Pink Floyds Roger Waters: Darf dieser Mann noch spielen?

Roger Waters beim Arrow Rock Festival, 2006. Bild: Jethro, CC BY-SA 2.5

Themen des Tages: Die Katastrophe nach dem Beben in der Türkei und Syrien. Der Zäunebauer aus Wien. Und die neue Querfront gegen Meinungsfreiheit.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Robert Habeck war in Washington ähnlich erfolgreich wie in Doha.

2. Warum und wo Karl Nehammer mehr Zäune bauen möchte.

3. Und auf Seite 2 lesen Sie: Was die Debatte um Roger Waters uns lehrt.

Doch der Reihe nach.

Keine Hoffnung im Erdbebengebiet

Nach mehr als drei volle Tage nach dem Erdbeben der Stärke 7,7 im türkisch-syrischen Grenzgebiet schwinden die Chancen, dass trotz eisiger Temperaturen noch Überlebende aus den Trümmern geborgen werden. Mehr als 16.000 Tote wurden inzwischen gezählt, so Telepolis-Redakteurin Claudia Wangerin. In der Türkei sprach die staatliche Katastrophenschutzbehörde Afad in der Nacht zum Donnerstag von 12.873 bestätigten Todesopfern und 62.937 Verletzten.

In einigen Ortschaften dauerte es allerdings, bis überhaupt Hilfe von staatlicher Seite ankam. Laut einem Bericht der türkisch-deutschen Zeitung Yeni Hayat (Neues Leben) waren es zunächst vor allem Freiwillige, die in der Provinz Kahramanmaraş, wo das Epizentrum des Bebens lag, halfen – auch mehr als zwei Tage danach.

EU-Gipfel: Kein Plazet aus Wien

Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer probe den Aufstand in Brüssel, so Telepolis-Autor Frank Jödicke. Er wolle die Abschlusserklärung der EU-Staats- und Regierungschefs beim heute in Brüssel beginnenden Gipfeltreffen blockieren, wenn nicht das von ihm geforderte "robustere" Vorgehen beim Grenzschutz Gehör findet. Nehammer wolle offenkundig das Recht auf Asyl einschränken und wünscht sich Milliarden für den Bau von Zäunen, weil "leere Worthülsen" nun nicht mehr reichen.

Er selbst hat eher leere Konzepthülsen im Sinn, die rechtlich absurd sind, praktisch nicht durchsetzbar und im wesentlichen Ausdruck seiner innenpolitischen Panik. Allerdings treffen sie den Geschmack ländlicher Regionen, sowohl in Österreich als auch in Deutschland, wie beispielsweise der "Hilferuf" des Präsidenten des Landkreistages Sachsen-Anhalt sowie das Agieren des Landrats des Burgenlandkreises, Götz Ulrich, zeigt. Letzterer meint, die "besonderen Situationen in den ländlichen Räumen geraten mitunter außer Betracht".

Keine Entspannung zwischen EU und USA

Das wirtschaftliche Verhältnis zwischen den Ländern der Europäischen Union und den USA ist angespannt, so Telepolis-Autor Bernd Müller. Die massiven Subventionen für grüne Technologien hätten in Europa die Furcht aufkeimen lassen, dass europäische Unternehmen könnten massiv benachteiligt werden.

Auch das Abwandern wichtiger Industrien wurde in den vergangenen Monaten diskutiert. Neben den Subventionen bieten die USA einen weiteren Wettbewerbsvorteil: preiswerte Energie. Unternehmen aus der chemischen Industrie hatten deshalb zuletzt angekündigt, verstärkt in den USA investieren zu wollen.

Querfront für Meinungsunfreiheit

Der britische Musiker Roger Waters steht nach einer per Video übertragenen Rede vor dem UN-Sicherheitsrat zum Ukraine-Krieg in westlichen Ländern in der Kritik. Der Grund: Auf Einladung Russlands hatte der 79-jährige Mitbegründer von Pink Floyd am Mittwoch in New York zu den Mitgliedern dieses wichtigen UN-Gremiums gesprochen.

"Der Einmarsch der Russischen Föderation in die Ukraine war illegal. Ich verurteile ihn aufs Schärfste", sagte Waters. Zugleich aber kritisierte er die Vorgeschichte des Konflikts. Der Angriff Russlands sei "nicht unprovoziert" erfolgt. "Deshalb verurteile ich auch die Provokateure auf das Schärfste", fügte er hinzu.

