Platz für Paramilitärs und Drogenhändler

Der Rechtspopulist Álvaro Uribe Vélez konnte bereits in der ersten Runde die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden. Ein Hintergrundbericht aus Kolumbien

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Wieder entschied der Umgang mit der Guerilla die Präsidentschaftswahlen in Kolumbien . War vor vier Jahren die Bereitschaft zu Friedensgesprächen ausschlaggebend, kam diesmal die harte Linie zum Zug. Der smart auftretende Rechtspopulist Álvaro Uribe Vélez, der "mit harter Hand und großem Herz" der Guerilla ihr Ende bereiten will, wird die kommenden vier Jahre das von einem blutigen Konflikt zerrüttete Land regieren. Dass in seinem großen Herzen auch Platz für die Paramilitärs und Drogenhändler steckt, zeigt seine Vergangenheit. Die Kolumbianer scherte es jedoch wenig. Bereits im ersten Wahlgang am letzten Sonntag konnte er 53 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, was eine Stichwahl unnötig macht.

Die Wahlkampfzentrale von Álvaro Uribe Vélez im Norden Bogotás gleicht zwei Wochen vor den Wahlen einem Hochsicherheitstrakt. Hinter Panzerglastüren stehen ein halbes Dutzend bewaffneter Polizisten. Hin und wieder kreuzt ein in zivil gekleideter Mitarbeiter den Empfangsraum. Ein Interview (siehe "Keinen Schritt zurück") mit ihm zu bekommen, gleicht einem Versteckspiel. Tags darauf führt der Termin nach einer kleinen Irrfahrt in eines der zahlreichen Hotels in der Innenstadt. Auch dort stehen mehrere Bodyguards in zivil herum. Erst beim näheren Hinsehen sind sie an den Ohrstöpseln und den unnatürlich geschwellten Oberkörpern zu erkennen, welche die schusssicheren Westen tragen. Rund 200 Bewacher stehen dem Präsidentschaftskandidaten Kolumbiens rund um die Uhr zur Verfügung, sagt einer von ihnen.

Dieser Mann fürchtet offenbar um sein Leben. Nicht zu Unrecht. Am 14. April explodierte eine Busbombe in der Küstenstadt Barranquilla, just als die Wahlkampfkarawane von Uribe Vélez daran vorbeifuhr. Mit etwas Glück konnte er diesem Anschlag entkommen. Drei seiner Bodyguards und weitere drei Zivilisten nicht. Die Täter waren offenbar Rebellen der FARC-Guerilla.

Nach einstündiger Wartezeit betritt Uribe das Hotelzimmer. Klein, smart und unheimlich schnell. Schon in der ersten Sekunde vermittelt er den Eindruck, nicht gepackt werden zu wollen. Diesmal weniger von der Guerilla als vielmehr von ungenehmen Fragen. Schlechte Erfahrungen hatte er bereits mit der Zeitschrift Newsweek gemacht, die in seiner Vergangenheit herumzustochern versuchte. Ihm werden Verbindungen zu den rechten Paramilitärs und den früheren Drogenkartellen nachgesagt. Mit Antworten wie aus der Maschinenpistole versucht er die drei anwesenden Journalisten festzunageln, die kaum den Atem haben, mit Fragen zu folgen. Was hängen bleiben soll, sind kernige Aussagen. Viel mehr besser nicht. Sein Lieblingswort: Autorität. Nach acht Minuten ist der Spuk vorbei. Der kleine Uribe verschwindet, umringt von einem Tross grösserer Bodyguards, im dunklen Hotelgang.

Der Messias gegen den Krieg

Wie Phoenix aus der Asche sollte dieser Kandidat aufsteigen, nachdem der Friedensprozess zwischen Regierung und FARC-Guerilla am 20. Februar erfolglos beendet wurde. (siehe Bomben statt Waffenstillstand) Schon Monate zuvor wetterte Uribe gegen die bedingungslosen Verhandlungen mit der Guerilla, die sich ausserhalb einer entmilitarisierten Zone weiter munter ihrer Kriegsstrategie widmete. Als die letzten Hoffnungen auf eine politische Lösung des kolumbianischen Konflikts erloschen, katapultierte sich Uribe binnen kürzester Zeit nahezu uneinholbar an die Spitze der Umfragen.

