Politik und Plagiatsaffären
Seite 3: Der Fall Giffey
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Die SPD-Ministerin schien die Plagiatsaffäre schon überstanden zu haben, als ihr die Freie Universität Berlin im Oktober 2019 nur eine Rüge erteilte. Danach wurde die Kritik - aus Hochschulkreisen, Politik und Medien - am Prüfungsverfahren aber immer lauter.
Ein gravierender Einwand war, dass Giffeys Doktormutter, die Politikwissenschaftlerin Tanja Börzel, als Vorsitzende des Promotionsausschusses die Prüfungskommission selbst zusammenstellte. Als Betreuerin war sie in der Sache natürlich befangen.
Damit hat die Akademikerin meiner Meinung nach weder sich selbst noch ihrer Universität einen Gefallen getan: Für mich ist das dann auch der viel größere Skandal, als dass eine Politikerin in ihrer Doktorarbeit abgeschrieben hat. Gerade die Wissenschaft sollte in Sachen Unabhängigkeit und Transparenz der Gesellschaft ein Vorbild sein, nicht umgekehrt.
Interessenkonflikte im Gutachterwesen halte ich ohnehin für ein großes und noch zu oft unterschätztes Problem (Warum die Wissenschaft nicht frei ist). Dabei gibt der Rechtsstaat doch ganz klar vor: Entscheidungen müssen nachvollziehbar, öffentlich einsehbar und unabhängig sein. Auch hier sei noch einmal daran erinnert, dass die allermeisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Steuermitteln bezahlt werden.
Dass bei Forschungsskandalen meist jüngere Akademiker beharrlich auf Probleme hinweisen müssen, während sich die Etablierten in Schweigen hüllen, wirft auch kein gutes Licht auf das System. Ich schrieb hier beispielsweise über die Fälle Marc Hausers, Niels Birbaumers und Hans-Ulrich Wittchens, die sich in dieser Hinsicht ähnelten.
Flucht nach vorne
Franziska Giffey scheint nun ihre Hausaufgaben gemacht zu haben: Zwar konnte sie in ihrer Doktorarbeit nicht richtig zitieren, doch ihre Karriere will sie nun mit einer Flucht nach vorne retten. Sie konnte schließlich von zu Guttenberg und Schavan lernen, wie man es nicht machen darf. Also "verzichtete" sie erst auf ihren Doktor, was formal gar nicht geht; und als sich das Ende des zweiten Untersuchungsausschusses näherte, bot sie den Rücktritt an.
Auch das riecht wieder nach Klüngel und strategischem Taktieren: Denn der offizielle Bericht war da noch gar nicht veröffentlicht. Es gab also - außer vorauseilender Deeskalation? - noch gar keinen formalen Anlass für einen Rücktritt. Giffeys Parteikollege Michael Müller, der Regierende Bürgermeister Berlins, dessen Nachfolge die SPD-Frau bald antreten will, setzt noch einen darauf: Im Morgenmagazin von ARD und ZDF sagte er, Frau Giffey spiele mit offenen Karten.
Das angesichts der Faktenlage ein gewaltiger Spin: Eine Spitzenpolitikerin täuscht massiv in ihrer Dissertation und führt den Doktor dann auch jahrelang. Sie wird wissen, was es ihr gebracht hat. Ihre Doktormutter regelt im Krisenfall eine garantiert neutrale Prüfungskommission. Diese kommt im Endergebnis auf eine Rüge, die es formal gar nicht gibt.
Und auch nach Installation der zweiten Prüfungskommission, diesmal ohne Schützenhilfe, braucht die Ministerin noch ein gutes halbes Jahr, um sich darauf zu besinnen, dass ihre Täuschung nicht mit dem hohen öffentlichen Amt vereinbar ist.
Dieses Vorgehen offenbart einen massiven Werteverfall in der Partei, die traditionell mit dem Spruch "Aufstieg durch Bildung" Wahlkampf macht und den Armen der Gesellschaft ihr unmenschliches "Fördern und Fordern" aufdrückt. Das eigene Personal macht hingegen mit dem "Aufstieg durch Verblendung" vor, wie man wirklich in die Spitzenpositionen kommt. Und kurz bevor man es nicht mehr leugnen kann, jazzt man es zur Schicksalswahl:
Ganz bescheiden mögen nun Berlins Wählerinnen und Wähler bestimmen, wie es mit der Plagiatspolitikerin weitergeht. Diese spiele immerhin mit offenen Karten. Asche auf ihr Haupt. Tatsächlich hat sie lange getäuscht und an ihrer Täuschung auch festgehalten, bis sie sich nicht länger vertuschen ließ.
Für die SPD, um deren Beliebtheit es zurzeit ohnehin schlecht bestellt ist, stellt das kein geringes Risiko dar. Da wird sich wohl auf die Schnelle keine Alternative gefunden haben. Das bedeutendere Risiko sehe ich aber für die Wissenschaft: Wenn Giffey jetzt mit Erfolg vormacht, wie man Täuschungsmanöver auf der Karriereleiter später geradebiegt, dann werden ihr das andere wohl nachmachen.
Tja, was für einen Sinn hätte so ein Doktor dann noch?
Hinweis: Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.
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