"Ossis" gestern und Griechen heute

Seite 2: "Von maroder Wirtschaft kann kaum die Rede sein"

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Und wie sieht der Zusammenhang beim von Ihnen bereits angesprochenen wachsenden Außenhandelsdefizit der DDR beziehungsweise Griechenlands aus? Ist das nicht ein Zeichen für nachlassende Exportfähigkeit und Indiz für eine marode Wirtschaft?

Jörg Roesler: Für Griechenland trifft dies seit dem EU-Beitritt 1981 zu. Was den Umfang des Exports betrifft, so liegt der griechische nur bei etwa der Hälfte des EU-Durchschnitts (24 und 44 %). Für die DDR lag der Anteil in den 80er Jahren zwischen beiden Werten (25 bis 30%). Was die Entwicklung des Exports – des Indikators für wirtschaftliche Leistungskraft – betrifft, so unterschied sich die Außenhandelssituation der DDR wesentlich von der griechischen.

Zwar hatte die DDR (gegenüber dem Westen) in den 70er Jahren und in der zweiten Hälfte der 80er Jahren ein beträchtliches Außenhandelsdefizit. In der ersten Hälfte der 80er Jahre verfügte sie dagegen durch gebündelte Exportanstrengungen über ein beachtliches Plus. Gegenüber dem sozialistischen Wirtschaftsgebiet – fast 70 % des Außenhandels wurden mit diesen Ländern abgewickelt – war das Handelssaldo zwischen 1979 und 1989 überwiegend (das heißt für sieben von elf Jahren) positiv. Daraus ergibt sich: An der Außenhandelsbilanz gemessen kann im Falle der DDR von maroder Wirtschaft kaum die Rede sein.

"Die Zusammenarbeit mit der DDR war im Bereich der Mikroelektronik verboten"

Haben die Bürokraten in Griechenland beziehungsweise der DDR nicht die Wirtschaftsentwicklung vernachlässigt und kaum etwas für deren Modernisierung getan?

Jörg Roesler: Für Griechenland dürfte das in etwa stimmen. An der Spitze der DDR-Wirtschaftslenkung standen jedoch keineswegs nur Bürokraten. Sie wussten um die Notwendigkeit der Modernisierung. Anfang der 70er Jahre hatte die DDR die mikroelektronische Revolution der CNC-Steuerungen (wie übrigens auch die Bundesrepublik) verschlafen, bemühte sich jedoch seit dem "Mikroelektronikplenum" 1977 mit großem Aufwand darum, diesen High-Tech-Zweig zu entwickeln, die Mikroelektronik in ihre Wirtschaft zu integrieren und ihre Exportprodukte damit zu veredeln. Dass das nicht gelang, lag mit großer Wahrscheinlichkeit daran, dass die DDR nicht – wie die Bundesrepublik in ganz ähnlicher Situation – mit den Japanern zum Aufholen kooperieren konnte. Durch die von den US-Amerikanern bestimmten und stets aktualisierten CoCom-Listen, durch Handelsverbote also, war westlichen Konzernen, auch den bundesdeutschen, die Zusammenarbeit mit der DDR im Bereich der Mikroelektronik verboten.

Zeitlich parallel verweigerte der militärisch-industrielle Komplex der UdSSR der DDR die Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Mikroelektronik, sodass der Aufbau einer Mikroelektronikindustrie in Ostdeutschland zu guter Letzt im Alleingang unternommen werden musste, gewaltig teuer wurde und letztlich nicht zu bewältigen war. Derart aufwendige Modernisierungsprogramme sind in Griechenland allerdings gar nicht erst unternommen worden.

Haben nicht beide Länder über ihrer ökonomischen Substanz gelebt?

Jörg Roesler: Dieser Vorwurf dürfte für beide Länder richtig sein. In der DDR wurden die Subventionen für Nahrungsmittel und Dienstleistungen des Grundbedarfs (also Lebensmittel, Verkehrstarife, Mieten et cetera), die sogenannte "zweite Lohntüte", nicht angetastet, weil mehrere Versuche, die ursprünglich von Honecker bei seiner Regierungsübernahme 1971 für unveränderlich erklärten Festpreise zu erhöhen, Unruhe unter der Bevölkerung hervorgerufen hatten.

Zwischen 1970 und 1987 stiegen die Ausgaben für Preisstützungen auf das fast Siebenfache, von 10,5 % auf 19,1 % des Staatshaushaltes. Weil aber beim Konsum nicht gekürzt wurde, fehlte es an Investitionsmitteln, um den Produktionsapparat in seiner ganzen Breite instand zu halten. Die Folge des überalterten Maschinenbestandes waren dann Stillstandszeiten und Stagnationserscheinungen im Bereich der Arbeitsproduktivität.

