Politische Ökonomie des Krisennationalismus

Wieso feiert der Nationalismus in der Krise ein zombiehaftes Comeback?

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Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Auf diesen Nenner lassen sich die handelspolitischen Ergebnisse des G20-Gipfels von Hamburg bringen. Während der konfrontativ geführten Verhandlungen konnte der drohende Handelskrieg zwischen den USA und der BRD, der vor allem am Streit um Stahlimporte zu entfachen drohte, vorerst abgewendet werden.

In der Herzkammer der Deutschen Exportindustrie sprach die Schwäbische Zeitung anschließend von einem "bröckelnden Bekenntnis" der Gipfelteilnehmer zum Freihandel. Trump sei mit seiner Abkehr vom globalisierten Handel nicht alleine, auch China betreibe durch harte Importauflagen ebenfalls einen "ökonomischen Nationalismus".

In der Abschlusserklärung des Gipfels legten deren Unterzeichner zwar ein Bekenntnis für den Freihandel ab, doch zugleich setzte Trumps Delegation entsprechende protektionistische Formulierungen durch, die eben dies Bekenntnis de facto ad absurdum führen. Letztendlich war es ein Meisterstück der deutschen Gipfeldiplomatie, die ja vor allem auf publikumswirksame Effekte im Vorwahlkampf abzielte. So wollen die G20 "den Kampf gegen Protektionismus einschließlich aller unlauterer Handelspraktiken" fortsetzen.

Gegen diese "unlauteren Handelspraktiken" können selbstverständlich "Verteidigungsinstrumente im Handel" zur Anwendung gebracht werden - also protektionistische Maßnahmen. Diese müssten nur "legitim" sein. Fazit: Alle Gipfelteilnehmer können nun ihren handelspolitischen Standpunkt in der wirklich "vielsagenden" Gipfelerklärung vertreten sehen.

Vor ein paar Jahren noch galt eine Abkehr von der Globalisierung mitsamt ihrer hegemonialen neoliberalen Ideologie als undenkbar - nun feiert die veröffentlichte Meinung der Bundesrepublik schon ein "bröckelndes Bekenntnis" der G20 zum Freihandel als einen Gipfelerfolg. Trump scheint hingegen seine protektionistische Linie weiter fortsetzen zu wollen. Mitte Juli initiierte er eine Kampagne für Waren aus heimischer Fertigung. Die Initiative soll dabei helfen, die Deindustrialisierung der USA zu revidieren, wie Spiegel Online berichtete: "Die USA importieren viel mehr als sie exportieren, in weniger als 20 Jahren verschwand fast ein Viertel ihrer Fabriken."

Bereits im vergangenen April bekräftigte Amerikas regierender Rechtspopulist, er wolle dieser Deindustrialisierung der USA nicht mehr tatenlos zusehen: "Unter meiner Regierung wird der Diebstahl des amerikanischen Wohlstandes aufhören", polterte Trump anlässlich der Ankündigung einer Reihe protektionistischer Maßnahmen, mit denen das enorme US-Handelsdefizit vermindert werden soll. Seine Administration werde "unsere Industrie verteidigen", kündigte der offen nationalistisch argumentierende US-Präsident an, der seine Wahl mit der Parole "America First" gewann.

Damit brach Trump öffentlich mit der Freihandelsideologie, die in den vergangenen neoliberalen Dekaden maßgeblich gerade von den USA durchgesetzt wurde. "Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt, sind unserem Land tausende Fabriken gestohlen worden," zitierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) den US-Präsidenten. Diese "schlechten Freihandelsverträge" werde er nun korrigieren, so Trump.

Grafik 1: Leistungsbilanz USA. Quelle: Weltbank, USA-Current Account Balance. Grafik: TP

Die Zahlen zum amerikanischen Handelsdefizit sind hierbei eindeutig: Dieses liegt inzwischen wieder bei gigantischen 502 Milliarden US-Dollar, wobei dessen Löwenanteil auf die Volksrepublik China entfällt, die im vergangenen Jahr einen Handelsüberschuss von 347 Milliarden US-Dollar gegenüber den Vereinigten Staaten verzeichnen konnte. Auf Platz zwei der amerikanischen Exportüberschussliste lag 2016 Japan mit 69 Milliarden US-Dollar, gefolgt von der Bundesrepublik, die einen Überschuss von 65 Milliarden errang.

