Puigdemont soll nun doch wieder Präsident werden
Eine schnelle Auslieferung wird es nicht geben und das katalanische Parlament will ihn nun über alle spanischen Hürden hinweg zum Präsidenten wählen
Spanien hatte sich schon erhofft, dass es mit einer Auslieferung von Carles Puigdemont aus Deutschland nach Madrid schnell gehen könnte. Diese Vorstellungen kann man sich in der spanischen Hauptstadt getrost abschminken. Das zeigt schon an, dass vor Ostern jedenfalls keine Entscheidung fallen dürfte. "Die Entscheidung wird wohl vor Ostern nicht mehr ergehen", sagte die Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft von Schleswig-Holstein, Wiebke Hoffelner.
Das zuständige Amtsgericht hat aber eine Festhalteanordnung ausgestellt, was heißt, dass Puigdemont in Gewahrsam bleibt. Über die Abschiebung wird das Oberlandesgericht in Schleswig entscheiden und das sollte eigentlich in 60 Tagen geschehen. Schaut man sich aber ähnliche Fälle an, sieht das in der Realität ganz anders aus. Da brauchte zum Beispiel die deutsche Justiz zur Auslieferung eines Basken mehr als ein Jahr. Dabei sollte der nur nach Frankreich ausgeliefert werden, wo rechtsstaatliche Standards - anders als in Spanien - weitgehend beachtet werden und auch nicht gefoltert wird. Kann es sich Deutschland erlauben, Puigdemont so lange in Haft zu nehmen, der sich einer unabhängigen Justiz nie entzogen hat?
Auch dieser Zeitrahmen von gut einem Jahr war nur möglich, da sich nach Ansicht der Verteidiger Deutschland "rechtswidrig" verhalten und den Asylantrag ihres Mandanten einfach ausgehebelt habe, indem man zu einem eher spanischen Vorgehen gegriffen hat. Der Asylantrag hätte den Vorgang noch deutlich verzögert. Und dieser Weg steht dem "legitimen Präsidenten" Kataloniens auch offen. Mit ihm kann man sicher nicht verfahren, wie mit einem weitgehend unbekannten Basken. Und auch im Fall des Basken wurde die Auslieferung nur unter Auflagen erlaubt. Ein Richter mit Fingerspitzengefühl verfügte, angesichts drohender Folter, dass Frankreich zusichern musste, das Folteropfer nach dem neuen Prozess nicht nach Spanien abschieben darf.
So steht also Deutschland beim Versuch, sich zum Erfüllungsgehilfen der spanischen Repression zu machen, ein langer und zäher Vorgang bevor, in dem hart auch um die politischen Fragen und die besondere historische Verantwortung in der Frage gekämpft werden wird. Die Ablehnungsfront ist schon jetzt ziemlich breit und die Festnahme wird wohl eher dazu beitragen, die absurden undemokratischen Vorgänge Spaniens gegenüber den Katalanen noch deutlicher zu machen. Das zeichnet sich schon jetzt in einigen Medien ab, wenn man etwa Beiträge in der Süddeutschen Zeitung liest, wo nun plötzlich nach eher pro-spanischer Berichterstattung auch von einem "politischen Gefangenen" gesprochen wird.
"Was macht der spanische Geheimdienst in Deutschland?"
Man darf auch die Frage stellen, wie es der grüne Christian Ströbele tut: "Was macht der spanische Geheimdienst in Deutschland?" Mit welcher Erlaubnis hat der CNI, der Puigdemont verfolgt hat, in Deutschland, Dänemark und Finnland spioniert. Auch hier drohen Nachfragen, die Linkspartei hat schon Widerstand angekündigt. Der Katalonienkenner Andrej Hunko nennt Puigdemont ebenfalls einen politischen Gefangenen, und der Linken-Chef Bernd Riexinger fordert seine sofortige Freilassung.
Dass es überhaupt eine Auslieferung wegen der Anklage wegen Rebellion (womit ein gewaltsamer öffentlicher Aufstand oder Putsch gemeint ist) geben wird, muss auch bezweifelt werden. Es wird weitgehend von Experten bezweifelt, dass der Vorwurf des Hochverrats hier herangezogen werden kann. Eigentlich hat sich die Bundesregierung ein ziemlich schwieriges Problem auf allen Ebenen aufgeladen, als man sich dazu entschlossen hat, Puigdemont in Deutschland festzunehmen, statt diese Frage in Belgien entscheiden zu lassen.