"Die DDR ist bis zum Schluss solvent geblieben"

Womit wir bei Themen Verschuldung und Bankrott wären ...

Jörg Roesler: Griechenland hat sich immer mehr verschuldet. Bemühungen in den 1990er Jahren, Staatsausgaben zu streichen und zaghaft Reformen einzuleiten, um die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren, wurden nach Griechenlands Beitritt zur Eurozone 2001 wieder aufgegeben. Griechenland war 2010 de facto zahlungsunfähig und wäre ohne Hilfe der EU bereits damals bankrott gegangen. Die Gefahr einer Staatspleite besteht heute erneut.

In der DDR setzte die Verschuldung Anfang der 70er Jahre ein. Sie erreichte einen kritischen Umfang in der zweiten Hälfte der 70er Jahre, was bis 1981 seitens der Regierung komplett ignoriert wurde. Anders als in Griechenland wurden dagegen seit Anfang der 80er Jahre beträchtliche Anstrengungen unternommen und allein für die Petrolchemie 15 Milliarden DDR-Mark investiert, um die Verschuldung zu verringern. 1982 bis 1985 konnten die Nettoschulden der DDR von 25,1 auf 15,5 Milliarden gesenkt werden.

Diese Verringerung der Schulden um fast 40 Prozent war Resultat einer Umstrukturierung des Außenhandels, die zu Milliardenüberschüssen führte. Erst danach kam es 1989 wegen verschlechterter weltwirtschaftlicher Absatzbedingungen (aufgrund der fallenden Preise für Erdölprodukte, die das Rückgrat des umstrukturierten Westhandels der DDR bildeten) wieder zu einem Ansteigen der Schulden auf 19,9 Milliarden. Planerische Inkompetenz kann man also – anders als im Falle Griechenlands – der DDR-Regierung nicht nachweisen.

Um es kurz zu machen: Die griechischen Schulden stiegen fast kontinuierlich an, die Schulden der DDR waren in den 80er Jahren im Trend rückläufig. 1989 belief sich die Staatsverschuldung der DDR, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf circa 20 %, in Griechenland lag sie zu diesem Zeitpunkt bereits bei 80 %. Während Griechenlands Zahlungsunfähigkeit 2010 nur durch Eingreifen von außen verhindert werden konnte, hat die DDR bis zu ihrem Ende die fälligen Schulden einschließlich Zinsleistungen pünktlich bezahlt. Anders ausgedrückt: Die DDR ist bis zur Aufgabe ihrer Souveränität auf ökonomischen Gebiet (das heißt bis zur Währungsunion vom 1.7. 1990) solvent geblieben.

"Die Weltbank hatte sich zugunsten der DDR verrechnet"

Und haben Griechenland und die DDR, um eine bessere Wirtschaftslage vorzutäuschen, ihre Wirtschaftsstatistiken frisiert?

Jörg Roesler: Dass die Griechen ihre Wirtschaftsstatistiken frisierten, konnte inzwischen nachgewiesen werden. Für die DDR wird in diesem Zusammenhang gern auf Honecker verwiesen, der die DDR wiederholt als angeblich zehntgrößtes Industrieland der Welt bezeichnete. Die Zahlen hatte ihm allerdings nicht der statistische Dienst der DDR gefälscht, sondern Honecker bezog sich auf statistisches Material der Weltbank, die sich Ende der 70er Jahre, wie sie später selbst bekennen musste, zugunsten der DDR verrechnet hatte.

Die nach 1990 immer wieder in Medien und Politik behaupteten Fälschungen der amtlichen Statistik hat es, wie die zuständigen Bundesbehörden bei Überprüfungen nach der Wiedervereinigung feststellten, nicht gegeben. Der wichtigste Satz im Statement des Präsidenten des Statistischen Bundesamtes Egon Hölder vom April 1991 über die Arbeit der Statistischen Zentralverwaltung der DDR lautet: "Das Ist-Ergebnis wurde streng kontrolliert und war weitestgehend richtig".

Auch die außenwirtschaftlichen Daten, die die DDR der "Bank für internationalen Zahlungsausgleich" in Basel übermittelte, entsprachen der Realität. Nach der Ermittlung der Zahlungsbilanz der DDR anhand der DDR-eigenen Daten durch die Deutsche Bundesbank hieß es dazu im Juli 1999: "Die vorhandenen außenwirtschaftlichen Daten der DDR konnten auf IWF-Muster umgestellt werden". Das heißt: Auch dieses statistische Material hatte sich als konsistent erwiesen.

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