Historisch betrachtet ist das gigantische amerikanische Handelsdefizit sukzessive in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts und in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts in absurde Dimensionen angeschwollen, wobei dies größtenteils auf die rasche, exportgetriebene kapitalistische Modernisierung der Volksrepublik China zurückzuführen ist. Die massiven Handelsdefizite der Vereinigten Staaten sind kurzfristig im Gefolge der Weltwirtschaftskrise 2008/09 eingebrochen, um hiernach wieder anzusteigen und bei rund drei Prozent des BIP zu pendeln. Die durch protektionistische Maßnahmen intendierte Senkung der Handelsdefizite soll die Reindustrialisierung befördern, die Trump seiner Anhängerschaft im Wahlkampf versprach.

Aus globaler Sicht ist das deutsche "Geschäftsmodell" problematischer als das chinesische

Die handelspolitischen Angriffe Trumps richteten sich anfänglich vornehmlich gegen China, während seine Attacken gegen die Überschüsse der Bundesrepublik erst im Verlauf seiner ersten Europavisite zunahmen. Auf den ersten Blick scheint dies angesichts der oben erwähnten Zahlen auch nachvollziehbar. Das Handelsdefizit der Vereinigten Staaten mit der Volksrepublik ist inzwischen höher als in der Hochphase der globalen Finanzblasenökonomie in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts, als die "transatlantische" Immobilienblase in den USA und weiten Teilen Europas als wichtigster Konjunkturmotor fungierte - und mit einer gigantischen Verschuldungsorgie einherging.

Grafik 2: Leistungsbilanz China. Quelle: Weltbank, China - Current Account Balance. Grafik: TP

Ein Blick auf die Entwicklung der gesamten chinesischen Leistungsbilanz (Handels-, Dienstleistungsbilanz und sonstige Geldüberweisungen) offenbart aber ein ganz anderes Bild. Die Ära der Extremen chinesischen Handelsüberschüsse, als die Volksrepublik Leistungsbilanzüberschüsse von bis zu zehn Prozent des BIP erwirtschafte, ist mit dem Platzen der Immobilienblase in den USA und Europa unwiederbringlich zu Ende gegangen. Seit 2010 verzeichnet das Reich der Mitte einen moderaten Leistungsbilanzüberschuss von rund zwei Prozent des BIP. Chinas Konjunktur ist somit spätestens seit 2010 nicht mehr - vornehmlich - exportgetrieben, sondern kreditgetrieben. Mag nun Trump über die Extremen chinesischen Exportüberschüsse jammern, die zur Deindustrialisierung der USA beitragen; auf globaler Ebene ist dies nicht in demselben Ausmaß der Fall, wie vor der Weltfinanzkrise von 2008.

Grafik 3: Leistungsbilanz Bundesrepublik. Quelle: Weltbank, Deutschland Current Account Balance. Grafik: TP

Anders sieht es hingegen beim Exportweltmeister Deutschland aus. Seit der Euroeinführung sind die deutschen Überschüsse, die in den 90er Jahren de facto nicht vorhanden waren, regelrecht explodiert. Befördert wurde diese extreme Exportausrichtung, die durch die strukturelle Unterbewertung des Euro in Relation zur deutschen Wirtschaftsleistung ermöglicht wurde, zusätzlich durch die gezielte politische Strategie der "inneren Abwertung" in der Bundesrepublik. Stichwort: Agenda 2010 samt Hartz IV.

Inzwischen stoßen die Deutschen Überschüsse somit in die Dimensionen vor, die bis zum Platzen der transatlantischen Immobilienblasen nur China vorbehalten waren. China "mäßigte" somit seine Exportausrichtung, während diese in der Bundesrepublik immer weiter ins Extrem getrieben wird - unter dem Jubel der hiesigen veröffentlichten Meinung.

