Pockenpanik kommt in den USA nicht an

Das von der US-Regierung geplante Pockenimpfprogramm ist ins Stocken geraten

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Während bei uns manche versuchen, die Panik vor Anschlägen mit biologischen Waffen und vor allem mit Pockenviren hochzuspielen (Die Pocken am Frühstückstisch) - und dabei natürlich stets wie der bayerische Innenminister Beckstein versichern, es ginge nur um Vorsorge, nicht um die politische Ausbeutung von Hysterie -, scheint in den USA das von der Regierung zumindest teilweise instrumentalisierte Szenario keinen Glauben zu finden. Das Pockenimpfprogramm, mit dem in einem Monat eine halbe Million Angehörige der Gesundheitsdienste vor einem möglichen Anschlag geschützt werden sollten, wird offensichtlich boykottiert.

Präsident Bush hatte im Dezember das Impfprogramm angekündigt. Eine halbe Million Soldaten mussten sich impfen - und angeblich hat Bush als Vorbild sich auch gegen Pocken impfen lassen. Freiwillig sollten sich dann die über 10 Millionen Menschen auch der Prozedur unterziehen. Der Gesundheitsminister hatte schließlich am 24. Januar das freiwillige Pockenimpfprogramm gestartet. In einem Monat sollten eine halbe Million Menschen und dann Zug um Zug in den nächsten Monaten Millionen von weiteren geimpft werden.

Über 250.000 Impfstoffe wurden versendet, doch bislang haben sich nur etwas mehr als 4000 Menschen impfen lassen. noch nicht einmal ein Prozent der vorgesehenen Menge. Viele Krankenhäuser weigern sich prinzipiell an dem Programm teilzunehmen und ihre Mitarbeiter dem Risiko einer Impfung auszusetzen, aber auch Gewerkschaften und sogar manche Gesundheitsministerien der Bundesstaaten sehen den Sinn der Aktion nicht ein.

Tatsächlich handelt es sich, wie bei uns Innenminister Schily beteuert, um ein abstraktes Risiko. Das heißt schlicht, dass ein Anschlag mit Pockenviren theoretisch natürlich denkbar ist - wie so vieles anderes -, aber es keine konkreten Hinweise dafür gibt. Niemand weiß, ob Pockenviren noch irgendwo außerhalb der zwei Labors in Russland und in den USA vorhanden sind. Vor allem weiß niemand wirklich, ob der Irak sie besitzt. Sollten jedoch Pockenviren sich in den Händen von muslimischen - oder anderen - Extremisten befinden, so könnte durchaus sein, dass ein Angriff auf den Irak einen solchen Gegenschlag provozieren könnte. Doch ob Terroristen dann ausgerechnet Pocken verwenden und nicht zu anderen Mitteln greifen, steht in den Sternen und ist nicht vorhersehbar.

In den USA sind Experten im Gegensatz zu den Politikern nicht wirklich davon überzeugt, dass allein das abstrakte Risiko es rechtfertigt, Hunderttausende von Menschen einer Impfung mit bekannten Nebenwirkungen zu unterziehen. Hinzu kommt, dass die US-Regierung als Beipack zum verabschiedeten Gesetz über die Einrichtung des neuen Ministeriums für Innere Sicherheit (Homeland Security) einen Paragraphen eingefügt hat, der verhindert, dass Firmen, die für das Ministerium etwas herstellen oder liefern, schadensersatzpflichtig gemacht werden können (Big Brother Staat USA?). Sollte der Impfstoff also mit Verschulden des Herstellers zu Gesundheitsschäden führen, so hätten die Betroffenen keinen Anspruch auf Schadensersatz. Die US-Regierung konnte sich so zwar Unternehmen ins Boot holen, aber nicht unbedingt das Vertrauen der Menschen. Nun will offenbar das Gesundheitsministerium Gelder für diesen Zweck zur Verfügung stellen.

Der Plan in den USA war, zuerst diejenigen gegen Pocken zu impfen, die im Falle einer Infektion als erstes damit in Berührung kommen würden, also die im medizinischen Bereich arbeitenden Menschen. Man geht davon aus, dass die meisten Menschen vor Pocken geschützt werden können, wenn sie innerhalb von 5 Tagen geimpft werden. Entsprechend auf Massenimpfungen eingestellt, könnten die Impfungen also auch noch nach einem Anschlag durchgeführt werden. Ob das allerdings wirklich funktionieren würde, wenn Panik einsetzt, wie dies schon bei den wenigen Fällen von Milzbrand im Oktober 2001 der Fall war, ist fraglich - vor allem in den Augen derjenigen, die zu einer vorsorglichen Impfung raten. US-Gesundheitsminister Thompson hat daher noch einmal zur Umsetzung des Programms aufgerufen, und die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) schicken an Millionen von Menschen im Gesundheitsdienst noch einmal Informationen. Allerdings würde eine Epidemie auch nicht landesweit auf einmal ausbrechen, weswegen regionale Impfkampagnen durchaus ausreichen würden, um eine Pockeninfektion einzudämmen.