Phantome der Konflikte im Informationszeitalter: Nordkorea, der Cyberwar und die Atomwaffen

Ausgerechnet das verarmte Nordkorea soll hochkaratäge Infowar-Experten ausbilden, aber es ist noch nicht einmal gewiss, ob das Land tatsächlich Atomwaffen besitzt

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Ob Nordkorea überhaupt Atomwaffen besitzt und nicht nur damit droht, ist eine Frage, die zwischen den USA und Südkorea umstritten ist und auch zu Differenzen hinsichtlich der Bedrohungslage führt. Überhaupt ist nicht wirklich bekannt, wie stark die militärische Macht in der verarmten Diktatur ist. Obgleich Nordkorea noch nicht einmal die Länderdomän im Internet betreibt, warnte nun der südkoreanische General Song Young-keun vor den nordkoreanischen Hackern, die in Cyberterrorismus geschult würden.

Nordkorea habe seine Kapazitäten erhöht, Infowar zu betreiben, erklärte der General auf einer Konferenz über die veränderten Arbeitsbedingungen der Geheimdienste. Jedes Jahr würden mehr als 100 Infokrieger ausgebildet. Der für die Sicherheit der südkoreanischen Geheimdienstsysteme zuständige General sagte, dass seine Abteilung alleine den daraus entstehenden Gefahrenpotenzialen alleine nicht mehr gewachsen sei. Ausbilden würde Nordkorea am Institut für automatisierte Kriegsführung der Mitim-Universität in Pjönjang - und dies seit den 80er Jahren. Ausgebildet als Computerexperten würden hier die besten und intelligentesten Soldaten.

Wie weit die Infowar-Kapazitäten Nordkoreas tatsächlich sind, ist wie so vieles andere in diesem Land unbekannt. Nordkorea ist - ganz im Gegensatz zu Südkorea - auch für das Internet ein dunkler Kontinent. Vermutlich haben nur Angehörige der Führungselite Zugang zum Internet. Die Domain Nordkoreas - .kp - ist inaktiv. Einige der staatlichen Websites liegen im Ausland bei Providern, beispielsweise die offizielle Nachrichtenagentur KCNA bei einem japanischen Provider. Allerdings soll das isolierte Land ein großes Intranet besitzen, das die Behörden und Ministerien verbindet. Immerhin wurde in Pjöngjang für Ausländer das erste Intrenetcafe eröffnet, Ausländer haben seit 2001 auch Email-Kommunikationsmöglichkeiten (Die Juche-Ideologie und der Dotcom-Kimmunismus).

Infowar-Experte John Arquilla, der das Pentagon berät und bei Rand tätig ist, hatte in einem Szenarium einen von Nordkorea ausgehenden Infowar ausgeführt (Das Cyberwar-Virus breitet sich aus). Bei einem Krieg auf der koreanischen Halbinsel könnten die Nordkoreaner, so Arquilla, die militärische Unterstützung Südkoreas seitens der amerikanischen Truppen und deren Einsatzmöglichkeiten gefährden. Dabei müssten die Netzangriffe nicht von Nordkorea selbst ausgehen, erklärte er Wired News, sondern könnten überall dort stattfinden, wo es die nötige Infrastruktur gebe.

Ob Cyberangriffe tatsächlich gefährlich sein können, wenn man nicht mit brachialer Gewalt durch Bomben die gesamte Kommunikation zusammenbrechen lässt, müsste allerdings trotz aller Behauptung der Gefährlichkeit des Cyberwar - "digitales Peal Harbour", heute würde man vielleicht sagen ein "digitaler 11.9." - erst gezeigt werden. Bekannt ist auch nicht, dass Nordkorea in dieser Hinsicht schon tätig gewesen ist. Die Unkenntnis ist aber womöglich wein Kennzeichen für künftige Konfliktszenarien, bei denen die Gegner nicht genau wissen, über welche Waffen der jeweilige Feind verfügt.

Möglicherweise ist, inklusive der Verfälschungen und Aufblähungen durch die britische und amerikanische Regierung, der Irak-Konflikt auf der Hintergrund der vermuteten/behaupteten Massenvernichtungswaffen bereits ein Beispiel dafür gewesen. Es könnte ja durchaus im Interesse von Machthabern sein, Gegnern glauben zu lassen, man besitze einsatzbereite oder entwickle chemische, biologische oder nukleare Waffen. Vielleicht bringt dann erst ein Krieg die Wahrheit an den Tag.

