Rassismus in Frankreich: Der Fall Thomas in Romans-sur-Isère

Drei vermummte Polizisten bei einem Einsatz in Frankreich.

Drei vermummte Polizeibeamte während eines Einsatzes, symbolisch für die angespannte Sicherheitslage in Frankreich.

(Bild: ev, Unsplash)

Extreme Rechte spricht nach einem tödlichen Vorfall bei einem Dorffest von Vorboten eines ethnischen Bürgerkriegs und antifranzösischem Rassismus.

Wie tief sind die Risse, die die französische Gesellschaft durchziehen? Mit welchen Mitteln lässt sich verhindern, dass die Spannungen sich mit mehr oder minder massiver Gewalt zwischen Bevölkerungsgruppen ("rassisch" oder religiös definierter Art) katastrophenförmig "entladen"?

Das sind derzeit aufgeworfene Fragen.

Nicht offen ist hingegen eine andere Frage: die danach, wer ein Interesse oder vermeintliches Interesse daran hat, dass es genau dazu kommt?

Politische Hassprediger und rassistische Aufrufe

Die Liste politischer Hassprediger liegt offen zutage. Dazu zählt auch eine Parlamentskandidatin vom vorigen Jahr, Florence Medina, die offen zu rassistischen Treibjagden aufrief – zu ratonnades ("Rattenjagd"). Seit einem Ereignis im Algerienkrieg 1956 richten sie sich gegen Nordafrikaner.

Am Freitag kündigte die Nichtregierungsorganisation SOS Racisme an, deswegen Strafanzeige erstattet zu haben.

Was ging dem voraus?

Tragödie in Crépol: Ein Dorffest wird zum Schauplatz der Gewalt

In der Nacht vom Samstag, den 18. November 2023, auf den Sonntag wurde in der gut 500 Einwohner zählenden ländlichen Gemeinde Crépol, zwischen Valence und Grenoble gelegen, eine Dorf-Discoparty gegen halb zwei bis zwei Uhr früh überfallen.

Die Teilnehmer der Attacke stachen mehrere Menschen mit Messern nieder. Der 16-jährige Thomas (über die Medien wurde bislang nur der Vorname bekannt), ein Spieler des örtlichen Rugby-Vereins, starb auf dem Weg ins Krankenhaus der Regionalmetropole Lyon.

Die Hintergründe der Tat, die schockierte, blieben zunächst teilweise unklar. Meldungen über den tödlichen Angriff mobilisierten Aufmerksamkeit. Am vergangenen Mittwoch nahmen über 6.000 Menschen an einem Schweigemarsch teil, an der Beerdigung des Opfers am vergangenen Freitag nahmen 1.000 Menschen teil.

Inzwischen, nach viertägigen polizeilichen Vernehmungen, hat sich das Dunkel zum Teil gelichtet. Neun Personen wurden am Samstag, dem 25. November, der Staatsanwaltschaft vorgeführt und darüber informiert, dass Anklage vor einem Geschworenengericht gegen sie erhoben wird, sieben von ihnen wanderten in Untersuchungshaft.

Die Ursachenforschung: Soziale Spannungen in Romans-sur-Isère

Mutmaßlich trugen sich die Dinge im Kern wie folgt zu.

Mehrere etwa zwanzigjährige Einwohner der in der Umgebung liegenden, vom Abstieg betroffenen Industriestadt Romans-sur-Isère – früher war dort eine bedeutende Schuhproduktion konzentriert, die zeitweilig bis zu 4.000 Arbeitskräfte beschäftigte, heute noch 250 – waren zu dem Dorffest gekommen.

Da sie sich nicht vorab angemeldet hatten, wurden sie am Eingang abgewiesen. Wegen einer Bemerkung, die offensichtlich die relativ langen Haare eines der unerbetenen Jungmänner betraf, dem von einem der Türsteher deswegen die Männlichkeit abgesprochen wurde, kam es aufseiten der unerwünschten Gäste zu einem Ausraster. Diese riefen Verstärkung herbei. Bei ihrem zweiten Auflaufen bei der Diskoparty wurden 20 bis 25 Zentimeter lange Messer gezückt, diese kamen auch schnell zum Einsatz.

Mehrere, wenngleich wohl nicht alle, der durch die Justiz Beschuldigten kamen aus der riesigen Hochhaussiedlung La Monnaie. Diese bildet einen sozialen Brennpunkt am Rande von Romans-sur-Isère und wurde, wie in anderen früheren Industriestädten im Niedergang, zu einer Hochburg der in Frankreich stellenweise gravierende Ausmaßes annehmenden Drogenökonomie.

Rassismus und seine Folgen in Frankreich

Neben einem Mathys finden sich auch mehrere Vornamen nordafrikanischer Herkunft wie Chaïd (der des mutmaßlichen Haupttäters), Yasir, Yanis.

Es brauchte nicht viel mehr, um in bestimmten Spektren sofort eine Platte anzuwerfen, auf der da Dinge zu hören sind wie: "Vorboten eines ethnischen Bürgerkriegs" und "gezielte Attacke eines antifranzösischen Rassismus, der Landstriche von ihren Ureinwohnern entleeren möchte".

Die Staatsanwaltschaft ihrerseits plädiert bislang, etwa auf ihrer Pressekonferenz am Samstag, für größte Vorsicht und behauptet, über keinerlei Hinweise auf eine rassistische Absicht der Angreifer – im Sinne des durch Konservative und Rechtsextreme nun laut hinausposaunten "antifranzösischen" oder "anti-weißen Rassismus" – zu verfügen. Ansonsten werde das Untersuchungsverfahren notwendig Zeit für eine Aufklärung beanspruchen.

Die extreme Rechte und ihre Reaktion auf Rassismusvorwürfe

Zeit benötigt hauptsächlich die extreme Rechte jedoch nicht. Diese verfügt jetzt bei jeder Erwähnung von Rassismus – z. B. im Zusammenhang mit dem am Freitag, dem 17. November, in der Nähe von Paris durch einen Rentner mit dem Wort "Kanacke" (bougnoule) angegriffenen und in der Nähe der Halsschlagader lebensbedrohlich verletzten 29-jährigen Gärtners Mourad – über die prompte Gegenparade und zückt sofort die Schlagworte "Thomas" und "antifranzösischer Rassismus".

Tausende Nachrichten in den sozialen Netzwerken wurden, oft, aber nicht mit immer solchen Absichten, unter dem Stichwort "Gerechtigkeit für Thomas" verbreitet.

Zu der regelrechten Kampagne zählen auch Schmierereien auf Moscheen im relativ nahe bei Crépol liegenden Valence ("Ein toter Moslem ist ein guter Moslem. Gerechtigkeit für Thomas"), aber auch im relativ weit entfernten Cherbourg, einer Hafenstadt am Ärmelkanal ("Gerechtigkeit für Thomas. Hier ist Frankreich, Tod den Arabern").

Am frühen Samstag drangen rund achtzig stiefelfaschistische Rechtsradikale, überwiegend aus Lyon, zu einer Strafexpedition in das soziale Brennpunktviertel La Monnaie in Romans-sur-Isère ein, randalierten bedrohlich und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der anrückenden Polizei.

Die Demonstranten waren teilweise von weit her angereist. Demonstrationen aus demselben Spektrum wurden auch aus Avignon und Reims vermeldet.

Offensichtlich wollte man kurz nach den Ereignissen in der irischen Hauptstadt auch die rechtsextreme Dublin-Randale nachahmen. Der Staub der Ausschreitungen dürfte sich nach kurzem gelegt haben. Doch der ideologische Fallout bleibt.

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