Rassistischer Sozialprotest?

Seite 2: Extremismus der Mitte

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Und selbstverständlich spielten bei der Ausbildung der konformistischen Rebellion in der Bundesrepublik nicht nur die oben dargelegten, spezifisch deutschen Faktoren eine Rolle. Der Europa- und deutschlandweit um sich greifende Rechtspopulismus und Rechtsextremismus kann auf den Begriff des Extremismus der Mitte gebracht werden. Und dies ist ja ein gesamteuropäisches Krisenphänomen. Zum einen ist es gerade nicht nur der soziale "Rand" der Gesellschaft, der zur extremen Rechten überläuft, sondern in weiten Teilen gerade deren "Mitte". Der Rechtsextremismus war schon immer ein Bündnis zwischen Mob und Elite, zwischen den vielen gesichtslosen Hetzern auf Facebook, den Brandstiftern in der Provinz und den Stichwortgebern und Wegbereitern der Barbarei, die für gewöhnlich Schlips und Kragen tragen: einem Thilo Sarrazin, dem Wegbereiter des neuen deutschen Rechtsextremismus, einem Hans-Olaf Henkel, der Beatrix Storch, geborene Herzogin von Oldenburg, oder dem Wirtschaftspopulisten Hans Werner Sinn, der rechte Ressentiments in Wirtschaftsideologie umformuliert.

Ab einem gewissen Schwellwert gesellschaftlicher Durchdringung geht dieser Rechtsextremismus in eine neue extremistische "Normalität" über, da das gesamte Spektrum - inklusive einer Fraktionsvorsitzenden Wagenknecht - weiter nach rechts rückt. In diesem Fall ist es schlicht der Wahlerfolg der AfD, der all die Rassisten und rückratlosen Untertanen, die diese Partei gewählt haben, von jedem Verdacht des Rechtsextremismus frei spricht. Kein Politiker, der noch gewählt werden will, kann es sich leisten, knapp 25 Prozent der Wählerschaft als Rassisten zu bezeichnen - auch wenn sie brennende Flüchtlingsheime bejubeln und Politiker in die Parlamente wählen, die Frauen und Kinder an den Grenzen erschießen lassen wollen.

Der Begriff des Extremismus der Mitte weist aber auch eine ideologische Dimension auf, da hier Elemente kapitalistischer Ideologie ins Extrem getrieben und mit offenem Rassismus angereichert werden. Dies ist auch die Grundlage des Erfolgs der Rechten in Krisenzeiten, da es bei der konformistischen Rebellion keines Bruchs mit der herrschenden Ideologie bedarf. Man bleibt auf dem gewohnten weltanschaulichen Gleis und führt die Systemlogik - vor allem die Konkurrenzlogik - ins barbarische Extrem.

Die zunehmende Krisenkonkurrenz, die die gesamte spätkapitalistische Gesellschaft destabilisiert, wird vermittels des Rassismus legitimiert. Ganze Menschengruppen können so aus der kriselnden Gesellschaft ausgeschlossen werden, weil sie nicht zur "Volksgemeinschaft" gehören. Die rechtspopulistische Klage über die sozialen Missstände in der BRD, die oft mit rassistischen Ressentiments einhergeht, dient ja zumeist diesem illusorischen Zweck: Ohne die "Ausländer" wird es für uns Deutsche schon reichen.

Die rechtspopulistische oder rechtsextreme Klage über soziale Verwerfungen ist somit nur Mittel zu einem barbarischen Zweck: zur Hetze und nationalistischen oder faschistischen Massenmobilisierung. "Arbeit zuerst für Deutsche!" Diese Latrinenparole der NPD bringt aber auch den Krisencharakter in aller Brutalität zum Ausdruck. Der Kapitalismus produziert in seiner Weltkrise zunehmend eine ökonomisch überflüssige Menschheit, sodass immer größere verzweifelte Menschenmassen aus den Zusammenbruchsgebieten der Peripherie, die in Anomie und Bürgerkrieg versinken, in die erodierenden Zentren fliehen.