"Ich wähle Uribe Vélez", sagt eine Ladenbesitzerin in einem kleinen Dorf nahe Bogotá. Ob sie denn nicht dessen nachgesagte Verbindungen zum Paramilitarismus beunruhige? “Das interessiert mich nicht, der Mann greift durch." So dachten die meisten Kolumbianer vor den Wahlen, die in Uribe den neuen Messias sehen, der nach der "Schande Pastrana" - so die Besitzerin - nun mit der Guerilla aufräumen wird. Bomben, die in den ersten Apriltagen in Bogotá und Villavicencio explodiert waren, gaben der Wahlkampfmaschinerie von Uribe Velez noch Nachschub. Anschläge, besonders von den FARC ausgeübt, trieben Uribe die Wähler in die Arme. Nach dem missglückten Anschlag in Barranquilla rief er unbeeindruckt in die Kamaras, dass nur eine "autoritäre Regierung" diesem Terror ein Ende setzen könne. Und er ist die personifizierte Autorität. Seine Versprechen, die bei den meisten Kolumbianern offene Ohren finden, können kaum populistischer sein: Aufstockung der professionellen Soldaten auf 100.000 Mann von derzeit rund 54.000, samt erhöhtem Militärhaushalt und Ausrottung der Guerilla.

Eine Million bewaffneter Zivilisten

Die weitgehende Ablehnung des 49-jährigen Uribe von Friedensverhandlungen mit der Guerilla resultiert aus den achtziger Jahren. Sein Vater, ein Landbesitzer, wurde von den FARC erschossen. Der Sohn konnte nie verstehen, wie Präsident Pastrana 1998 dieser Guerilla ein Gebiet von der Größe der Schweiz für Friedensverhandlungen ohne Konditionen überlassen konnte. Damals noch Gouverneur von Antioquia, sollte er eine ganz andere Politik verfolgen, die ihm den Ruf eines Paramilitär-Unterstützers einbrachte.

Während seiner dreijährigen Amtszeit als Gouverneur forcierte Uribe die Gründung von Convivir-Gruppen , eine unter Präsident Samper legalisierte Form von Selbstverteidigungsgruppen , die in den ländlichen Gebieten gegen die Guerilla vorgehen sollte. Laut Menschenrechtsorganisationen hatten diese Gruppen enge Verbindungen zu den Paramilitärs aufgebaut und sollen mitverantwortlich für Massaker gewesen sein, die besonders in der unter Uribe regierten Provinz anstiegen. 200.000 Menschen flohen damals wegen dem verschärften Konflikt aus ihrer Heimat. 1998 wurden die Convivir-Gruppen wieder für illegal erklärt.

Spricht man Uribe auf diese Punkte an, erzählt er jedoch von einem Erfolg dieser Strategie. Mehr noch: im Falle seiner Präsidentschaft will er eine Million Kolumbianer bewaffnen lassen, was einer Reaktivierung der Convivir gleichkommt. Journalisten hält er immer wieder Zahlen vor, wonach er in den meisten Teilen Antioquias mit der Guerilla aufgeräumt habe. So sei die nordwestliche Bananenregion Urabá "befriedet" worden. Dort herrschen seit Jahren jedoch brutal die rechten Paramilitärs. Seit März versuchen die Rebellen von FARC und ELN wieder, ihr altes Territorium zurückzugewinnen. Im Mai entwickelten sich schwere Kämpfe in Antioquia und der Provinz Chocó zwischen den irregulären Gruppen. Über 200 Bewaffnete und viele Zivilisten kamen dabei ums Leben. Uribe will diesem Treiben zivilen Widerstand entgegen setzen. Dass dabei gerade diese Zivilisten die zukünftigen Opfer sein werden, scheint er in Kauf zu nehmen. Wenn die Bürger mit der Armee eng zusammenarbeiten, so Uribe, wird der Konflikt beendet.

