Klärwerke: Pharma-Industrie soll für sauberes Wasser blechen

Chemiewerk und Kläranlage verbunden mit Eurozeichen, davor Abwasserleitung mit Aufklebern Umweltgefährliche Stoffe und Wasseraufbereitung

Pharmabranche ist empört: Sie soll 80 Prozent der Kosten für bessere Kläranlagen tragen. Hersteller von Medikamenten wehren sich gegen die EU-Pläne.

Über 90 Prozent der in europäischen Gewässern gefundenen Mikroschadstoffe sollen laut Europäischer Union von Kosmetika wie Make-up und Arzneimitteln stammen. Pharma- und Kosmetikhersteller sollen daher zur Verantwortung gezogen werden und mindestens 80 Prozent der Kosten für die Erweiterung und den Betrieb von Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe übernehmen.

Die Mikroschadstoffe aus den Arzneimitteln kommen über die Ausscheidungen der Patienten ins Abwasser. Deren Ausscheidungen getrennt vom normalen Abwasserstrom zu sammeln, erscheint alleine schon aufgrund der schieren Menge nicht realisierbar.

Wenn jedoch die Pharma- und Kosmetik-Industrie wie gefordert, mindestens 80 Prozent von Bau und Betrieb der vierten Reinigungsstufen in deutschen Kläranlagen übernehmen soll, muss damit gerechnet werden, dass dies auf die Endverkaufspreise aufgeschlagen wird.

Während bei Kosmetika der Kunde sich entscheiden kann, sieht die Situation bei den meist ärztlich verordneten Medikamenten gänzlich anders aus. Entweder steigen die geforderten Zuzahlungen um die Mehrkosten oder die Beiträge der jetzt schon knapp finanzierten Gesetzlichen Krankenkassen gehen in die Höhe. In der Folge könnte sich die Pharmaindustrie auch aus dem deutschen Markt zurückziehen, was die Versorgung des deutschen Marktes deutlich behindern dürfte.

Die Alternativen zur Finanzierung des Kläranlagenausbaus wären eine Erhöhung der Abwassergebühren oder höhere Hebesätze bei der kommunalen Gewerbe- oder der Grundsteuer. Gerade letztere ist derzeit ein besonders heißes Eisen.

Mikroverunreinigungen stammen nicht nur von Pharmazeutika

Die deutschen Pharmafirmen sehen sich nicht als die einzigen Verursacher der Abwasserbelastung durch Mikroverunreinigungen. Auch Verunreinigungen durch Mikro- oder Nanoplastik sowie der Eintrag von Pfas könnte mit einer vierten Reinigungsstufe aus dem Wasserstrom entfernt werden, deren Verursacher sollen jedoch nicht für die Kosten aufkommen müssen.

Bei Pfas wendet sich die Industrie derzeit massiv gegen die von der EU-Chemikalienagentur Echa in Helsinki vorgesehenen Einschränkungen, weil deren Umsetzung den Wirtschaftsstandort Deutschland massiv gefährden würde.

Die Folgen einer Pfas-Einschränkung rufen auch die Politik auf den Plan, welche dafür kämpfen will, dass man mit Pfas weiterhin die Umwelt und speziell das Trinkwasser belasten darf, weil ein Verzicht auf diese Ewigkeitschemikalien beispielsweise den deutschen Maschinenbau bedrohen würde. So engagiert sich der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger dafür, dass der US-Konzern 3M seine Tochter Dyneon, die Pfas-Produkte in Burgkirchen produziert, nicht schließt.

Der Schutz der Arbeitsplätze erscheint dem Wirtschaftsminister wichtiger als die Gesundheit der Einwohner im Landkreis Altötting, wo sich 2018 herausstellte, dass überdurchschnittlich viele Menschen in der Region die Chemikalie Perfluoroktansäure im Blut haben. Das Trinkwasser im Landkreis Chemikalien aus der Pfas-Gruppe belastet.

Da die Formeln vieler Pfas dem Betriebsgeheimnis ihrer Hersteller unterliegen, kann man nicht gezielt nach diesen Stoffen in Wasser und Umwelt suchen und ist auf Zufallstreffer angewiesen.

Die nationale Umsetzung der EU-Kommunalabwasserrichtlinie muss finanziert werden

Die EU-Kommunalabwasserrichtlinie (Karl) wurde im April 2024 im Europäischen Parlament verabschiedet. Es geht dabei unter anderem darum, Mikroplastik und Mikroschadstoffe aus dem Abwasser zu entfernen und dabei die Effizienz von bestehenden Kläranlagen zu steigern.

Was bislang in der EU fehlt, sind gültige Normen im Bereich Abwasser. Dass dies ein Manko ist, ist inzwischen in der Fachwelt anerkannt. Daher sollen auf europäischer Ebene im nächsten Jahr entsprechende Projekte zur Normenentwicklung anlaufen.

In Deutschland gibt es zum Bereich Spurenstoffentfernung auf kommunalen Kläranlagen bislang immerhin drei DWA-Merkblätter als praxisorientierte, fundierte Arbeitshilfen. Solange es keine verbindlichen Normen gibt, bleibt es schwer, ein bundesweit vergleichbares Vorgehen bei der Abwasserreinigung von Mikroplastik und Mikroschadstoffen einzuführen.

Solange es weder ein festgelegtes verbindliches Prozedere für die Vierte Abwasserreinigungsstufe und keine Bestimmungen gibt, welche Mikroschadstoffe im Einzelnen aus dem Abwasser entfernt werden müssen, besteht die Gefahr, dass sich die beabsichtigten Aktivitäten letztlich auf ein kostenträchtiges Stochern im Nebel beschränken.

Die anstehenden Umbaukosten der Kläranlagen werden auf mehrere Milliarden Euro geschätzt, mit welchen zu 80 Prozent die Pharmaindustrie belastet werden soll. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) bereitet wegen dieser einseitigen Kostenzuweisung eine Klage gegen die EU-Kommission vor.

Wenn sich der Verkauf pharmazeutischer Produkte in Deutschland aufgrund der Belastung mit den Kosten für die erweiterte Abwasserklärung nicht mehr lohnt, könnte der Markt entscheiden, dass die nicht mehr rentablen Unternehmenstätigkeiten hierzulande eingestellt werden. Kein Unternehmen kann hierzulande gezwungen werden, eine nicht kostendeckende Produktion aufrecht zu erhalten.