Orientalischer Krieg gegen Terroristen

Trotz Hightech-Überwachung und moderner Kriegsführung scheint im wilden afghanisch-pakistansischen Grenzgebiet noch vieles möglich zu sein, die Geschichtenerzähler bzw. Spindoktoren erleben geradezu ihre Blütezeit

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Unter medialen Fanfaren hatten amerikanischer Truppe zusammen mit pakistanischen Verbänden seit dem 12. März eine Offensive gegen Taliban- und al-Qaida-Mitglieder im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan begonnen, wo man vermutete, dass sich vielleicht auch Bin Ladin aufhalten könnte. Für die Beteiligung Pakistans ernannte die Bush-Regierung das Land zu einem strategisch Alliierten, zu dem nun auch wieder Waffen exportiert werden können. Trotz des Einsatzes von Tausenden von Soldaten auf pakistanischer und amerikanischer Seite und auch von neuester Überwachungstechnologie scheint die Aktion jedoch nicht besonders erfolgreich gewesen zu sein und wurde jetzt von pakistanischer Seite abgebrochen.

DoD officials praised the Pakistanis for their work. "Pakistan has been a tremendous ally in the war against terror," said Army Lt. Col. Jim Cassella, a Pentagon spokesman. "They have captured or killed more al Qaeda than any other country."

Auch wenn die US-Regierung damit Indien verärgerte, reiste US-Außenminister Powell zu Beginn der Offensive nach Pakistan und gewährte dem Land den Status eines Alliierten außerhalb der Nato, ein Privileg, das nicht viele Staaten genießen und das enge militärische Kooperation einschließt. Mit Sanktionen hatten die USA die Atommacht Pakistan nach einem überraschenden Atomwaffentest 1998 belegt. Doch seit dem Krieg gegen das Taliban-Regime, zu dem es von Pakistan enge Beziehungen gibt, hat die US-Regierung über viele hinweg gesehen. Auch auf die Entdeckung, dass der "Vater der muslimischen Atombombe", Abdul Khan, ein Netzwerk aufgebaut hatte, um international auch mit "Schurkenstaaten" einen jahrelang praktizierten Handel mit Atomwaffentechnologie zu handeln, was sicherlich nicht ohne Kenntnis von Militär und Regierung möglich war, reagierte man ungewöhnlich mild. Musharraf, 1999 durch einen Putsch an die Macht gelangt und dank des Militärs autoritärer Herrscher, der sich wenig demokratisch 2001 zum Präsidenten ernannt hat, hatte Khan sogleich offiziell verziehen und verkündet, dass Pakistan seine Atomwaffentechnologie weiter entwickeln werde.

Pakistan mit Saudi-Arabien wohl eine der wichtigsten Brutstätten des islamistischen Terrorismus, zu dessen Entstehung auch die USA einiges in der Vergangenheit beigetragen haben ("Der Krieg ist unser Leben"), geht noch immer sehr vorsichtig mit der Bekämpfung von Taliban und al-Qaida um. Zumindest offiziell haben die pakistanischen Truppen, die in den autonomen Stammesgebieten entlang der 2.500 km langen Grenze zu Afghanistan vor allem in Süd-Waziristan operiert haben, keine direkte Hilfe von amerikanischen Truppen auf dem Boden erhalten. Um nicht noch stärker die anti-amerikanisch eingestellte und islamistische Opposition gegen die Regierung aufzubringen, wurde versichert, dass US-Soldaten Pakistan nicht zur Jagd auf al-Qaida betreten dürfen (Auf der Jagd nach Bin Laden). Allerdings sollen kleine Spezialeinheiten der Joint Task Force 121 auch über die Grenze nach Pakistan vorgedrungen sein.

Dunkelheiten in der überwachten Zone

Dafür habe die Amerikaner angeblich die pakistanische Armee mit Informationen versorgt, die aus dem Arsenal der Hightech-Überwachungsmittel von Bodensensoren über Überwachungssatelliten bis hin zu Drohnen stammten.

Weitgehend aus dem Luftraum Afghanistans oder über diesem spähen eine ganze Menge von amerikanischen militärischen Sensoren über die gebirgige Grenzregion nach Pakistan hinein. Überwachungssatelliten nehmen verdächtige feindliche Lage ins Korn. Air Force E-8C Joint Stars Bodenüberwachungsjets und ferngesteuerte Predator-Drohnen verfolgen die Bewegungen der Feinde. RC-135 Rivet Joint Flugzeuge hören Mobiltelefongespräche und andere elektronische Transmissionen ab. U-2 Spionageflugzeuge brummen hoch in der Luft.

So wie die New York Times die vorhandene Überwachungstechnologie schilderte, sollte dem US-Militär mit ihrer Operation "Mountain Storm" wenig entgehen, was im Grenzgebiet sich bewegt. Auch zuvor, sollte man annehmen, wurde das Grenzgebiet bereits überwacht. Die pakistanischen Soldaten hatte man bereits mit Hubschraubern versorgt und sie trainiert, und sie erhielten die neuesten "Bodensensoren, die Fahrzeuge auf Gebirgsstraßen zählen und ihre Ladung durch die von ihnen ausgehenden Vibrationen messen können".