Aus globaler Sicht - abseits des inzwischen modischen, verbohrten nationalen Blickwinkels - ist somit das deutsche "Geschäftsmodell" weitaus problematischer als das chinesische. China mag ein extremes Ungleichgewicht gegenüber den USA entwickelt haben, doch bewegen sich die gesamten Überschüsse der Volksrepublik nicht mehr in einem dermaßen extremen Rahmen wie diejenigen der Bundesrepublik. Der extreme Schuldenexport der Bundesrepublik belastet somit die gesamte krisengebeutelte Weltwirtschaft weitaus stärker, da hier eine Volkswirtschaft von rund 82 Millionen Einwohnern einen größeren Überschuss ausbildet als die rund 1,3 Milliarden umfassende "Werkstatt der Welt". Dies ist nicht nur ein Problem für all die Wirtschaftsräume, in die der Exportüberschussweltmeister seinen Schuldenexport betreibt, sondern auch die Bundesrepublik selber. Denn selbstverständlich kann diese Konstellation nicht beliebig prolongiert werden.

Extreme Handelsüberschüsse kommen immer einem Export von Schulden und Arbeitslosigkeit gleich, der in den Defizitländern mittelfristig zu Deindustrialisierung und zu Schuldenkrisen führen muss (Näheres hierzu siehe weiter unten). Deswegen müssen die Defizitländer letztendlich Gegenmaßnahmen ergreifen. Und deswegen kritisierte auch die Obama-Administration die deutschen Handelsüberschüsse, wenngleich sie dies hinter verschlossenen diplomatischen Türen tat.

Folglich hat sich auch die Frage eines drohenden Handelskrieges mit den USA nicht einfach erledigt, da Trump weiterhin mit protektionistischen Maßnahmen drohen muss - allein schon, um seiner Wählerbasis entgegenzukommen.

Ökonomisches Nullsummenspiel

Bei solch einem Handelskrieg stehen aber die größten Verlierer von vornherein fest: Es sind in der Regel die Länder und Wirtschaftsräume mit höchsten Außenhandelsüberschüssen, die bei solchen wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen den größeren ökonomischen Schaden davontragen. Dies gilt selbstverständlich auch für den Exportüberschussweltmeister Deutschland. Dessen Überschuss in der Leistungsbilanz (einer breit gefassten Handelsbilanz, die Dienstleistungen und sonstige Geldüberweisungen umfasst) erreichte 2016 schwindelerregende 261 Milliarden Euro, was in etwa neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Bundesrepublik entspricht.

Dabei nimmt die regelrechte Abhängigkeit der BRD von Exportüberschüssen immer schneller zu, da die Leistungsbilanzüberschüsse von Rekord zu Rekord eilen: 2012 warnte die OECD noch davor, dass Deutschlands Exportüberschuss - erstmals - den Wert von 200 Milliarden Euro übersteigen könne, während es 2015 schon 247 Milliarden waren.

Wenn nun die Bundesrepublik einen Überschuss von 261 Milliarden erwirtschaftet, muss irgendwer Defizite in derselben Höhe verzeichnen. Und genau diese im deutschen Krisendiskurs hartnäckig ignorierte Tatsache bildet das Körnchen Realität im nationalistischen Delirium eines Donald Trump. Das Poltern des US-Präsidenten über den "Diebstahl" amerikanischen Vermögens, sein Jammern über "gestohlene" amerikanische Fabriken - dies sind nationalistisch verzerrte Reaktionen auf einen sehr reellen Krisenprozess und die damit einhergehende Krisenkonkurrenz zwischen den kapitalistischen "Volkswirtschaften". Seit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts wird diese zwischenstaatliche Krisenkonkurrenz als Beggar-thy-neighbour-Politik (sinngemäß übersetzt: "Bring deinen Nachbarn an den Bettelstab") bezeichnet.

Hierbei bemühen sich die Staaten, mittels möglichst hoher Handelsüberschüsse die eigene Wirtschaft auf Kosten anderer Volkswirtschaften zu sanieren. Überschüsse im Außenhandel einer Volkswirtschaft führen automatisch zu Defiziten im Ausland - so hat es nun mal die von der deutschen Ökonomenzunft verbissen ignorierte Mathematik in ihrer Weisheit eingerichtet. Es ist schlicht ein Nullsummenspiel: Werden global alle Handelsdefizite und Überschüsse miteinander verrechnet, dann ergibt dies immer genau null Euro.

