Rachespirale

Bisher wird die Lage in Pakistan kaum von der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen. Das könnte sich mit der Ausweitung des Krieges gegen die Taliban in Nordwaziristan, wie dies die USA vorhat, ändern

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Man reibt sich etwas verwundert die Augen, wie wundersam sich plötzlich die Puzzlestücke fügen. In der ersten Reaktion auf den Attentatsversuch in Manhattan am 1.Mai hieß es noch, dass man gar keine Spur hätte und Verbindungen zu den pakistanischen Taliban weit hergeholt scheinen. Es gebe keine glaubwürdigen Beweise für dass der Autobombenbauer von pakistanischen Taliban ausgebildet worden sei, wurden US-Regierungsoffizielle noch am vergangenen Donnerstag zitiert. Jetzt spricht der US-Justizminister von Beweisen für genau diese Verbindung, allerdings ohne sie offenzulegen. Die Drahtzieher des Anschlages sollen aus den Reihen der pakistanischen Taliban stammen, ebenso die Mittel. Der Schluss daraus ist beinahe ebenso „klassisch“ wie die Anklage selbst: Der Krieg gegen die pakistanischen Taliban in ihrer Hochburg Nordwaziristan muss intensiviert werden. Eine Folge davon könnte sein, dass der asymmetrische Krieg, der Einsatz von Selbstmordattantätern und Autobomben, über das Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan hinausgetragen wird und nicht nur in die großen Städte Pakistans, wie dort befürchtet wird, sondern auch in die westlichen Länder, in die USA und nach Deutschland.

Faisal Shahzad, der geständige Times-Square-Attentatsverdächtige, wird in öffentlichen Spekulationen längst in Verbindung gebracht mit Schlüsselfiguren der islamistischen Terrorszene. Mit Namen, die der amerikanischen Öffentlichkeit bekannt sind. Weil sie mit der Vorbereitung von Terrorakte in den USA verküpft sind. Etwa Anwar al-Awlaki, der im Zusammenhang mit dem Amoklauf in Fort Hood bekannt wurde (siehe "Wir kommen, um euch hinzuschlachten") und auf der "Kill-and-capture"-Liste der CIA steht (siehe Mit US-Drohnen soll islamistischer Prediger im Jemen getötet werden). Oder Nadschibullah Zazi, der einen Anschlag in der New Yorker Subway vorbereitet haben soll und dies vor Gericht zugegeben hat (siehe Guilty Plea Made in Plot to Bomb New York Subway.

Richtig stichhaltig sei an diesen Verbindungen nicht viel, wird von kritischen Journalisten entgegengehalten. Sicher sei nicht einmal das, was in vielen Berichten als stärkstes Motiv Shahzads angegeben wird: Rache für US-Drohnenangriffe auf pakistanische Ziele. Ein Sprecher der pakistanischen Taliban distanzierte sich zwar von Behauptungen, die Gruppe sei für den Anschlagsversuch in New York verantwortlich. Die Drohungen der pakistanischen Taliban, künftig auch Anschläge im westlichen Städten, vornehmlich in den USA, durchzuführen, wurden nicht zurückgenommen.

Dass dies jetzt von Seiten der USA ernster genommen wird, zeigen die jüngsten Reaktionen. Die Argumentation des Anti-Terror-Beraters von Obama, John Brennan, will hier einerseits die Öffentlichkeit beruhigen, indem er auf die dilettanitische Vorbereitung des Attentäters hinweist und darauf, dass die Ausbildungsmöglichkeiten der Taliban in pakistanischen Lagern beschränkt sind. Andrerseits argumentiert Brennan für die klassische Reaktion der USA auf solche Drohungen: militärisches Vorgehen, das den Gegner aufreiben könnte.

Für den Terrorismusexperten Bruce Hoffmann war der Anschlag keinesfalls amateurhaft, sondern nur zu schnell ausgeführt. Der Anschlag weist nach seiner Einschätzung (hier und hier) auf ein neues Muster hin: das Unterlaufen des Sicherheitsradars der Homeland Security durch Personen, die die US-Staatsbürgerschaft haben und bis dato unauffällige Personen sind. Auch seien die Anschläge nicht mehr so groß angelegt und damit schneller und leichter auszuführen. Gegen eine solche Strategie, die Sicherheitslücken ausnutze, gebe es noch kein probates Mittel. Nach Hoffmann sollte sich die USA auf weitere Anschlage dieser Art einstellen. Es gelte dafür das Gesetz der IRA:

“Today we were unlucky, but remember we only have to be lucky once. You have to be lucky always.”

