Putsch wie in der Ukraine?

Seite 2: Für Maduro stehen die USA wie in der Ukraine hinter den Protesten

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Maduro hat sich mit seinen undifferenzierten Anschuldigungen sicher nicht mit Ruhm bekleckert. Dass er nun aber auf Dialog mit der Opposition setzt, macht deutlich, dass er die Anschuldigungen nicht so allgemein gegen die gesamte Opposition erhebt oder nun zurückrudern muss. Kurz bevor es zu den Gesprächen am Donnerstag in Caracas kam, machte er aber noch einmal deutlich, dass für ihn die USA erneut hinter den Vorgängen stehen, wie 2002 hinter dem gescheiterten Putsch (Die Sache mit der Objektivität).

Im Guardian warf er ihr vor, wie in der Ukraine den ebenfalls an einem Putsch gegen seine Regierung beteiligt zu sein. Es handele sich um "einen Staatsstreich in Zeitlupe", mit denen die USA das Ziel verfolge, "das venezolanische Öl unter ihre Kontrolle zu bekommen". Er sprach von einer "Revolte der Reichen", welche die USA im Rahmen einer ihrer "unkonventionellen Kriege" anzettelte. Dieses Vorgehen sei in den letzten Jahrzehnten perfektioniert worden. Damit sprach er die Putsche von Brasilien 1964, Chile 1973, Argentinien 1976 bis zum Putsch 2009 in Honduras, die alle von den USA politisch und materiell unterstützt wurden (Frontberichte aus Lateinamerika).

Dazu passt natürlich, wie auch die US-Regierung mit den Vorgängen umgeht. So warf Außenminister John Kerry der Regierung Maduro in höchst einseitiger Form eine "Terrorkampagne gegen die eigene Bevölkerung" vor. Gleichzeitig tut er so, als handele es sich bei den Demonstranten um friedliche Protestierer, die weder öffentliche Gebäude in Brand setzen, noch tödliche Fallen stellen und auch nicht auf Polizisten schießen. Amnesty International weist dagegen deutlich auf Menschenrechtsverstöße beider Seiten hin. Doch das Verhalten der US-Regierung ist wahrlich bekannt und ebenso heuchlerisch wie der Umgang mit Unabhängigkeitsbestrebungen, die bisweilen massiv gefördert oder auch - wie im Fall der Krim - zum Anlass für Sanktionen werden (Heuchelei zu Krim-Unabhängigkeitsbestrebungen).

Die venezolanische Opposition habe einen "ähnlichen Plan" wie die in der Ukraine, um das Land "unregierbar zu machen und die gewählte Regierung zu stürzen", meint Maduro. Dazu gehöre auch, die ökonomische Lage im Land durch einen "ökonomischen Krieg" zu verschlimmern, die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu verhindern und eine "künstliche Inflation" zu schüren. "Es soll eine soziale Unzufriedenheit und Gewalt geschaffen werden, um ein Land zu zeigen, das in Flammen steht, um eine internationale und sogar eine Intervention aus dem Ausland zu rechtfertigen." Er glaubt, es werde versucht, die Proteste wie den arabischen Frühling darzustellen, über die Diktatoren gestürzt wurden, die Jahrzehnte autokratisch regiert haben.

Rückkehr von wirtschaftlichen und politischen Eliten

Dass man es mit einem ganz anderen Phänomen zu tun hat, darauf macht auch George Ciccariello-Maher aufmerksam. Der Professor für Geschichte und Politik an der Drexler-Universität in Philadelphia meint, dass "diese Proteste weit mehr mit einer Rückkehr von wirtschaftlichen und politischen Eliten zur Macht als mit ihrem Niedergang zu tun haben". Der US-Professor weist darauf hin, dass unter dem Hashtag "#LaSalida" (Der Abgang) ohne Umschweife zum Sturz der Regierung aufgerufen wurde.