Smart Boy mit Schattenseiten

Sich selbst sieht Uribe als den Repräsentanten, der dem vielerorts einflusslosen Staat wieder Legitimität verleihen wird. Im Auftrage der Gesetze und: mit "respektvoller Autorität". Diese Sauberkeit und Gesetzestreue, die er im Wahlkampf repräsentiert, hat allerdings ihre Kratzer. So wie seine Biografie. Der gelernte 49-jährige Anwalt, der als Oberschichtsjunge eine typische Beamtenlaufbahn in der Medelliner Verwaltung mit Studium in Oxford und Harvard begann, könnte als das reine Beispiel eines Aufsteigertyps durchgehen. Gäbe es da nicht diverse Kontakte, die immer schwerer auf ihn lasten. Anfang der neunziger Jahre unterhielt er enge Kontakte zum Ochoa-Clan, der zum Drogenkartell von Pablo Escobar gehörte. Immer wieder betont Uribe, dass diese Beziehungen rein familiar gewesen seien. Ausgehend von seinem Vater, « Er ruhe in Frieden », so Uribe. Dem britischen Journalisten Simon Strong, der für sein Buch "Whitewash" 1994 über die Drogenkartelle in Kolumbien recherchierte, drohte Uribe vor einer Veröffentlichung eines mit ihm geführten Interviews. Als der Journalist in einem Medelliner Restaurant Fragen an den damaligen Abgeordneten zu einem seiner politischen Unterstützer stellte, der Jahre zuvor enge Kontakte zu Pablo Escobar gepflegt haben soll, rannte Uribe wutschnaubend aus dem Restaurant heraus. Schliesslich galt es, die weisse Weste öffentlich reinzuhalten. Vor der Tür erwartete den Journalisten der jetzige Präsidentschaftskandidat, Drohungen speiend, mit erhobener Faust und umringt von Bodyguards. Seltene Ausbrüche eines sonst so kontrollierten Kandidaten.

In den achtziger Jahren traf sich Uribe mehrfach mit Salvatore Mancuso. "Ein oder zweimal. Zufällig ", erklärt Uribe. Mancuso gilt heute als militärischer Chef der Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens AUC. Viele der heutigen Paramilitärchefs kommen aus den früheren Kreisen der Drogenkartelle. Uribe hatte enge Kontakte zu ihnen. Offenbar danken es diese ihm im Wahlkampf. In mehreren Regionen des Landes unterstützen die Paramilitärs offen die Kandidatur Uribes. "Wir schlagen den Leuten vor, wen sie zu wählen haben", brachte es Mancuso in einer Stellungnahme auf den Punkt. Wer das ist, darin besteht kein Zweifel. Schliesslich ist Uribe unmittelbarer Nachbar von Mancuso. Dessen Finca grenzt nahe der Provinzhauptstadt Montería an ein Landgut von Mancuso. Wenn Uribe nicht da ist, passen die Verwalter von Mancuso auf Uribes Kühe auf.

Eine Hand wäscht die andere. Eine deutsche Menschenrechtskommission , die im März die Stadt Barrancabermeja besuchte, berichtete von Plakatbestückten Stützpunkten der Paras in der Stadt mit dem Foto von Uribe. Bei den Parlamentswahlen im März kam es besonders in dieser Region zu einem grossangelegten Wahlbetrug, bei denen Stimmzettel vormarkiert waren. Das Kreuz befand sich an den Namen der Abgeordneten, die zukünftig den parteilosen Uribe unterstützen wollen.

Seinen Willen zur Präsidentschaftskandidatur äusserte Uribe Vélez 1999 auf einer Galaveranstaltung, auf der er zeitgleich zwei anwesende Armeegeneräle hochleben liess. Fernando Millan und Rito Alejo del Rio sollten später vom Militärdienst ausgeschlossen werden, nachdem ihnen enge Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen und eine Mitverantwortung für Massaker nachgewiesen wurde. Was Uribe aber in der Folgezeit nicht davon abhielt, die beiden Militärs bei mehreren Gelegenheiten für ihr "ehrenhaftes Verhalten" hochleben zu lassen und ihnen jede Verletzung von Menschenrechten abzusprechen. Die Liste liesse sich fortsetzen.

Was erwartet also ein kriegsgebeuteltes Kolumbien mit einem Uribe als Präsidenten? Die (zu) späte, aber nicht neue Erkenntnis, dass die Guerilla nicht auf militärischem Wege zu besiegen ist. Viele Präsidenten haben sich bereits vorher daran versucht und sind gescheitert. Mit Uribe steigt allenfalls das Risiko, dass dieser Krieg noch schmutziger wird als bisher. Bereits jetzt sterben jährlich 34.000 Kolumbianer eines gewaltsamen Todes. Alle 20 Minuten findet ein Mord statt. Werden eine Million Zivilisten legal bewaffnet, kann man getrost ausschliessen, dass sich dieser Zeitabstand verringert.