Public Spaces Invaders

Die Transmediale zeigt, wie sich der öffentliche Raum hacken lässt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wege zum Besetzen und Gestalten neuer Öffentlichkeiten im digitalen Zeitalter will die am Rande der Berlinale noch bis zum 10. Februar laufende transmediale.02 aufzeigen. "Go public!" lautet die Aufforderung des Konferenz, Clubbing, Performances und Kunstausstellung vereinenden Events, das sich in den 15 Jahren seines Bestehens vom Video- zum "internationalen Medienkunst-Festival" entwickelt hat. Mit dem Börsengang, den angloamerikanische Transmediale-Besucher mit dem Motto zunächst assoziieren, habe das alles aber nichts zu tun, erklärt Mitorganisator Andreas Broeckmann. Vielmehr gehe es um die Kunst, sich dem durch die Neuen Medien neu öffnenden öffentlichen Raum auf unkonventionelle Weise zu nähern.

Blinkenlights, Webcam am 8.2.2002, 00.32.23

Gefragt waren so vor allem die "Public Spaces Invaders", die Schnittstellen zwischen Telekommunikation, Informationstechnik und Öffentlichkeit herstellen. Die Hacker vom Chaos Computer Club (CCC) etwa, die sich zu ihrem 20. Geburtstag im vergangenen Herbst einen alten Traum erfüllt und die 13-stöckige Fensterfassade des seine Geburt aus dem Geiste des Sozialismus nicht verheimlichenden "Haus des Lehrers" am Berliner Alexanderplatz in einen riesigen Bildschirm verwandelt haben.

Die Installation Blinkenlights, die just am historischen 11. September, in Betrieb ging, kann jeder vor einer 0190er-Nummer nicht zurückschreckende Handy-Nutzer fernsteuern und so die 18 x 8 Pixel beziehungsweise Fenster in ein überdimensioniertes Kommunikationsmedium verwandeln (Interaktiv im öffentlichen Raum). Auf der Internet-Site des noch bis zum 24 Februar laufenden Projekts lassen sich Punkt für Punkt mit einer eigens programmierten Grafiksoftware oder einem Texteditor sogar Animationen erstellen, die übers "Mobile" mit einem Code aktiviert werden können.

Die Resonanz der in nur vier Wochen mit Hilfe von 144 auf Stangen hinter den Scheiben befestigten Lampen, 5 Kilometer Kabel, zahlreichen Relais und einem zentralen Linux-Server auf die Beine gestellten interaktiven Installation, die seit über fünf Monaten ohne Absturz läuft, war für die Hacker überwältigend. "Über 800 Filme sind eingesendet worden", zog Tim Pritlove vom CCC ein vorläufiges Resümee. "Davon waren 250 Liebesbotschaften." An Anna beispielsweise, die schlagende Herzen, Schmetterlinge, Häschen und Enten zurück in die Arme des Liebsten nach Berlin holen sollen. Vielleicht haben deshalb die Toten Hosen just das Video zu "Nur die Liebe zählt" im Haus des Lehrers abgedreht und den Blinkenlights ein dauerhaftes Denkmal gesetzt. Insgesamt beträgt die Laufzeit der auf 144 Pixel reduzierten Kurzfilme, die selbst aus fernen Ländern wie Kambodscha eintrudeln, rund anderthalb Stunden. Täglich spielen zudem rund 30 Spaziergänger Pong auf dem Screen (Pong am Alex).

Medienmüll per SMS ästhetisiert

Während das Treiben der Hacker am Alex den offiziellen Segen der Landesväter erhielt, kooperiert das Londoner Projekt Text FM mit rund 30 illegalen Radiostationen. Die Piratensender wollen mit der Verknüpfung von SMS und Rundfunk dem alten Medium neues Leben einhauchen und es zugleich an seine ästhetischen Grenzen führen. "Die Medien sind zu leeren Blasen geworden", erklärte Matthew Fuller, einer der Köpfe hinter Text FM, die philosophische Grundannahme des Dauer-Happenings. "Sie bringen nur noch Müll."

Mit dem Projekt überzeichnen die Macher diese Medieneigenschaft ins Extrem: Sie haben eine webbasierte Schnittstelle eingerichtet, die SMS-Botschaften in gesprochenen Text umwandelt und diesen ständig in das Programm der Piratensender einfließen lässt. Das Vergnügen über den Müll werde schon allein aufgrund der linguistischen Formen auf die ästhetische Spitze getrieben, schwärmt Fuller über den ständig von der nächsten Polizei-Razzia bedrohten und dadurch noch spannender werdenden Klanggenuss. Die entstehende Medienökologie lebe gerade von ihrem vorübergehenden Charakter, der auf Wegwerfqualität reduzierten Lowtech-Ausstattung der Radiostationen sowie der Vermischung des Sozialen und des Medialen.