An der Spitze dieser Bewegung steht Leopoldo López. Er hat per Video vor seiner Verhaftung wegen Aufstachelung zur Gewalt noch einmal zum Kampf gegen die Regierung aufgerufen. "Unsere Forderung ist der Abgang dieser Regierung." López spricht vom "dieser Gruppe, die Venezuela gekidnappt" habe. "Lasst uns kämpfen. Ich werde das tun." Schon am 3. Februar hatte er per Twitter erklärt: "Es ist klar, dass die Venezolaner nicht mehr bereit sind, 6 Jahre darauf zu warten, dass die Regierung geht und die Krise beendet wird, in der wir uns befinden." Er spricht gerne von einer "kommunistischen Diktatur" oder einer "Tyrannei", als seien weder Maduro noch sein Vorgänger Chávez von der Bevölkerungsmehrheit gewählt worden.

Für den US-Politikprofessor hat man es bei dem rechten Hardliner mit einem alten Vertrauten zu tun hat. "López ist weder Gewalt auf der Straße fremd, noch schreckt er vor dem außerinstitutionellen Weg zurück: Während des Staatsstreichs von 2002 - auf den er "stolz" sei, wie er sagte - führte er inmitten eines gewalttätigen oppositionellen Mobs Hexenjagden an, um chavistische Minister festzunehmen." Tatsächlich war er beteiligt an der Festsetzung von Innenminister Ramón Rodríguez Chacín. Es handele sich um das "Musterbeispiel des Privilegierten". Nach Ciccariello-Maher wurde der Putschist "von der privaten Grundschule bis zur Harvard's Kennedy School" in den USA ausgebildet wurde.

Der Politikwissenschaftler verweist auch auf die Rolle von María Corina Machado, die wie López gegen jeden Dialog mit der Regierung ist. "Wir segnen keinen Dialog ab, solange die Regierung das Volk weiter unterdrückt." Das sind erstaunliche Aussagen für eine Frau, die ebenfalls an dem Putsch 2002 beteiligt war. Auch diese Ex-Abgeordnete unterzeichnete das "Carmona-Dekret", mit dem Chávez gestützt werden sollte. Das Putsch-Dekret setzte die Verfassung des Landes außer Kraft, löste das Parlament auf, setzte die Richter des Obersten Gerichtshof ab und setzte willkürlich mit Pedro Carmona den Präsidenten der Handels- und Industriellenvereinigung zum neuen Präsidenten Venezuelas ein.

Mit Demokratie hat all das wenig zu tun, sondern eher mit einer Diktatur oder Tyrannei, von der Machado und López gerne mit Bezug auf die Regierung Maduro sprechen. Nach dem US-Professor hat die Opposition von López und Machado "erhebliche Kapitalspritzen von Nebenstellen der US-Regierung wie dem National Endowment for Democracy, der USAID und dem International Republican Institute" erhalten. Diese Quellen tauchen auch immer wieder bei der Destabilisierung anderer Länder auf, zum Beispiel im Fall Kubas (USAID: Mit Sportnachrichten Kuba unterwandern).

Mit Machado und seinem früheren Wahlkampfmanager López bieten Capriles und seine MUD eine klare offene Flanke, wenn er diesen als "politischen Gefangenen" bezeichnet, der wie alle anderen amnestiert werden soll. Will Capriles tatsächlich Straflosigkeit? Die hatten Machado und López schon einmal erhalten, als Chávez die Unterzeichner des Putsch-Dekrets 2007 amnestierte. Wenn er sich ernsthaft von der Gewalt distanziert, müsste er eigentlich auch eine Verurteilung der Gewalttäter oder derer fordern, die sie anstiften. Und soll die geforderte Amnestie auch für die Verbrechen der Sicherheitskräfte gelten?

Anders als meist dargestellt wird, geht die Justiz auch gegen Polizisten und Geheimdienst-Beamten vor, die während der Proteste in den letzten Wochen mutmaßlich schwere Verbrechen begangen haben. Ein Beamter des Inlandsgeheimdienstes Sebin wurde wegen Schusswaffengebrauchs festgenommen und der Sebin-Chef gefeuert. Nun wird der Sebin-Beamte José Ramón Perdomo Camacho wegen Mordes angeklagt und dazu weitere fünf wegen Beihilfe. Wegen Mittäterschaft sollen sich auch ein Soldat und ein Nationalpolizist verantworten. Das hat Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz verkündet. Die Gruppe soll gegen alle Anweisungen der Regierung ihre Kaserne verlassen und mit ihren Waffen am 12. Februar auf Demonstranten in Caracas geschossen haben. Insgesamt drei Menschen kamen dabei aus bisher noch ungeklärten Umständen ums Leben.

