Post-Covid- und Fatigue-Syndrom: Was Sie zu diesen Krankheitsbildern wissen sollten

Leere Batterie mit Virus als Symbol für ein Fatigue-Syndrom bei Long Covid

Es handelt sich um von Infektionen ausgelöste chronische Krankheiten. Komplexes Erscheinungsbild und ungeklärte Ursache. Die Folgen können gravierend sein.

Da ich noch gelegentlich als medizinischer Sachverständiger auf internistischem Fachgebiet für die Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig bin, habe ich mich in der letzten Zeit mit den im Titel dieses Artikels genannten Krankheitsbildern beschäftigt. Darüber will ich hier kurz berichten, zumal sie inzwischen in großer Zahl auftreten.

PCS bedeutet "Post-Covid-Syndrom" und ME/CFS "Myalgische Enzephalomyelits/Chronisches Fatigue-Syndrom", das auch zum Spektrum von PCS gehören kann.

Das Gemeinsame dieser Krankheitsbilder besteht darin, dass bei ihnen eine ausgeprägte Erschöpfbarkeit und vorzeitige Ermüdung und zusätzlich eine Fülle von relativ unspezifischen Symptomen und Befindlichkeitsstörungen im Mittelpunkt stehen.1

Im Prinzip ist dieses Syndrom schon seit Ende des 19. Jahrhunderts unter verschiedenen Bezeichnungen bekannt und wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem mit chronischen (Virus-)Infektionen in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht.

Seit der Corona-Pandemie hat die Zahl der Patientinnen und Patienten mit solchen Krankheitsbildern deutlich zugenommen, die weiterhin ein ernstes, aber ungelöstes Problem sind, z. B. hinsichtlich der Krankheitsentstehung, der hausärztlichen Versorgung und der Therapie, aber auch bei der sozialmedizinischen gutachterlichen Beurteilung und Betreuung.

Post-Covid-Syndrom (PCS)

Unter Post-Covid-Syndrom, kurz PCS, bezeichnet man die Langzeitschäden bzw. Spätfolgen der Infektionskrankheit Covid-19. Dieser Begriff umfasst alle Krankheitserscheinungen, die zwölf Wochen nach Erkrankungsbeginn von Covid-19 persistieren oder neu auftreten, nicht durch andere Ursachen erklärbar sind und mindestens zwei Monate anhalten.

Krankheitsbezeichnung und Definition sind jedoch nicht einheitlich. Oft wird auch von Long Covid gesprochen. Damit sind Krankheitsbilder gemeint, die vier Wochen und länger nach der akuten Phase von Covid-19 noch bestehen bzw. neu auftreten.

Symptomatologie

In den meisten Fällen einer Sars-CoV-2-Infektion sind die akuten Symptome der Erkrankung nach zwei bis drei Wochen überwunden. Als Folge von Covid-19 können eine Fülle von organbezogenen Symptomen im Rahmen von PCS aber auch weiterbestehen bzw. neu auftreten.

Dazu gehören vor allem eine ausgeprägte Fatigue, d. h. eine außergewöhnliche und krankhafte Müdigkeit und leichte Erschöpfbarkeit, ein "Nebel im Gehirn", auch "brain fog" genannt, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Muskelschwäche und Schmerzen in den kleinen Gelenken, atypischer Brustschmerz, thorakales Druckgefühl und Atemnot bei Belastung,

Epidemiologie

Die Inzidenz (relative Häufigkeit in einer Personengruppe) des PCS ist zurzeit unklar. Sie ist in verschiedenen Patientengruppen unterschiedlich und ist unter anderem abhängig von der Schwere des Krankheitsverlaufs von Covid-19 und der Art der Behandlung.

Bei etwa 20 bis 30 Prozent der Covid-19-Patienten halten die Symptome der Erkrankung länger als vier Wochen an. Rund zehn Prozent der positiv auf Sars-CoV-2 getesteten Patienten sollen auch nach zwölf Wochen noch Symptome verspüren.

Verursachung

Die Ursachen des PCS sind bisher nicht geklärt.2

Ein Teil der Langzeitschäden soll aus Gewebeveränderungen resultieren, die durch Sars-CoV-2 ausgelöst werden, wie z.B.:

  • irreversibler Untergang von Lungenparenchym, Myokard oder anderen wichtigen Funktionsgeweben mit Ersatz durch Bindegewebe und
  • Schädigung von Nervenzellen im ZNS.

Die vielfältigen Organmanifestationen des PCS erklären sich möglicherweise unter anderem durch die Verteilung des ACE2-(Angiotensin-Converting-Enzyme 2)-Rezeptors in verschiedenen Körpergeweben, der die Eintrittspforte des Virus ist.