We are watching

Grundsätzliche Zweifel, ob die öffentliche Sphäre überhaupt von Künstlern sinnvoll gestaltet werden kann, brachte dagegen der Wiener Aktivist Konrad Becker vor. Wie seine Organisation Public Netbase auch auf ihrer Site World-Information.org darstellt, ist die öffentliche Meinung längst von der professionellen Desinformation der Geheimdienste unterwandert. Polizei- und Schlapphut-Apparate überwachen gleichzeitig die Öffentlichkeit mit gigantischen Spionagenetzwerken wie dem weltweiten Lauschsystem Echelon und erzielen so eine ungeheure Kontrolle der Menschen.

Beckers (Verschwörungs-)Theorie führt dabei vom sokratischen Phaedros, dem Dinge schon im alten Griechenland nicht immer so erschienen, wie sie denn sind, über den zu Renaissance-Zeiten lebenden italienischen "Vorläufer der Massenmanipulation" Giordano Bruno und seinen die Kryptographie vorantreibenden englischen Zeitgenossen John Dee bis hin zu den psychologischen Operationen des Pentagons und den Desinformationskampagnen von FBI und CIA.

Gefälschte, den UN-Sicherheitsrat belügende Videos spielen in der Wiener Weltaufklärung genauso eine wichtige Rolle wie die immer wieder von den Meinungslenkern eingesetzten Flugblätter. "We are watching", steht auf den von Becker gezeigten aktuellen amerikanischen Beispielen aus dem Afghanistan-Krieg. Darunter ist einmal Usama bin Ladin im schicken Dress und mit mal gar nicht so langem Bart als Gigolo abgebildet. Ein andermal ein auf trockenem Staubboden liegender toter, ziemlich viel Gesichtshaarwuchs aufweisender Taliban-Kämpfer.

Doch nicht nur "die Dienste" nutzen die gezielte Desinformation, um die öffentliche Sphäre gehörig zu unterwandern. Auch die Aktivisten wissen Fälschungen gezielt für ihre Zwecke einzusetzen, wie "Andreas Bichlbauer" von den legendären Yes Men darstellte (Zur Ästhetik der Lüge). Über ihre im Design dem offiziellen Webauftritt der World Trade Organisation genau nachempfundene Site www.gatt.org hat die Gruppe inzwischen wiederholt Anfragen für Konferenzvorträge und Fernsehinterviews bekommen - und diese auch immer mit packenden Anti-Globalisierungs-Statements und -Auftritten erfüllt (Anarchisten und Autonome halten die Protestbewegung gegen die Globalisierung am Leben).

Selbst der "US-Minister für Kunst und Technologie" gab sich die Ehre

Obwohl das Wirken der Yes Men inzwischen durchaus einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hat, steht für Dr. Bichlbauer etwa im Mai erneut ein Besuch einer internationalen Konferenz an, diesmal in Japan. "Das ist eine großartige Möglichkeit für NGOs, ihre Kritik vorzubringen", erläuterte der vermeintlich in Wien geborene Aktivist auf der Transmediale. Und damit das Fälschen von Websites offizieller Organisationen und Persönlichkeiten zum Kinderspiel wird, hat die Gruppe mit dem anscheinend noch nicht vom Dreamweaver-Hersteller ausgemachten Reamweaver einen "fake homepage generator" zur kostenlosen Nutzung bereit gestellt.

Wie gut die gezielte Medienmanipulation selbst mit den haarsträubendsten Mitteln funktioniert, bewiesen die Yes Men gleich am "lebenden Objekt" in Berlin. Zur feierlichen Eröffnung des Medienfestivals am Dienstag trat einer ihrer Abgesandten als "Randall M. Packer", seines Zeichens US-Minister für Kunst und Technologie auf und schwärmte von der großen Macht der Virtualisierung. Medien wie Spiegel Online fielen prompt auf die plumpe Fälschung rein, ohne sich auch nur kurz der Tatsache zu vergewissern, dass es einen solchen Minister im Bush-Kabinett überhaupt nicht gibt und ein solcher Titel auch zuvor in der amerikanischen Geschichte wohl noch nie existierte.

Die Konferenz der Transmediale läuft noch bis zum Sonntag im Haus der Kulturen der Welt. Auf dem Programm stehen noch Panels wie "Software Speculations", "Young Russian Media Art" oder "Digital Cultural Heritage". Die Eintrittspreise für die Präsentationsrunden betragen zwischen 6 und 10 Euro.