Razzia gegen "Letzte Generation": Wo Staat und Aktivisten irren

Seite 2: Klimaproteste: Der Staat schlägt zurück. Und nun?

Diese Razzia war absehbar: Eine Woche nachdem die Aktivisten der Klimaschutzorganisation "Letzte Generation" auf der Innenministerkonferenz als kriminelle Vereinigung bezeichnet worden sind, hat die Justiz zugeschlagen. Polizeiliche Ermittler haben im gesamten Bundesgebiet Wohnräume von elf Klimaaktivisten durchsucht, so Staatsanwalt Cyrill Klement im brandenburgischen Neuruppin. Es gehe um die Störung öffentlicher Betriebe. Die Staatsanwaltschaft prüfe zugleich den "Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung".

Kriminelle Vereinigung – das ist näher am Vorwurf der Bildung einer Terrororganisation nach Paragraf 129 des Strafgesetzbuches als an der bisherigen mehrheitlichen Einstufung der Störaktionen als Ordnungswidrigkeit. Eine radikalere Haltung des Staatsapparats in unübersehbar.

Nicht nur die zeitliche Nähe zur Innenministerkonferenz lässt einen schalen Beigeschmack zurück. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Justiz einer nun Wochen und Monate währenden Kampagne konservativer Politiker und Medien folgt und härter gegen die jungen Aktivisten vorgeht. Zumal die Anschuldigungen heute sehr vage formuliert wurden.

Doch gibt es auch auf der anderen Seite Diskussionsbedarf. Denn die Aktionen, die zur Razzia geführt haben, sind weit entfernt von einfachen Straßenblockaden. Es geht um die Manipulation von Erdölanlagen, im konkreten Fall der PCK Raffinerie im brandenburgischen Schwedt. Das hat eine neue Qualität und weist auf die Radikalisierung der Klimaaktivisten hin.

Da ist auf der einen Seite also ein Staat, der sich mit zunehmend repressiven Mitteln gegen die Klimaaktionen wehrt. Und auf der anderen Seite eine Klimaschutzorganisation, deren meist jugendliche Vertreter sich und die Altersgenossen als Opfer einer rücksichtslosen Industrie- und Umweltpolitik sehen. Das wird auch aus dem szenischen Einstieg ihrer Pressemitteilung deutlich:

Es ist sechs Uhr morgens und acht uniformierte Beamte laufen mit Taschenlampen ums Haus. Gleichzeitig brechen Beamte das Schloss der Wohnung einer alten Frau auf, die sich nicht traut, so früh morgens die Tür zu öffnen. Sie hat einen Herzschrittmacher. Ihr Sohn, der sonst bei ihr wohnt, sitzt derzeit im Gefängnis. In einer anderen Stadt klingelt es an der Tür, den Bewohnern dämmert es, sie hatten die gleiche Situation bereits vor zwei Wochen. Hausdurchsuchungen. Der Grund: Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Diese Attitüde der Klimaaktivisten ist nicht neu. Allein, sie wird von kaum jemandem geteilt: Nach jüngsten Umfragen lehnen über 80 Prozent der Bundesbürger die Aktionen ab und teilen das Opfer-Selbstbild der Aktivisten ausdrücklich nicht.

Und wenn sie nun die Energieversorgung sabotieren, dürfte sich diese Quote noch zu ihren Ungunsten verschieben. Für die Klimaaktivisten stellt sich also die Frage nach der mittel- und langfristigen Perspektive. Für eine zunehmende Anzahl von ihnen führt sie ins Gefängnis. Und dort kann man wenig politisch bewegen. Eine belastbare Strategie über das Prinzip verzweifelter Hoffnung hinaus scheint zu fehlen.

All das zeugt von einer grundsätzlich falschen Einschätzung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Der bürgerliche Staat – auch und gerade mit Beteiligung der Grünen – scheint willens, mit Repression zu antworten. Der angeforderte Politikwechsel ist nicht erkennbar, ganz im Gegenteil. Und das ist das eigentliche Drama.

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