Nochmals: Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss von 261 Milliarden Euro im vergangenen Jahr hat somit zwangsläufig im Ausland einen Schuldenberg in exakt derselben Höhe generiert. Der Spätkapitalismus kann ja schlecht seine Überproduktion auf den Mars exportieren.

Für die USA wiederum ist das Leistungsbilanzdefizit von 502 Milliarden US-Dollar gleichbedeutend mit zusätzlicher Schuldenaufnahme im eben diesem Umfang. Und selbstverständlich führen Handelsdefizite über längere Zeiträume logischerweise zu Deindustrialisierung in den betroffenen Volkswirtschaften. Dies gilt für die USA wie für die europäischen Krisenstaaten. Langfristig aufrechterhaltene Handelsüberschüsse gleichen somit auch einem Export von Arbeitslosigkeit, der zu Deindustrialisierung in den Defizitländern führt - und die beispielsweise Donald Trump nun vermittels protektionistischer Maßnahmen revidieren will.

Die exportfixierte Industriestruktur in der BRD oder in China auf der einen, die Deindustrialisierung der USA auf der anderen Seite bilden somit nur zwei Seiten einer Medaille - der zunehmenden ökonomischen Ungleichgewichte bei den Handels- und Leistungsbilanzen, die das spätkapitalistische Weltsystem prägen. Trump möchte nur die Rolle seines Landes als - mit Abstand - wichtigstes Defizitland abschütteln.

Trump und der Protektionismus der Krisenverlierer

Die Schlussfolgerung aus den obigen Ausführungen ist evident: der Wirtschaftsnationalismus eines Donald Trump, der von den Ideen des Protektionismus und der Reindustrialisierung getragen wird, ist ein Nationalismus der "Verlierer" in diesem globalen Verdrängungswettbewerb.

Die protektionistische Abwehr der überlegenen Konkurrenz aus Deutscheuropa und China stellt einen verzweifelten Versuch dar, die Krisenentwicklung der letzten Dekaden in den USA zu revidieren: Die Deindustrialisierung der Vereinigten Staaten, die weit vorangeschrittene Erosion der amerikanischen Mittelklasse sowie der damit einhergehende, sozial destabilisierende Pauperismus sollen eben durch den Abbau der Handelsdefizite überwunden werden; indem Waren, die derzeit im Ausland produziert werden, künftig wieder ein "Made in USA" tragen. Dies ist das wirtschaftspolitische Kernversprechen der Trump-Administration, die Amerika durch protektionistischen Defizitabbau "Great Again" machen will.

Die massiv verschuldeten USA, die trotz gigantischer - zumeist durch unproduktive Konsumkredite und Hypotheken angehäufter - Schuldenberge eine marode Infrastruktur und einen ausgedehnten "Rostgürtel" in den ehemaligen Industrierevieren aufweisen, wollen somit unter Trump ihre Rolle als wichtigstes Defizitland der kapitalistischen Weltwirtschaft abschütteln. Damit spitzt Trump aber zugleich die Widersprüche zu, die das spätkapitalistische Weltsystem zerrütten. Letztendlich steht die Hegemonie der USA auf dem Spiel, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten gerade durch die Defizitbildung der Vereinigten Staaten aufrechterhalten wurde.

Eine hegemoniale Stellung einer Großmacht im kapitalistischen Weltsystem besteht immer dann, wenn die untergeordneten Mittelmächte diese akzeptieren, da sie selber - wenngleich geringere - Vorteile aus dieser Konstellation schöpfen. Dies ist ein wichtiger Unterschied zu einer Position bloßer machtpolitischer Dominanz, wie sie etwa die Bundesreplik in der Eurozone innehält.

