Perfekte Rahmenbedingungen für die Informationsgesellschaft in Deutschland?

Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt will für Dampf in der politischen Ausgestaltung des Netzes sorgen

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"Die Internet-Zeitrechnung gibt heute auch für die Politik den Takt an", glaubt Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP). In seiner Eröffnungsrede zur Internet World in Berlin stellte der Bundeswirtschaftsminister gestern die Ergebnisse der Beschleunigungspolitik vor und steckte den "gesamtwirtschaftlichen Rahmenplan" der Bundesregierung für eine in der Informationsgesellschaft dringend erforderliche "Kultur der Selbständigkeit" ab.

An erster Stelle steht seiner Meinung nach die Infrastruktur, die Liberalisierung und wettbewerbliche Beflügelung der Telekommunikation, um den deutschen Markt "in Schwung zu bringen". Nach Angaben des Ministers würden heute, rund 200 Tage nach der Einführung des Wettbewerbs, zwei Prozent der Ferngespräche über neue, private Telefongesellschaften abgewickelt, bis zur Jahresmitte sollen es fünf Prozent sein. Die Preise seien in diesem Bereich zudem bei der Wahl des günstigsten Anbieters um 70 Prozent gefallen. Ein Ergebnis, das "sich sehen lassen" kann und Deutschland eine "exzellente Ausgangsposition" für den Weg in die Informationsgesellschaft verschafft, so Rexrodt, dessen Ministerium die neugeschaffene Regulierungsbehörde für Telekommunikation untersteht. Daß die Benutzung des Schlüsselmediums Internet durch die im internationalen Vergleich zu hohen Ortstarife der Telekom blockiert wird, erwähnte Rexrodt dagegen nicht. Der Minister sieht die Kosten für Gespräche im Ortsbereich nämlich bereits "langsam unter Druck" geraten.

Ein voller Erfolg sei auch das Mitte 1997 verabschiedete Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG), das den "marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen" für die neuen Medien geschaffen habe. Hervor hob Rexrodt vor allem das Prinzip der Zugangsfreiheit für die neuen Dienste sowie die klare Regelung der Verantwortlichkeit von Internet-Anbietern. Genau dieser Punkt war allerdings bereits im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes von Content- und Zugangsprovidern heftig kritisiert worden (Pest oder Cholera) und ist nach wie vor umstritten (Scheitert das Multimediagesetz. Der Münchner Rechtsanwalt Jens Röhrborn etwa sieht die Anbieter von Online-Inhalten "zwischen Kundenverpflichtung und Gesetzestreue" eindeutig in der Zwickmühle. Sein Kollege Michael Schneider sieht das Gesetz gar kurz vor dem Scheitern, weil Provider nachträglich von der Bundesstaatsanwaltschaft zum Filtern und potentiellen Sperren von Webinhalten gezwungen werden sollen (Scheitert das Multimediagesetz). Rexrodt sprach dagegen von einer "verläßlichen Grundlage für Investitionen", die mit dem IuKDG gelegt worden sei. Mit den bereits der ab 25. Oktober geltenden EU-Direktive entsprechenden Datenschutzregeln im IuKDG könne Deutschland zudem eine "Vorbildfunktion und Führungsrolle" übernehmen.

Auch bei dem "schwierigen Thema" Kryptopolitik habe die Bundesregierung eine pragmatische Lösung gefunden, die der Wirtschaftsminister auf den Nenner brachte: "Keine Nutzungsbeschränkungen für Kryptoprodukte in Deutschland." Die Bestrebungen seines Kabinettskollegen aus dem Innnenministeriums, Manfred Kanther (CDU), Sicherheitsbehörden mit einem Nachschlüssel zu den Informationen der Nutzer auszustatten, streifte Rexrodt nur kurz. Er habe schon Stimmen in Deutschland, aber auch in England und Frankreich, gehört, die von der liberalen Haltung der FDP in der Kryptofrage abweichen würden. Ihm gehe es allerdings vor allem um den "Schutz der Nutzer, die keine Kryptographieexperten sind und die in der ganzen Kryptodiskussion gerne vergessen werden." Unklar ist nur, inwieweit die FDP ihre Haltung auch nach der Bundestagswahl im Herbst durchsetzen kann. Kai Hartwich vom Verein TeleTrust Deutschland, der sich die Förderung der Vertrauenswürdigkeit der Informationstechnologie auf die Fahnen geschrieben hat, sieht die momentane Kryptohaltung der Bundesregierung nur als einen "Burgfrieden" an, der nach der Wahl neu ausgehandelt werde.

Auch den neuerwachten Streit um die Besteuerung des Waren- bzw. Datenverkehrs im Netz (Steuern für das Internet) ließ Rexrodt nicht unkommentiert. Er lobte die vergangene Woche auf der Ministerkonferenz der World Trade Organization (WTO) getroffene Entscheidung, die Zollfreiheit für Internetwaren und -dienstleistungen auf mindestens ein Jahr festzuschreiben, als "wichtigen Etappensieg". Er gehe zudem davon aus, daß im kommenden Jahr eine dauerhaft liberale Lösung im Kreis der WTO-Ministerrunde gefunden werde. Zollfreiheit hieße jedoch nicht, daß Waren, die über das Internet bestellt, aber auf normalem Versandwege ausgeliefert werden, nicht nationalen Steuer- und Zollbestimmungen unterliegen würden. Letztlich dürfe es keinen Unterschied machen, wo ein Kunde Waren oder Dienstleistungen bestelle. Plänen, den Datenverkehr im Netz pauschal zu besteuern, erteilte der Wirtschaftsminister allerdings eine klare Absage. "Eine Bit-Byte-Steuer ist hirnrissig", so Rexrodt, und auch die Pläne für eine "Abzugssteuer", die von der OECD diskutiert würde, seien "überhaupt noch nicht ausgereift".

Die gestärkte Rolle Europas im Netz (Die Europäische Kommission hat klare Vorstellungen von der Zukunft des Internet) nahm Rexrodt überdies als Anlaß zu der Forderung, die internationale Ausgestaltung des Internet in weiterem Maße als bisher mitbestimmen zu wollen. Als Beispiel nannte er die Umgestaltung des Domain Name Systems, bei der die vor allem europäisch beeinflußte "CORE-Initiative" mit dem Green Paper der Clinton/Gore-Administration konkurriert: "Wir werden keine Neuordnung in diesem zentralen Bereich der Informationsgesellschaft akzeptieren, bei der einzelne Staaten oder Unternehmen die Vorherrschaft haben." Damit begab sich Rexrodt auf direkten Konfrontationskurs mit den USA, die sich in der momentanen Version des Green Papers ein entscheidendes Mitspracherecht bei der Vergabe der begehrten Top-Level-Domains vorbehält und die Stellung des bisherigen zentralen Registrierungsunternehmens Network Solutions kaum beschneidet.

Viele der Klarstellungen sind eindeutig zu begrüßen und legen Zeugnis dafür ab, daß das Wirtschaftsministerium das Netz nicht mehr als Nebenschauplatz der Politik mißachtet. Insgesamt scheint die vorgetragene Haltung allerdings diesmal dem Internet in seiner Zeitrechnung sogar voraus zu eilen. Inwieweit die Vorstöße in Deutschland Bestand haben, wird sich zum einen nach der nächsten Wahl, zum anderen in der schwierigeren Lösungsfindung in internationalen Gremien und in der Auseinandersetzung mit der "alten" Netzmacht USA zeigen.