Ortega gibt die Zahl der seit dem 12. Februar auf beiden Seiten getöteten Menschen nun mit 41 an. Zudem seien 674 verletzt und 175 inhaftiert worden. Sie widerspricht der Darstellung der Opposition, dass es vor allem Studenten seien, die gegen die Regierung revoltierten und die Mehrzahl der Inhaftierten deshalb Studenten seien. Sie wies auch deren Vorwürfe zurück, dass die angeschuldigten Demonstranten oder mutmaßliche Mitglieder der guarimbas "unschuldig" seien oder "politisch verfolgt" würden.

Regierung unterschätzt den Ernst der wirtschaftlichen Lage

Allerdings muss auch gesagt werden, dass die einfache Zuschreibung der Proteste und der Gewalt in Richtung USA und Faschisten durch Maduro doch sehr kurz greift. Sie lenkt von vielen realen Problemen ab. Neben der hohen Inflation gibt es weitere Probleme im Land. So weist zum Beispiel der Journalist Ronaldo Muñoz auf die schlechte wirtschaftliche Lage hin, die ebenfalls Menschen mobilisiert. Er spricht von einer "heiklen ökonomischen Lage auch in den geschmälerten Geldbeuteln der venezolanischen Durchschnittsverdienenden".

Er analysiert deshalb die Situation aus einer anderen Richtung. "Was ich nun sage, wird dem ein oder anderen mit Sicherheit nicht gefallen, aber das hier zugrundeliegende Problem besteht nicht in der Frage, ob sich Leopoldo López oder María Corina Machado an Verschwörungen beteiligen - schließlich versucht die Rechte seit mehr als 15 Jahren, mit allen Mitteln an die Macht zu kommen." Für Muñoz, der hinter der Regierung Maduro steht, besteht der zentrale Unterschied darin, "dass wir bislang immer im Recht gewesen sind", aber sich die Lage grundlegend geändert habe. "Die Situation wandelt sich in fruchtbaren Boden für die Versuche zahlreicher Akteure der venezolanischen Rechten, politische Unruhe zu stiften."

Er glaubt, die Regierung unterschätze den Ernst der wirtschaftlichen Situation und die Unzufriedenheit, die diese unabhängig von der politischen Einstellung erzeugt. Er fordert, eine "übermenschliche Anstrengung" von ihr zur Lösung konkreter Probleme. Er benennt dabei auch die Unsicherheit und die Korruption. Die in die Höhe schießende Inflation benennt er als ein zentrales Problem, welche schwer an der Kaufkraft nagt. Die sei zwar zu großen Teilen bewusst erzeugt, aber auch "Resultat der fehlerhaften Wirtschaftspolitik der Regierung", kritisiert er. Er fordert von Präsident Maduro, das Versprechen einzulösen und der Korruption den Krieg zu erklären. Davon sei in letzter Zeit kaum noch etwas zu hören gewesen.

Er warnt Maduro auch vor weiteren einfachen Mustern und Zuschreibungen und forderte einen "inklusiven Diskurs", wie er nun mit dem Dialog zu beginnen scheint. "Es existieren nicht sieben Millionen Oligarchen und es gibt auch keine sieben Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner, die "Faschisten" sind. Nicht jeder Kritiker oder Oppositioneller sei ein "CIA-Agent". Es gehe darum, zu überzeugen, anstatt knapp die Hälfte der Bevölkerung zu beleidigen. Doch zum Überzeugen bedürfe es nicht mehr nur Diskurse, sondern Resultate. "Geben wir dem Land Resultate in Form von ökonomischen Inhalten und der brisante Konfliktpegel wird verschwinden, da die Bevölkerung es nicht in Betracht ziehen wird, die in unserem Land rechtskräftige Ordnung in Frage zu stellen."