Man wusste wohl auch in Berlin, dass die Chancen für eine Auslieferung in Belgien mehr als trübe aussehen. Der Anwalt der drei ehemaligen Minister in Brüssel ist sehr zuversichtlich, dass sich der Richter Pablo Llanera, der die Haftbefehle schon einmal zurückziehen musste, nun eine blutige Nase bei einer unabhängigen Justiz holen werde. Gonzalo Boye meint, dass auf "die spanische Justiz eine große Überraschung wartet, wenn sie sehen wird, dass Belgien, Deutschland und Großbritannien nicht so reagieren werden, wie sie es sich wünscht". Von der Schweiz, wohin sich zuletzt auch die Generalsekretärin der Republikanischen Linken (ERC) abgesetzt hat, nicht zu sprechen. Denn dort zieht nicht einmal der europäische Haftbefehl, der eine inhaltliche Prüfung der Vorwürfe unmöglich macht.
So drängt sich auf, dass die Bundesregierung dem spanischen Regierungschef Mariano Rajoy einen Freundschaftsdienst leisten wollte, der angesichts von zahllosen Korruptionsskandalen auf der Kippe steht und jederzeit abstürzen kann, da auch der Widerstand in Spanien wieder auf allen Ebenen aufkeimt, wie die Frauen und Rentner gerade gezeigt haben.
Madrid schafft "katalanischen Frühling"
Die spanische Regierung hat es jedenfalls mit ihrem repressiven Vorgehen wieder geschafft, die zuletzt zerstrittenen Unabhängigkeitsparteien wieder zu einen. Nachdem Spanien gegen alle Rechtsnormen auch die Wahl des ehemaligen Regierungssprechers Jordi Turull zum katalanischen Regierungschef verhindert hat und Puigdemont in Deutschland festnehmen ließ, ist vielen in Katalonien nun definitiv die Hutschnur geplatzt.
Auf den Straßen in ganz Katalonien wird bereits von einem "katalanischen Frühling" gesprochen. Hunderttausende gehen seit Freitag auf die Straßen, nicht nur Befürworter der Unabhängigkeit, und Solidaritätsproteste finden im ganzen spanischen Staat statt. Auf spontanen Demonstrationen, Autobahn-, Straßen- und Schienenbesetzungen wird in Katalonien ein Generalstreik gefordert, der größer sein soll als bisherige massive eintägige Streiks. Das Ziel ist, Puigdemont zum Präsidenten zu küren und die Katalanische Republik umzusetzen.
Erstmals kam es nun über das Wochenende auch zu Gewaltszenen. Provoziert wurde sie vor allem durch das zum Teil brutale Vorgehen der unter spanischer Zwangsverwaltung stehenden katalanischen Polizei. Fast 100 Menschen wurden verletzt und es gab acht Festnahmen. Zum Teil reagierten auch Demonstranten gewaltsam, Barrikaden wurden gebaut und angezündet.
Provokateure spielten auch eine Rolle. So wurde in Girona ein infiltriertes Mitglied der paramilitärischen Guardia Civil enttarnt, der zum Anzünden von Müllcontainern angestiftet und sie vermutlich auch angezündet hat, wie andere Bilder von ihm zeigen. In Barcelona wurden auch Nationalpolizisten in Zivilkleidung erkannt und isoliert. Einiges Material wie Bilder und Videos wurden inzwischen von Twitter gelöscht Auf diesem Video ist dokumentiert, wie ein Polizist aus einem Polizeifahrzeug in die Menge geschleust wird.
Nun läuft alles auf die Wahl von Puigdemont zum neuen Präsidenten hinaus und Telepolis hatte immer wieder deutlich gemacht, dass das letzte Wort über Puigdemont noch nicht gesprochen sein würde. Auch die neu gewählte Präsidentin des Katalanischen Nationalkongresses (ANC) Elisenda Paluzie drängt darauf, da dies in einem "allgemeinen Aufschrei" gefordert werde. Sie hat den inhaftierten Jordi Sànchez gerade an der Führung der großen Organisation abgelöst. Auch die Wahl von Sànchez zum Regierungschef wurde kürzlich auch schon über die spanische Justiz verhindert. Der ANC, der schnell zahllose Menschen mobilisieren kann, ruft, wie Puigdemont, Unabhängigkeitsparteien und die Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) zu einem weiteren friedlichen, aber entschlossenen Vorgehen auf.