Die Grundlage der amerikanischen Hegemonie in der "westlichen Welt" wandelte sich seit deren Errichtung im Gefolge des Zweiten Weltkrieges. War es zunächst die "fordistische" Nachkriegsprosperität mitsamt der Rolle der USA als militärischen Türsteher des Westens gegenüber der Sowjetunion, so gewannen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die "weltpolizeilichen" Interventionen in der rasch erodierenden Peripherie des Weltsystems an Bedeutung.

Zudem schufen die USA nach der großen neoliberalen Wende der 80er, die gerade in Reaktion auf die Krise des Keyesianismus in der Stagnationsphase der 70er vollzogen wurde, die Voraussetzungen für den Aufstieg der Finanzmärkte und die Verschuldungsorgie der vergangenen, "neoliberalen" Jahrzehnte. Die ökonomische Grundlage der US-Hegemonie nach dem Auslaufen der Nachkriegsprosperität wandelte sich somit fundamental. Die seither in Wechselwirkung mit der US-Verschuldungsdynamik ansteigenden US-Handelsdefizite bildeten einen stabilisierenden Faktor der Weltwirtschaft.

Amerika fungiert als eine Art "Schwarzes Loch" der Weltwirtschaft

Grafik 4: Dow Jones, historischer Chart (Dow Jones Industrial Average). Quelle: Trading Economics. Grafik: TP

Der jahrzehntelang sei den 80ern boomende Finanzsektor der USA und die ansteigende Schuldenlast mitsamt den zunehmenden Defiziten - sie bildeten nur zwei Seiten einer Medaille. Die historisch einmalige Dimension dieser regelrechten Explosion der Finanzmärkte lässt sich sehr gut am historischen Chart des Dow Jones als wichtigsten US-Börsenindex nachvollziehen. Sehr gut sind die größten Finanzblasen zu erkennen, die als wichtige Beschleuniger der Kreditaufnahme fungierten: die Dot-Com-Blase von 2000, die ab 2007 platzende Immobilienblase, wie auch die gegenwärtige Liquiditätsblase, die durch die expansive Geldpolitik der Notenbanken ausgelöst wurde.

Amerika fungiert somit als eine Art "Schwarzes Loch" der Weltwirtschaft, das durch sein Handelsdefizit einen großen Teil der Überschussproduktion der Welt aufnimmt und diese folglich stabilisiert. Die USA sind schlicht ein - kreditfinanzierter - Absatzmarkt für viele exportorientierte Volkswirtschaften, der gerade durch die Stellung des US-Dollar über solch eine lange Zeitperiode aufrechterhalten werden kann. Da der Greenback immer noch als die Weltleitwährung, als das Wertmaß aller Warendinge fungiert, können sich die USA in ihm beliebig verschulden. Ohne den Dollar in seiner Funktion als Weltleitwährung wäre Washington nur ein überdimensioniertes - und hochgerüstetes - Athen.

Die ökonomische Grundlage der erodierenden US-Hegemonie ist somit evident: Es ist die Defizitbildung der USA in ihrer Weltleitwährung. Länder wie China oder auch Deutschland akzeptierten die Hegemonie der USA samt der Stellung des Dollars als Weltleitwährung gerade deswegen, weil sie davon ebenfalls profitieren: durch ihre Exportüberschüsse in die USA.

Ein Abbau der US-Defizite wird somit die US-Hegemonie vollends in Geschichte überführen, wie es die jüngste geopolitische Entwicklung illustriert. Sobald Trump ankündigte, etwa die deutschen Handelsüberschüsse abzubauen, ging man in Berlin sofort zum Konfrontationskurs gegenüber dem ehemaligen "großen Bruder" in Washington über. Vor allem China und die Bundesrepublik haben somit die Rolle der USA als Hegemon und des US-Dollar als Weltleitwährung akzeptiert, solange die Defizitbildung der Vereinigten Staaten auch ihnen - vermittels der Handelsüberschüsse - indirekt zugute kam. Doch wieso sollte Berlin, wieso sollte Peking den US-Dollar weiterhin als das Wertmaß aller Wertdinge, vor allem der Energieträger, akzeptieren, wenn Washington zum offenen Protektionismus übergeht?