Die Idee der gemeinsamen Operation war, die gesuchten al-Qaida-Kämpfer, die man in den Grenzgebieten vermutete, von beiden Seiten wie ein Hammer und Amboss einzukreisen und zu zerschlagen. Tausende von Soldaten wurden auf beiden Seiten eingesetzt, nach dem Angriff auf Tora Bora (Operation Anaconda: Kriegspropaganda) war es die größte Militäraktion, mit der wiederum endlich Bin Ladin tot oder lebendig im Auftrag des US-Präsidenten gefasst werden sollte. Offenbar aber stand sie unter schlechtem Vorzeichen, denn auch bereits in Tora Bora wurden nach tagelangen Kämpfen und heftiger Bombardierung kaum Gefangene gemacht und Tote gefunden, da die meisten ql-Qaida-Kämpfer, möglicherweise zusammen mit Bin Ladin auf Schleichwegen und mit der Hilfe von Afghanen und Pakistanis entkommen waren. Ganz ähnlich scheint es nun auch wieder abgelaufen zu sein.

Schon von Anfang an ein vernichtender Schlag gegen den nicht vorhandenen Feind

Begonnen hat die Operation erfolgsverheischend und gleichzeitig, wie sich nachträglich herausstellte, doch irgendwie auch orientalisch. Pakistanische Soldaten fanden sich unerwartet im heftigen Schusswechsel mit angeblichen Hundertschaften an al-Qaida-Kämpfern, die sie dann eingekesselt haben. Stolz wurde gleich in den ersten Tagen gemeldet, man habe zwar nicht Bin Ladin, aber immerhin al-Qaida-Boss Nr. 2, Ajman al-Zawahiri, und andere ranghohe Mitglieder ausgemacht. Die Meldung ging um die Welt, die Medien kramten eifrig Informationen heraus, die Zawahiri und seine Bedeutung für al-Qaida betrafen.

Auch dem Pentagon, wo man gerne jede positive Nachricht aufgreift, war das eine Mitteilung wert, auch wenn man sicherheitshalber - zu Recht - nicht selbst behaupten wollte, dass Zawahiri in der Falle sitzt. Wer oder wie man aus der Äußerung Musharrafs, ein ranghoher al-Qaida-Chef sei eingekesselt, auf Zawahiri kam, wäre vielleicht eine Nachforschung im Rahmen einer Theorie der Ausbreitung von Gerüchten oder der Memetik wert.

Für die Außenstehenden verliefen die Kämpfe in ebenso unübersichtlichen wie kaum nachvollziehbaren Schritten, zumal sich am angeblich unerwartet heftigen Widerstand vor allem heimische Stämme beteiligten, obwohl zu Beginn von Hunderten von Ausländern die Rede war. Beim Angriff auf mehrere Dörfer und angeblich stark befestigte Siedlungen kam es zu Toten auf Seiten der Stammesangehörigen, darunter auch Zivilisten wie immer, und auf Seiten des Militärs. Die Stimmen in Pakistan selbst wurden lauter, den Angriff einzustellen, es kam zu einem Waffenstillstand, Verhandlungen begannen mit den Stammesältesten, um die Ausländer und die Gefangenen auszuliefern, eine Frist wurde gesetzt und überschritten, in den Gebieten wiederum fand eine Jirga statt, die sich gegen jede Intervention aussprach.

Dazwischen kam als Überraschungscoup, dass in einem Dorf mehrere unterirdische Gänge entdeckt worden seien. Ob es stimmt oder nicht, auf jeden Fall konnte nun das pakistanische Militär melden, dass durch eben diese Tunnels die ranghohen ("high-value targets"), aber auch viele der einfachen al-Qaida-Mitglieder zu einem nahe gelegenen Fluss an der Grenze fliehen konnten. Wie sie dann aber zwischen Hammer und Amboss und bestens überwacht unbeschadet und unbemerkt fliehen konnten, erfährt man in der Ferne nicht. Entweder, so könnte man vermuten, sind die Mitglieder der Terrorgruppe so schlau oder die Hightech-Überwachung ist doch nicht so perfekt, wie man dies mitunter meinen möchte, oder das Militär bzw. der Geheimdienst Pakistans verfolgen unter der Hand ihre eigenen Strategien. Dafür tauchte dann ein Tonband möglicherweise mit der Stimme Zawahiris auf, auf dem die Pakistaner zum Sturz ihrer Regierung aufgerufen wurden, während Demonstrationen stattfanden, auf denen Musharraf als Verräter des Islam bezeichnet und gefordert wurde, die Aktion zu beenden.

Sieg über die Terroristen oder über die Wahrheit?