"Ein Untersuchungsrichter darf nicht einem gewählten Volksvertreter verbieten, sein Mandat wahrzunehmen"
Dass Spanien verhindert hat, dass zunächst Puigdemont, Sànchez und zuletzt auch Turull gewählt werden konnten, sei "nicht hinnehmbar", sagte Paluzie. Es sei wichtig, dass "wir als Unabhängigkeitsbewegung geeint stark" in dem Konflikt stehen und nicht geschwächt. Sie verwies so darauf, dass sich die linksradikale CUP am Donnerstag im ersten Wahlgang enthalten hat und Turull durchfallen ließ. Das eröffnete dem spanischen Richter Pablo Llarena die Möglichkeit, ihn vor dem zweiten Wahlgang zu inhaftieren und seine Amtseinführung zu verhindern.
Doch die spanische Repression hat die Einheit zurückgebracht. Die CUP wollte Puigdemont ohnehin zum Präsidenten, da sie auf einen Kurs des "Ungehorsams" setzt, um die ausgerufene "Republik" aufzubauen. CUP-Chef Carles Riera erklärte, man sei bereit, dafür auch Verantwortung im Parlamentspräsidium zu übernehmen. Er forderte damit Parlamentspräsident Roger Torrent zwischen den Zeilen auf zurückzutreten, falls er sich von einer zu erwartenden Anklage wegen Rebellion und Ungehorsam scheue, die drohen dürfte, wenn die Wahl von Puigdemont gegen die "vorläufigen Maßnahmen" des Verfassungsgerichts erlaubt wird.
Mit Puigdemonts "Gemeinsam für Katalonien (JxCat) und der Republikanischen Linken (ERC) hat die CUP am frühen Montag einen Antrag ins Parlament eingebracht. Auf einer Sondersitzung sollen "alle notwendigen Maßnahmen getroffen werden", um die politischen Rechte von Puigdemont, Turull und Sànchez zu garantieren. Das bedeutet auch, sie in Abwesenheit gegen "vorläufige Auflagen" des Verfassungsgerichts wählen zu können und dass Inhaftierte dann ihre Stimme abgeben können. Diese Sondersitzung des Parlaments hat das Parlamentspräsidium nun für Mittwoch um 10 Uhr festgelegt.
Man bezieht sich dabei auch auf eine Rüge der UN-Menschenrechtskommission. Sie hat aus Genf von Spanien gefordert, "alle Maßnahmen zu ergreifen", um die Rechte eines Kandidaten zu sichern.
Das fordert auch José Antonio Martín Pallín. "Ein Untersuchungsrichter darf nicht im Rahmen seiner Ermittlungen einem gewählten Volksvertreter verbieten, sein Mandat wahrzunehmen." Dabei gehe es nicht um Katalonien, "sondern um demokratische Prinzipien". Der Unabhängigkeitsgegner war Richter an dem Gericht, das die Rebellion-Anklagen gegen Puigdemont und seine Mitstreiter konstruiert, auf denen die europäischen und internationalen Haftbefehle gegenüber Belgien, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz basieren. In diesen Ländern wurden, anders als in Deutschland, aber keine Exil-Katalanen festgenommen.
Die harte Repression hat auch Bewegung in die ERC gebracht. Sie hält zwar grundsätzlich an einer "effektiven Regierung" fest, wie der ERC-Sprecher Sergi Sabrià am Montag betont hat. Doch die ERC glaubt nur noch begrenzt, nachdem ihr Präsident seit Monaten inhaftiert ist und sich die Generalsekretärin Marta Rovira der Haft durch Flucht in die Schweiz entzogen hat, dass es überhaupt möglich ist, über eine Regierungsbildung die spanische Zwangsverwaltung abzuschütteln.
Für das ehemalige ERC-Führungsmitglied Carme Porta ist nun von entscheidender Bedeutung, "der Wut mit Ruhe zu begegnen". Gegenüber Telepolis erklärte sie, "die organisierte Zivilgesellschaft" müsse gestärkt und eine "breite gemeinsame Front" über die Unabhängigkeitsbewegung hinaus gegen die Repression aufgebaut werden. Eine "gemeinsame Führung" dürfe eine Strategie nicht nach der Repression ausrichten, fügte sie an.