Mit dem angedrohten Abbau der Defizite stellen die USA auch den US-Dollar als Weltleitwährung infrage. Das Gefährliche an der Trump-Strategie besteht gerade darin, dass Trump die hegemoniale Stellung der USA aufgeben könnte, um zur nackten, militärisch aufrecht gehaltenen Dominanz überzugehen. Der aktuelle Bau neuer US-Flugzeugträger könnte eine Phase der globalen Dominanz der USA einleiten, die durch bloße militärische Übermacht aufrechterhalten wird, ohne den imperialen Konkurrenzen wie China oder Deutscheuropa noch hegemoniale "Ausgleichsmechanismen" anzubieten. Die Kriegsgefahr wächst in der gegenwärtigen Krisenkonstellation, in der ein hochgerüstetes und im Abstieg begriffenes Amerika die Kosten seiner Hegemonie nicht mehr tragen kann, somit rasch an.

Die eskalierenden Auseinandersetzungen um Handelsüberschüsse und Defizite, die sich immer stärker mit den ansteigenden geopolitischen Spannungen verzahnen, stellen somit die treibende Kraft bei der Erosion der kapitalistischen Globalisierung. Bevor der Rechtspopulist Trump sie ans Tageslicht der Öffentlichkeit zerrte, wurden sie hinter verschlossenen Türen verbissen von den Funktionseliten geführt. Zudem stellten die Währungsabwertungen, die seit der globalen Wirtschaftskrise von 2008 zunehmen, eine Vorform des gegenwärtig drohenden offenen Protektionismus dar.

Insbesondere zwischen Washington und Peking sorgte die Währungspolitik schon seit gut einem Jahrzehnt für Spannungen. In einer globalisierten Weltwirtschaft bildeten diese gezielten Abwertungen der eigenen Währung, womit die im eigenen Währungsraum hergestellten Waren auf den Weltmarkt billiger wurden, die einzige effektive Maßnahme zur Steigerung der eigenen Exportüberschüsse. (Dies ist ja auch das Geheimnis des deutschen Exporterfolgs: ein in Relation zur deutschen Wirtschaftsleistung unterbewerteter Euro).

"Niemand gewinnt. Es verliert nur die eine Seite langsamer"

Doch es stellt sich somit die Frage, wieso diese Auseinandersetzungen in den letzten Jahren immer weiter eskaliert sind. Waren es vor Jahren nur indirekte Währungsabwertungen, so werden nun direkte protektionistische Maßnahmen diskutiert. Es ist ja offensichtlich, dass die Intensität des Konkurrenzkampfes zwischen den Volkswirtschaften und Wirtschaftsräumen in der globalisierten Welt immer weiter zunimmt, sodass die Globalisierung selber von diesen Zentrifugalkräften zerrissen zu werden scheint. Dies gilt für die wirtschaftspolitischen und für die geopolitischen Spannungen.

Die aktuellen handelspolitischen Auseinandersetzungen zwischen den Staatssubjekten um Defizite und Überschüsse verdecken nur die objektive Krisentendenz, die ihnen zugrunde liegt: All diese Ungleichgewichte sind logischerweise nur Ausdruck einer globalen Verschuldungsdynamik, die allen politischen Beteuerungen zum Trotz weiterhin ungebrochen ist. Die Krise des Kapitals ist kein abstraktes Hirngespinst, sondern empirisch verifizierbare Realität, die das System an seinem eigenen Fetisch, an der Rentabilität, scheitern lassen. Das System ist marode, "unrentabel" und überschuldet.

Grafik 5: Gesamtverschuldung global. Quelle: McKinsey, Global Stock of Debt Outstanding. Grafik: TP

Es ist absolut evident: Die Gesamtverschuldung der globalisierten kapitalistischen Welt steigt viel schneller an als ihre Wirtschaftsleistung, was selbstverständlich nicht ins Unendliche fortgesetzt werden kann - und ein empirisch verifizierbares Krisenphänomen ist.