Mögliche weitere ursächliche Faktoren sind:

  • endotheliale Dysfunktion: Die Sars-CoV-2-Infektion könnte eine Gefäßentzündung mit gestörter Mikrozirkulation, Mikrothrombosen und endothelialer Dysfunktion bewirken;
  • Viruspersistenz ohne Virusreplikation: Denkbar wäre eine durch die Virusbestandteile anhaltende Entzündungsreaktion;
  • Autoimmunität: Autoantikörper gegen Typ-1-Interferone und G-Protein-gekoppelte Rezeptoren bei PCS-Patienten könnten einen Einfluss auf die Steuerung des autonomen Nervensystems haben;
  • persistierende Aktivierung des Komplementsystems;
  • persistierende Entzündung: Insbesondere in der Lunge, im Herzen und im ZNS;
  • psychosoziale Faktoren, inklusive einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Risikofaktoren

Die folgenden Risikofaktoren, die ein PCS befördern, werden angegeben:

  • mittleres Lebensalter,
  • weibliches Geschlecht (Frauen häufiger betroffen als Männer),
  • Komorbiditäten wie Übergewicht und Adipositas, Asthma bronchiale, Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie und Diarrhoe,
  • mehr als fünf angegebene Symptome in der ersten Woche der akuten Covid-19-Infektion und
  • der Impfstatus (ab der 2. Impfung), der das Risiko von PCS deutlich zu mindern scheint.3

Diagnostik

Da bisher keine spezifischen diagnostischen Marker im Blut oder charakteristische bildgebende Befunde bekannt sind, muss die Diagnose eines PCS klinisch aufgrund der Symptomatologie gestellt werden (siehe oben; ⁣4).

Die Diagnose PCS setzt voraus, dass die relevanten Symptome nicht schon vor der akuten Covid-19 bestanden haben und Einschränkungen im Alltag sowie ein Leidensdruck bei Patientinnen und Patienten vorliegen, sodass den medizinischen Vorbefunden eine wesentliche Bedeutung zukommt.5

Außerdem müssen möglichst alle Erkrankungen, die mit einer Fatigue einhergehen können, ausgeschlossen werden. Dazu gehören z. B. im internistischen Bereich Krebserkrankungen, Herzerkrankungen, chronische rheumatologische Erkrankungen, Anämien, Hyperthyreose, aber auch neurologische Erkrankungen wie z. B. eine Multiple Sklerose.

Eine Abgrenzung von einer Depression ist wegen der Häufigkeit dieser Erkrankung in der erwachsenen Bevölkerung von ca. acht Prozent von großer Bedeutung.

Deshalb stellt in den meisten Fällen das PCS eine Ausschlussdiagnose dar und ist eine interdisziplinäre Aufgabe.

Bei Betroffenen mit einer schweren Fatigue in Kombination mit einer Belastungsintoleranz ist das Vorliegen einer ME/CFS anhand der klinischen Kriterien zu prüfen (siehe unten6).

Myalgische Enzephalomyelits / Chronisches Fatigue-Syndrom

Im Folgenden beziehe ich mich vor allem auf eine umfangreiche Veröffentlichung von der Arbeitsgruppe um Carmen Scheibenbogen, die im Mai 2023 im Deutschen Ärzteblatt erschienen ist und in der die bei ME/CFS auftretende Symptomatik detailliert geschildert wird.7

Dort wird ausgeführt, dass ME/CFS eine komplexe und chronische Erkrankung mit noch unvollständig geklärter Ursache ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert sie als neurologische Erkrankung.

Auslöser sind meistens Infektionskrankheiten wie das häufige und harmlose Pfeiffersche Drüsenfieber, verursacht durch das Epstein-Barr-Virus, aber auch Influenza oder eine Infektion mit Sars-CoV-2, die durch die Pandemie weltweit zum häufigsten Trigger geworden ist. Deshalb gehört ME/CFS auch zum Spektrum des Post-Covid-Syndroms (PCS).

Aber auch andere Erkrankungen wie Magen-Darm-Infektionen, Reaktivierungen von Herpes simplex und bakterielle Infektionen bis hin zu einem HWS-Trauma und Operationen können Auslöser von ME/CFS sein.8

Symptomatologie

Typische Symptome der oft schwer kranken Patienten sind wie bei PCS (siehe oben) eine ausgeprägte Fatigue, Schmerzen in den Extremitäten, neurokognitive Einschränkungen sowie Schlaf- und Kreislaufstörungen, die eine interdisziplinäre Diagnostik und eine multiprofessionelle Versorgung erfordern.

Charakteristisches Hauptsymptom ist eine ausgeprägte Belastungsintoleranz mit einer versetzt auftretenden und lange anhaltenden Verschlechterung aller Symptome (die Betroffenen sprechen von einem "Crash") nach Alltagsaktivitäten, die sogenannte post-exertionelle Malaise (PEM).

Die namensgebende Fatigue beeinträchtigt den Alltag, bessert sich kaum durch Ausruhen und geht oft mit einer muskulären Schwäche einher.

