patronage gleich zwei Ziele: Zum einen ließen sich noch mehr Posten - sei es für kommendes Führungspersonal oder ausgediente Genossen - schaffen, zum anderen entzogen sich die ausgelagerten Organisationen weitgehend der parlamentarischen Kontrolle.

Der Spiegel, 1998

Und es erspart der Bundesregierung, im Zweifelsfalle Verantwortung zu übernehmen, falls der als Physiker promovierte Verwaltungsangestellte sich doch als keine so gute Wahl für diese Aufgabe erweisen sollte.