Schulden, der gewöhnliche Kredit, stellen im Kapitalismus eigentlich ein Mittel zur Expansion oder Modernisierung der Warenproduktion dar. Ein gewisses konstantes Niveau der Kreditaufnahme ist somit völlig normal. Sobald aber das Kreditwachstum über längere Zeiträume den Anstieg des Bruttoinlandsprodukts übersteigt, sobald also die Schulden sehr viel schneller wachsen als die "Wirtschaft", befindet sich die betreffende Volkswirtschaft in einer systemischen Krise.

Zumeist geht dieser Vorgriff auf künftige Wertschöpfung, der mit der Kreditexpansion betrieben wird, mit dem raschen Wachstum des Finanzsektors und entsprechenden Spekulationsblasen einher (siehe Grafik Nr. 4). Dies gilt nicht nur für einzelne Länder, sondern für das gesamte Weltsystem: Die Schuldenlast des spätkapitalistischen Weltsystems ist von 246 Prozent zur Jahrhundertwende über 269 Prozent beim Finanzkrisenausbruch 2007 bis auf 286 Prozent der Weltwirtschaftsleistung Ende 2014 geklettert (siehe Grafik Nr. 5). Es ist gerade diese kreditfinanzierte Nachfrage, die ein an seiner Hyperproduktivität erstickendes spätkapitalistisches Weltsystem überhaupt noch am Laufen erhält. Hier klärt sich nun auf, wieso die handelspolitischen Auseinandersetzungen zwischen den Staaten zu eskalieren drohen.

Aus der globalen, systemischen Perspektive betrachtet können die bornierten nationalen Auseinandersetzungen um Handelsdefizite nun erst richtig eingeordnet werden: Die Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen resultieren schlicht aus dem Umstand, dass nicht alle Volkswirtschaften und Währungsräume sich gleich stark verschulden. Exportorientierten Volkswirtschaften, wie China, BRD oder Südkorea, stehen "Defizitländer" gegenüber, die durch Kreditaufnahme deren Überschussproduktion aufnehmen. Hier, wie bereits ausführlich erläutert, allen voran die USA. Diese Konstellation ist letztendlich Folge der Konkurrenzkämpfe auf dem Weltmarkt.

Die "subjektiven" Konkurrenzkämpfe und handelspolitischen Auseinandersetzungen zwischen den Wirtschaftsräumen exekutieren nur diese objektive Tendenz fortgesetzter Verschuldung. Wer kann, wer muss sich verschulden, um die zombiehafte Scheinexistenz des Spätkapitalismus zu prolongieren?

Nochmals: Vermittels der Verdrängungskonkurrenz auf den Weltmärkten, vermittels der Machtkämpfe der Staatssubjekte wird die objektive Krisentendenz exekutiert. Das System kann nur noch "funktionieren", solange kreditfinanzierte Nachfrage generiert wird. Welches Land mittels Handelsdefiziten dazu genötigt werden kann, die sozioökonomischen Folgen dieses Krisenprozesses zu tragen, wird in der globalen Verdrängungskonkurrenz ausgefochten. Die unterlegene Wirtschaftsräume steigen dauerhaft ab - siehe das von Schäuble verwüstete Hellas.

Es gibt hierbei langfristig keine "Gewinner" in dieser Krisenkonkurrenz. Die Frage ist eher, wer verliert langsamer? Wer kann den krisenbedingten sozioökonomischen Abstieg auf Kosten der Konkurrenz im eigenen Wirtschaftsraum verzögern? Selbst bei den "Gewinnern", wie beim Exportweltmeister Deutschland, nehmen ja das Elend, die Prekarisierung, die Verrohung offensichtlich zu. In der berühmten US-Fernsehserie "The Wire" wurde diese Perspektive der Krisenkonkurrenz sehr gut erfasst: "No one wins. One side just loses more slowly." Das gilt auch für Großmächte wie China, die kaum die USA als Hegemon "beerben" können, da sie ebenfalls hochverschuldet sind.