Schmerzen sind variabel ausgeprägt, mit Muskel-, Kopf- und seltener Gelenkschmerzen. Manche Patienten haben generalisierte Schmerzen wie bei einer Fibromyalgie.

Bei den Konzentrations- und Gedächtnisproblemen stehen Wortfindungsstörungen, Verlangsamung im Denken ("Gedächtnisnebel", brain-fog) und die Unfähigkeit, sich länger zu konzentrieren, im Vordergrund.

Häufig bestehen Symptome einer vegetativ-autonomen Dysfunktion, die sich als orthostatische Intoleranz (OI) mit Schwindel beim Aufrichten, Tachykardie, Atembeschwerden, Mundtrockenheit, Temperaturempfindlichkeit, Reizdarm oder Reizblase äußern können.

Epidemiologie

Nach einer Studie des Bundesministeriums für Gesundheit ging man 1993 von einer Prävalenz (Häufigkeitsanteil in der Bevölkerung) der ME/CFS von 0,3 Prozent in Deutschland aus.

Eine aktuelle Studie aus Deutschland, die fast 30 Millionen Versicherte der Krankenkassen ausgewertet hat, zeigt für 2020 eine Inzidenz von 0,2 Prozent für Versicherte ohne und 0,6 Prozent mit vorausgegangener Covid-19.9

ME/CFS ist relativ weitverbreitet und keine seltene Erkrankung. In Deutschland leiden nach (präpandemischen) Schätzungen etwa 250.000 Menschen an ME/CFS. Wenn man also davon ausgeht, dass die Zahl der Erkrankten sich durch die Covid-19-Pandemie verdreifacht hat, kann man derzeit von mindestens 500.000 Betroffenen ausgehen.

Betroffen sind vor allem jüngere Menschen im Alter zwischen 10 und 50 Jahren, darunter dreimal mehr Frauen als Männer.

Diagnostik

Die Diagnose ME/CFS ist schwierig zu stellen, weil es bis heute keinen spezifischen diagnostischen Labormarker oder charakteristische Befunde von bildgebenden Verfahren gibt. Deshalb kann die Diagnose nur aufgrund der Bewertung der Symptome (siehe oben) gestellt und muss interdisziplinär abgeklärt werden.10

Dabei kommt dem Auftreten von PEM als Leitsymptom der Erkrankung eine besondere Bedeutung zu.

Bei Patienten mit OI (siehe oben) kann dann häufig ein POTS (Posturales Orthostatisches Tachykardie-Syndrom) mit einem einfachen Schellong-Test nachgewiesen werden.

Bis zur Etablierung eines überzeugenden diagnostischen Markers bleibt aber auch ME/CFS eine Diagnose, die nur gestellt werden kann, wenn alle Erkrankungen, die bekanntermaßen mit einer Fatigue einhergehen, ausgeschlossen worden sind.

Prognose und Therapie von PCS und ME/CFS

Menschen mit PCS, die ein halbes Jahr nach ihrer Corona-Infektion an einer krankhaften Erschöpfung, der Fatigue, leiden, sind oft nach bis zu 20 Monaten noch stark beeinträchtigt. Das zeigt eine aktuelle Studie der Charité-Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Centers.

Betroffene, die ME/CFS entwickeln, sind in den allermeisten Fällen unverändert schwer krank. Patienten mit ähnlichen Symptomen, die die Diagnosekriterien für ME/CFS nicht erfüllen, erleben dagegen eine langsame Verbesserung ihrer Beschwerden.

Da es sich um eine Multisystemerkrankung handelt, sind die sozialmedizinischen und wirtschaftlichen Auswirkungen des PCS bisher nicht absehbar. Sie dürften aber immens sein.11

Denn unter den Patientinnen und Patienten mit ME/CFS finden sich Schwerbetroffene mit erheblich eingeschränkter bis aufgehobener beruflicher Leistungsfähigkeit bis hin zu Schwerstbetroffenen, die bettlägerig sind, einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 aufweisen und einen Pflegegrad 4 oder 5.12

Was die Therapie betrifft, so existieren derzeit keine evidenzbasierten kausalen spezifischen Behandlungsmöglichkeiten, da die Ursachen der hier zur Rede stehenden Erkrankungen nicht geklärt sind.13

Aktuelle Therapiekonzepte stützen sich auf einen pragmatischen Ansatz, der Maßnahmen der physikalischen Rehabilitation mit einer symptomorientierten Therapie der unterschiedlichen Organstörungen einschließt.

Die gezielte Therapie von Komorbiditäten (siehe oben) trägt zur Symptomreduktion bei und verbessert die Lebensqualität der Betroffenen.

Im Fall von ME/CFS (mit Vorliegen eines PEM) müssen alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen auf die individuell oft erheblich eingeschränkte Belastbarkeit ausgerichtet werden. Ein "Pacing", d. h. ein schonender, dosierter und an die Belastbarkeit des Patienten angepasster Umgang mit seinen Energiereserven ist dabei zu empfehlen.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de