Im Fall von Nordkorea ist jedenfalls der koreanische Ministerpräsident Roh nicht davon überzeugt, dass Nordkorea bereits Nuklearsprengköpfe besitzt. Südkorea verfolgt allerdings die Strategie, eine Lösung weiterhin auf diplomatischen Wege zu erzielen. Zudem wollen die Südkoreaner auch deswegen einen Krieg vermeiden, weil auch mit veralteten Waffen und einem entkräfteten Militär mit angeblichen 1,2 Millionen Soldaten große Verluste befürchtet werden müssten. So liegt die Hauptstadt Seoul mit 10 Millionen Einwohnern in Reichweite der nordkoreanischen Artillerie.

Roh erklärte gestern, nachdem Putin und Bush sich auch in der Position gegenüber Nordkorea näher gekommen sind, dass zwar die US-Geheimdienste oft behauptet hätten, dass Nordkorea Atomwaffen besitze, der koreanische Geheimdienst habe dafür aber noch keine "zwingenden Beweise" gefunden. Nachdem US-Präsident Bush Nordkorea in die "Achse des Bösen" aufgenommen hatte, spitzte sich der Konflikt mit Nordkorea zu (Update: Die US-Regierung hat dem Kongress die Informationen über das nordkoreanische Atomwaffenprogramm vorenthalten, das angeblich mit der Produktion von atomwaffenfähigem Material unter Bruch des Abkommens mit den USA begonnen hat (Nordkorea will den Irak-Konflikt ausbeuten). Roh sagte, Nordkorea habe zwar amerikanischen Politikern berichtet, dass man Atomwaffen besitze und waffenfähiges Plutonium herzustellen begonnen habe: "Aber Nordkorea hat diese Tatsachen niemandem gegenüber bestätigt." Man werde zwar nicht zulassen, dass Nordkorea Atomwaffen besitzt, und dringe darauf, dass ein Atomwaffenprogramm überprüfbar beendet wird, aber man wolle den Konflikt friedlich in enger Kooperation mit den USA, China, Japan und Russland lösen.

Das Vertrauen in amerikanische Geheimdienstinformationen oder in deren Interpretation durch die Regierung ist durch den Irak-Konflikt vermutlich in der Öffentlichkeit schwer angeschlagen worden. Auch zwei mobile Labors zur Herstellung von Biowaffen können, falls sie wirklich diesem Zweck gedient hatten oder dienen sollten, die behaupteten, aber nicht gefundenen Mengen an Massenvernichtungswaffen nicht ausgleichen.

Doch im Irak hatte Hussein versichert, keine Massenvernichtungswaffen mehr zu besitzen, während Nordkorea seine Gefährlichkeit gerade unter Beweis stellen will und durch die Behauptung, Atomwaffen zu besitzen und herzustellen, Druck auf die US-Regierung ausüben will. Wenn Pjöngjang sein Atomwaffenprogramm einstellt, dann will es von der US-Regierung Wirtschaftshilfe und Sicherheitsgarantien im Ausgleich. Gerade erst wurde amerikanischen Kongressabgeordneten auf einer Reise in Nordkorea gesagt, dass man Atomwaffen habe und weitere herstellen werde. So habe man bereits 8000 Brennstäbe wiederaufbereitet, woraus sich Sprengköpfe produzieren ließe.

Mitglieder der nordkoreanischen Regierung erklärten, dass man Atomwaffen in Reaktion auf den Sturz Husseins im Irak herstelle. Nordkorea beschuldigte die USA immer wieder, dass sie einen Angriff plane. Tatsächlich hatte Verteidigungsminister auch bereits mit einem militärischen Schlag gedroht, woraufhin Nordkorea vernichtende Vergeltungsschläge angekündigt hatte. Im Pentagon wurde auch schon darüber nachgedacht, in einer Blitzaktion die Atomkraftwerke und andere wichtige militärische Einrichtungen zu zerstören oder die Regierungselite zu eliminieren. Die amerikanischen Truppen in der Region wurden verstärkt. Japan hatte sich angesichts der von Nordkorea vorgeführten Raketen der Position Washingtons angeschlossen und spricht bereits auch von der Möglichkeit präventiver Militärschläge.

Der Konflikt wird also auf allen Seiten mit der Beschwörung oder der Verleugnung von Atomwaffen betrieben. Gespenstisch ist, dass trotz der besten Überwachungstechnologie der USA offenbar nicht wirklich ein Beweis für die Existenz von Atomwaffen vorgelegt werden kann - oder man dies auch gar nicht will. Schließlich könnte die Gefährdung seitens Nordkorea auch dazu dienen, den "Footprint" in der Region zu halten, für die Aufrüstung in den USA und den Bau des globalen Raketenschutzschildes sind die nordkoreanischen Atomwaffen auf jeden Fall zu gebrauchen (Die große Mauer). Kriege also könnten, vielleicht typisch für das Informationszeitalter, durchaus über und mit Phantomwaffen geführt werden, gleich ob es sich um Atombomben oder cyberterroristische Angriffspotenziale handelt. Aber möglicherweise ist das ja der wirkliche Infowar ...