Putin-Interview: Was Tucker Carlsons Russland-Reise mit DDR und Systemkrise zu tun hat

Seite 2: Propaganda oder Aufklärung? Carlson im Kreuzfeuer der Kritik

Das Interview stieß jedoch auf Kritik, da Carlson in der Vergangenheit vorgeworfen wurde, während des Russland-Ukraine-Krieges Positionen des Kremls vertreten zu haben. Doch wer darf dann Interviews führen? Warum spielt die politische Ausrichtung des Interviewers eine Rolle? Wann wird sie erwähnt und wann nicht?

Carlson behauptete, die meisten Amerikaner wüssten nicht, warum Putin in die Ukraine einmarschiert sei und welche Ziele er verfolge. Er betonte das Recht seiner Landsleute, alles über einen Krieg zu erfahren, in den sie verwickelt seien, und das Recht, darüber zu berichten.

USA in Aufruhr: Carlson drohen Konsequenzen nach Putin-Gespräch

Der Anwalt Ian Corzine jedenfalls warnte in einem Beitrag auf dem Kurznachrichtendienst X, Carlson gehe mit dem Interview mit Putin ein Risiko ein und Carlson könne "einige große Probleme" bekommen. Er verwies dabei auf die "sehr weit auslegbare" Formulierung des Spionagegesetzes.

Dieses Gesetz könne "so interpretiert werden, dass es den Austausch von Informationen mit einem anderen Land in der Absicht, den USA zu schaden, verbietet", schreibt das US-Magazin Newsweek.

Spionagevorwürfe: Carlson am Rande der Legalität?

Sollte Carlson vor dem Interview Fragen an Putins Team weitergeben haben oder Putins Team ihm Argumente für den Krieg mit der Ukraine geliefert haben, könne das unter das Spionagegesetz fallen, so Corzine, dessen Tweet in kurzer Zeit eine Million Mal gelesen wurde.

Einreiseverbote und Verrat: Eskalation nach Carlson-Putin-Interview

Von politischer Seite wurde Tucker Carlson nach der Ankündigung seines Interviews mit Putin sogar als "Verräter" bezeichnet. Bill Kristol, der unter Ronald Reagan Stabschef des Vizepräsidenten war, griff den Journalisten scharf an.

Die US-Regierung solle erwägen, Carlson die Wiedereinreise in die Vereinigten Staaten zu verbieten, bis die Einzelheiten seines Besuchs untersucht worden seien.

Dass das alles Teil einer bedenklichen Entwicklung ist, scheint nur wenigen aufzufallen. In der EU werden politisch motivierte Einreiseverbote gegen missliebige Politiker geprüft – der österreichische Rechtsradikale Martin Söllner ist so ein Beispiel –, in den USA soll nun einem eigenen Staatsbürger die Einreise verweigert werden.

Wie einst in DDR und Autokratien

Das erinnert ein wenig an DDR-Ausbürgerungen und autoritäre Staaten mit ähnlichen Restriktionen. Und jede dieser Maßnahmen hat sich im Nachhinein als Fehler und Zeichen der Schwäche eines krisengeschüttelten, im Niedergang begriffenen Systems erwiesen.

Wenn man etwas sachlicher und professioneller mit dem Interview umgeht, kann man es kritisieren, sollte aber auch Aussagen herausfiltern. Zum Beispiel, dass Putin sich verhandlungsbereit zeigt und er Angriffspläne gegen Polen dementiert. Darüber zu diskutieren, diese Aussagen auch kritisch zu hinterfragen und zu überprüfen, das wäre die eigentliche Aufgabe eines objektiven Journalismus.

Die Reaktionen auf das Interview aber sind bislang reichlich unsouverän und verheerend für Politik und Medien gleichermaßen. Vertreter etablierter Medien, man kann auch von Mainstream sprechen, sollten sich fragen, warum sie nicht in Moskau gesessen und kritische Fragen gestellt haben.

Schwache Reaktionen auf Putin-Gespräch

Das nicht zu tun, dafür nicht zu kämpfen, aber dann diejenigen zu kritisieren, die diese Rolle aus einer Abwehrhaltung gegen einen immer oberflächlicheren Journalismus heraus zu übernehmen versuchen – das ist genauso schwach wie die Kampagne gegen das Interview und den Interviewer. All das sind Krisensymptome.

Carlson versucht sich als Gegenpropagandist zur vermeintlichen Propaganda aus Politik und Medienmainstream zu inszenieren. Und genau diese Phalanx reagiert dünnhäutig mit Propaganda und Strafandrohungen, gibt ihm damit Recht und stärkt seine Position als vermeintlich wahrer Aufklärer.

Einreiseverbote und Verrat: Eskalation nach Carlson-Putin-Interview

Kaum jemand erinnert sich, und auch das ist verheerend, an journalistische Ikonen wie die Italienerin Oriana Fallaci, die gerne nach Moskau gereist wäre und sicher ein anderes Interview geführt hätte.

Wie sie vor laufender Kamera Revolutionsführer Mohamad Gaddafi vorführte oder 1979 den iranischen Revolutionsführer Khomeini mit klaren Worten herausforderte: "Ich werde den Tschador ablegen, der für mich ein dummer Lumpen aus dem Mittelalter ist".

Solche Interviews liefern heute weder die Mainstream-Medien noch selbst ernannte Aufklärer wie Carlson. Und, schlimmer noch: Niemand scheint sie zu vermissen.

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