Diese Äquidistanz ging für Waters politisch nicht gut aus. Die Aufregung war groß – so groß, dass völlig unterging, dass der meinungsstarke Musiker alle direkt oder indirekt am Krieg beteiligten Parteien zum Frieden aufrief. Dabei war das nicht der unwichtigste Teil seiner Rede.

Aber die Tatsache, dass er sich von den Russen einladen ließ, scheint für viele entscheidend zu sein. Wenn man sich die Medienreaktionen hierzulande anschaut, könnte man den Eindruck gewinnen, Waters und Pink Floyd hätten ein Truppenkonzert vor Wagner-Söldnern im russisch besetzten Teil der Ukraine gegeben.

Nun eckt Waters politisch immer wieder an. Aber die Reaktionen, die jetzt auf seine Äußerung folgten, haben jedes rationale Maß verloren. Die Frankfurter Rundschau schreibt in einem Autorenbeitrag, Waters "schlägt sich auf Russlands Seite". Die WDR-Korrespondentin aus New York wusste zu berichten (hier in einer redaktionellen Online-Meldung zum Beitrag), dass Waters ohnehin in der Kritik stehe und ein Konzert von ihm in Polen abgesagt worden sei – ohne jede Einordnung, ebenso wie im NDR.

Der Fall Waters zeigt eine Diskursverengung in ihrer gefährlichsten Form: Wer den mitunter wirkenden engen Meinungskorridor verlässt, muss konkrete persönliche und berufliche Konsequenzen fürchten. Dabei geht es nicht um Haltungen, die gesellschaftlich geächtet sind – Holocaustleugnung etwa, Rassismus oder Gewalt gegen Schutzbefohlene. In der tagespolitischen Debatte gelten "Dos" und "Donts", die variieren und in vielen Fällen nicht demokratisch ausgehandelt worden sind.

Waters nutzte die Chance, vor dem UN-Gremium zu sprechen, um Öffentlichkeit zu erlangen. Dem Umstand, dass er von der russischen UN-Delegation eingeladen worden ist, wurde er mit der unmissverständlichen Verurteilung des Krieges gerecht. Ob seine strategische Entscheidung richtig war oder nicht, kann und sollte diskutiert werden. Aber viele andere Möglichkeiten, vor dem UN-Sicherheitsrat zu sprechen, hätte es wohl nicht gegeben. Eine Einladung der chinesischen Delegation wäre wohl nicht weniger umstritten gewesen.

Zudem liegt Waters mit seiner Forderung nach Verhandlungen nahe an der Mehrheitsmeinung der Deutschen, die laut jüngsten Umfragen eine Eskalation des Krieges in der Ukraine fürchten und den vorsichtigen Kurs der Regierungspartei SPD unterstützen. Über alle anderen Inhalte der Videoschaltung nach New York kann und soll diskutiert werden.

Im polnischen Krakau war Waters aufgrund seiner Haltung zur Ukraine im vergangenen September zur Persona non grata erklärt worden. Ein Konzert wurde abgesagt. Dahinter stand maßgeblich ein Stadtrat, der neben seiner politischen Tätigkeit in mutmaßlich illegales Glücksspiel verwickelt ist und Kontakte zur rechtskonservativen Regierungspartei PiS unterhält.

In Deutschland spricht sich die Grüne Claudia Roth wegen anderer Äußerungen Waters für einen Boykott seiner Konzerte aus, ähnliche Forderungen wurden in Frankfurt am Main laut.

Diese Querfront der Meinungsunfreiheit hat von niemandem ein Mandat erhalten. Sie steht weder für Demokratie noch für Freiheitsrechte. Sie ist aufgrund ihres moralischen Impetus‘ potenziell antiaufklärerisch und gefährlich, weil mit ihr ein neuer Autoritarismus voranschreitet, der Teile der deutschen Grünen und der polnischen Rechten zu vereinen scheint.

Fehlt nur noch die Postfaschistin Georgia Meloni, die Dank des CSU-Politkers Manfred Weber auf dem besten Weg zur Aufnahme in die Achse der Guten ist.