Wie auch immer, nun stand also die Operation wie einst bei Tora Bora mit leeren Händen da, wenn auch nicht mit ganz leeren. Immerhin wurden nach Verhandlungen mit den Stammesältesten 12 Soldaten wieder von militanten Stammesangehörigen freigelassen, wofür sich das Militär teilweise zurückzog. Das al-Qaida-Problem sollen nun die Stämme selbst lösen, auch wenn Soldaten weiter in der Region bleiben werden. 163 Kämpfer habe man festgenommen, wie viele davon ausländische al-Qaida-Angehörige sind, wurde nicht bekannt gegeben. 83 befestigte Häuser wurden im Laufe der Operation zerstört, viele Waffen, Kommunikationsmittel und große Mengen an Munition und Sprengstoff habe man gefunden.

Angeblich seien, wie der pakistanische Geheimdienst aus Befragungen der Gefangenen erfahren haben will, mindestens 60 der "Bösewichter" getötet worden. Dutzende seien verletzt worden, darunter auch ein "neuer" ranghoher al-Qaida-Führer, der aber trotzdem entkommen ist, was die Erfolgsmeldung wieder trübt. Dabei soll es sich, wie der Militärsprecher Generalmajor Shaukat Sultan bekannt gab, um den Usbeken Tahir Juldasch handeln, den Chef einer usbekischen Terrororganisation, die sich mit al-Qaida verbündet habe. In Taschkent, der Hauptstadt von Usbekistan, gab es heute mehrere Sprengstoffanschläge, die möglicherweise von der Islamische Bewegung Usbekistans ausgeführt wurden, die von Juldasch geleitet wird (auch hier gibt es mittlerweile weitere Entwicklungen). Von Bin Ladin oder Zawahiri hatte man jedoch keine Spur gefunden. Vermutlich handelte es sich bei vielen Ausländern um frühere Kämpfer, die sich einst am von den USA, von Saudi-Arabien und Pakistan unterstützten Dschihad gegen die Russen beteiligt und sich seitdem dort niedergelassen haben. Verbindungen zur "neuen" al-Qaida und den Taliban wären auch dann anzunehmen.

Mehmood Shah, der Sicherheitschef für die Stammesgebiete, behauptet jedenfalls, man habe sehr viele Ausländer gesehen, blieb aber sehr im Ungefähren: "Ich glaube, sie sind noch irgendwo in dem Gebiet, aber sie können auch durch unsere Absperrung geschlüpft sein. Ich glaube, jetzt sind es nicht mehr viele." Möglicherweise, so rechtfertigt er das Fiasko, hätten die al-Qaida-Kämpfer sich ja auch bewusst in Süd-Waziristan festgesetzt, um einen Hinterhalt zu starten, mit dem niemand gerechnet habe. Oder sie hätten tatsächlich jemanden bei sich gehabt, der so wichtig war, dass der Kampf sich lohnte.

Irgendwie verschwindet die ganze Aktion mit ihrem zweifelhaften Ergebnis in einen Nebel. Gleichwohl verkündet man von Seiten der pakistanischen Regierung einen "Sieg" und sagt, dass die meisten Bürger, auch die Stämme der Grenzgebiete, hinter der Aktion gestanden hätten. Es steht aber auch zu vermuten, dass die Truppen die Einkesselung des Gebiets auch deswegen beendet haben, um die Kritik und den Widerstand im Land nicht weiter zu schüren. Um die Amerikaner zu versöhnen, wird aber betont, dass die Truppen in der Region bleiben und weiterhin nach al-Qaida-Mitgliedern suchen werden.

Das Pentagon hat inzwischen über 2.000 Marines zusätzlich nach Afghanistan versetzt, um dort die Jagd nach Bin Ladin zu verstärken. Gleichzeitig wurden die ersten Wahlen nach dem Sturz des Taliban-Regimes von Juni auf September verschoben. Gründe sind die mangelnde Sicherheit in weiten Teilen des Landes und die Schwierigkeiten bei der Registrierung der Wähler. Keine guten Zeichen für den Irak.

Nachtrag 30.3.2004: Das Ganze hatte noch ein kleines, aber bezeichnendes Nachspiel: Pakistan withdraws al-Qaeda claim. So ganz ergebnislos im Hinblick auf al-Qaida wollte das pakistanische Militär dann doch nicht sein. Also wurde nach dem Verschwinden von Zawahiri und dann des angeblich schwer verletzten, aber gleichfalls geflüchteten Juldasch ein weiterer hochrangiger al-Qaida-Chef angeboten. Jetzt hatte man den internationalen "Intelligence"-Chef, was immer das genauer bedeuten mag, getötet. Der soll unter den Namen Abdullah bekannt gewesen sein, aber gekannt hat ihn doch schließlich niemand. Also zog man kleinlaut die Behauptung wieder zurück und verwandelte ihn in eine lokalen Größe von Wana in Waziristan.

He is not really the intelligence chief for al-Qaeda, but he was one of the top intelligence people in Wana for al-Qaeda.

Militärsprecher Shaukat Sultan