Ausweitung der Kampfzone auf Nordwaziristan

Die USA könnten mit ihrem erhöhten Druck auf Pakistan, den Krieg gegen die Taliban in Nordwaziristan zu führen, durchaus Erfolg haben.

Die Offensive der pakistanischen Armee in ihren Kämpfen gegen die Taliban im Swat-Tal und in Südwasiristan war militärisch erfolgreich, wie Patrick Cockburn, Journalist beim britischen Independent und manchen auch hierzulande als kritischer Berichterstatter im Irak-Krieg bekannt, eindringlich in einem aktuellen Artikel schildert. Doch Cockburn zeigt ebenso eindringlich auch die Kehrseite des Kriegs, der von pakistanischer Seite mit „maximal Force“ geführt wurde: Millionen Flüchtlinge, Krieg gegen jeden, der sich noch in den umkämpften Gebieten aufhält, sehr viel mehr Todesopfer auch unter Zivilisten als bei Drohnenangriffen, alptraumhaft verwüstete Dörfer:

"What I saw was the stuff nightmares are made of," writes Ayzaz Wazir, a former Pakistani ambassador who travelled on a bus through South Waziristan. "Houses, shops, madrassahs and even official buildings on the roadside stood in ruins or demolished. There was no sign of any human or animal life, except for a few cows wondering about in the deserted villages."

Zwar seien die Taliban in diesen Zonen militärisch besiegt und vertrieben worden, so Cockburn, aber zu einem sehr hohen Preis, die Unsicherheit unter der Bevölkerung sei geblieben und die Angst vor Rache auch:

The Taliban had gone but nobody believes they had gone very far. "People don't want to co-operate with the army, because they think the Taliban will find out and take revenge."

Dass sie noch immer zuschlagen können, hätten die Taliban dann auch in einzelnen Dörfern mit Selbstmordanschlägen bewiesen. In einem Fall kostete die Vertreibung eines Talibanchefs 100 Bewohnern das Leben.

Sollte sich der Krieg auf Nordwaziristan, dem neuen Hauptschlachfeld gegen den internationalen Dschihad – enge Verbindungen zwischen den pakistanischen Taliban und al-Qaida sind das große Thema der US-Berichterstattung heute - , ausweiten, so ist damit zu rechnen, dass sich die asymmetrische Kriegsführung der Guerillas weiche Ziele auch außerhalb Pakistan sucht.

Die Verbindung zwischen pakistanischen Talibanverbänden und afghanischen, die bereits mehrmals mit Anschlägen auf Deutschland drohten, erscheint in diesem Zusammenhang weniger weit hergeholt als so manche Terrornetzwerkverbindung des geständigen Autobombenbastlers vom Times Square.

Möglich, dass sich die Guerillas dabei an dem orientieren, was ihnen insbesonders von der amerikanischen Kriegsführung vorexerziert wird. So heißt es etwa über Vorgaben des neuen CIA-Regelwerk zu Drohnenangriffen:

Die neuen Regeln haben das Programm verändert. Laut Angaben von Offiziellen ist aus dem Programm, das vorher eng auf führende Mitglieder von al-Qaida und Taliban-Führer zugeschnitten war, eine weiter gefasste Offensive von Luftangriffen geworden, in der nur wenig Militante „off-limits“ sind, so lange sie als Bedrohung für die USA eingeschätzt werden.

Im Visier der Drohnen stehen nun auch Terrorismusverdächtige, „selbst wenn ihre Namen nicht bekannt sind“. Man habe den Anschlag in New York erwarten können, wird der pakistanische Außenminister zitiert:

Seien wir nicht naiv. Sie werden nicht einfach dasitzen und darauf warten, bis man sie eliminiert. Sie werden zurückschlagen.

Mahkdoom Qureshi