Diese eigentlich seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zunehmende Verschuldungsdynamik ist Ausdruck eines langfristigen - sich in Krisenschüben entfaltenden - historischen Krisenprozesses, bei dem der Spätkapitalismus aufgrund eskalierender Widersprüche an die innere Schranke seiner Entwicklungsfähigkeit stößt. Da Kapital ist keine "natürliche Ordnung", wie es die herrschende Ideologie propagiert, sondern ein tendenziell selbstzerstörerisches, widerspruchszerfressenes Produktionsverhältnis, das die destruktive Tendenz aufweist, sich seiner eigenen Substanz zu entledigen: Obwohl Lohnarbeit die Substanz des Kapitals bildet, strebt das Kapital in der marktvermittelten Konkurrenz zugleich danach, die Lohnarbeit möglichst weitgehend durch Rationalisierung aus dem Produktionsprozess zu verbannen (näheres hierzu, siehe: "Die Krise kurz erklärt" oder "Kurze Geschichte der Weltwirtschaftskrise").

Das Kapital muss somit expandieren - oder es zerbricht an sich selbst. Die kapitalistische "Arbeitsgesellschaft" droht bei Stillstand immer in einer Krise zu versinken. Das Kapitalverhältnis muss somit vor seinem inneren Widerspruch immer wieder eine "Flucht nach vorn" in neue Expansionsschübe antreten. Dieser zentrale, "prozessierende Widerspruch" (Marx) des Kapitalverhältnisses (seine Tendenz zur "Entsubstanzialisierung") ist somit nur in fortlaufender Expansion, in der Erschließung neuer Verwertungsfelder und Märkte aufrecht zu erhalten, die - und dies ist zentral - massenhaft Lohnarbeit verwerten.

Dies wird durch die Verflechtung von Markt und technisch-wissenschaftlichem Fortschritt erzielt. Der gleiche technische Fortschritt, der zum Arbeitsplatzabbau in den etablierten Industriezweigen führt, lässt aber auch neue Industriezweige entstehen. Schon immer gab es in der Geschichte des Kapitalismus einen Strukturwandel, bei dem alte Industrien verschwanden und neue hinzukamen, die wiederum Felder für Investitionen und Lohnarbeit eröffneten. Folglich ist die Geschichte des Kapitalismus durch eine Abfolge von Leitsektoren der Wirtschaft gekennzeichnet, die als Akkumulations-, Konjunktur-, und insbesondere Beschäftigungslokomotiven fungierten: Textilindustrie, Schwerindustrie, Chemie, Elektroindustrie - und zuletzt der fordistische Fahrzeugbau der Nachkriegsära.

Schwerwiegende Systemkrisen setzen dann ein, wenn dieser Prozess - von der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre als "industrieller Strukturwandel" bezeichnet - ins Stocken gerät. Das System bildet dann in Reaktion auf diese Verwertungskrise der "realen", warenproduzierenden Wirtschaft einen überdimensionierten Finanzsektor aus, der mittels Finanzblasen eine Verschuldungsydnamik entfacht. Dies war zuletzt in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts der Fall, bis diese Spekulationsexzesse 1929 platzten - und die anschließende verheerende Weltwirtschaftskrise dem Nationalismus und Faschismus den Weg bereitete. Und in einer ähnlichen Situation befindet sich das spätkapitalistische Weltsystem auch heute. Es fehlt ein neues globales "Akkumulationsregime", in dem Lohnarbeit massenhaft verwertet würde.

Möglichst allgemeinverständlich auf dem Punkt gebracht: Die Krise resultiert aus dem Scheitern des industriellen Strukturwandels. In Reaktion dazu setzte eine historisch beispiellose finanzmarktgetriebene Verschuldungsdynamik ein. Und es ist eben diese Systemkrise, die ausnahmslos allen Marktsubjekten und geopolitischen Akteuren in Form zunehmender "Sachzwänge" gegenübertritt, die im zunehmenden Maße das gegenwärtige spätkapitalistische Weltsystem prägt - gerade in Form der brandgefährlichen eskalierenden Krisenkonkurrenz.

Das klingt zwar nicht so melodramatisch wie die vielen rechtsextremen Verschwörungstheorien, die irgendwelche (zumeist jüdischen) Weltbösewichter für die zunehmenden Verwerfungen verantwortlich machen, aber es hilft, nüchtern zu bleiben und zu verstehen, was tatsächlich vor sich geht.