Razzia gegen "Letzte Generation": Wo Staat und Aktivisten irren

Straßenblockade in Freiburg für eine Agrarwende, 7. Februar 2022. Bild: Felix Müller, CC BY-SA 4.0

Themen des Tages: Der Regierungskonflikt um die Schiene. Das Sterben der Arten. Und der Irrtum im Klimastreit.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Auto oder Bahn: Für wen schaltet die "Ampel" auf grün?

2. Was kann die Weltorganisation UNO gegen das Sterben der Welt unternehmen?

3. Wie kommt der Klima-Aktivismus aus der Sackgasse?

Doch der Reihe nach.

Waffenlieferungen an die Ukraine: höher, weiter, schneller

Über lange Zeit hinweg galt es als ungeschriebenes Gesetz bei westlichen Waffenlieferungen für die Ukraine, schreibt heute Telepolis-Autor Roland Bathon: Die eigenen Waffen sollten nicht dazu geeignet sein, das russische Hinterland anzugreifen. "Dafür gab es einen triftigen Grund, den im Juli der US-Sicherheitsberater Jake Sullivan beim Aspen Security Forum erklärte: Eine Lieferung solcher Waffen könne Russland provozieren und zu einem möglichen dritten Weltkrieg führen." Bathon weiter:

Trotz dieser offiziell geäußerten Bedenken gab es bereits im August die ersten Meldungen, etwa im US-Magazin Politico, nach denen die USA der Ukraine nicht nur das liefert, was offiziell verkündet wird. Die Rede war recht schnell von Hochpräzisionsprojektilen, von Streumunition – und von Langstreckenraketen.

Die UNO und das Artensterben

Seit vergangener Woche tagt im kanadischen Montreal die Artenschutzkonferenz der Vereinten Nationen, so Telepolis-Autor Matthias Becker. Ziel der Verhandlungen sei ein internationales Abkommen zum Schutz der Biodiversität. Gut eine Million Pflanzen und Tiergattungen seien vom Aussterben bedroht, schätzt der "Weltbiodiversitätsrat" laut Becker:

Die Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) spielt für den Artenschutz eine vergleichbare Rolle wie das International Panel on Climate Change (IPCC) für den Klimaschutz, es fasst die wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen und liefert den politischen Entscheidern Fakten.

Zankapfel Klimapolitik

Im Gebälk der Regierungskoalition knirscht es – und das ist nichts Neues, bemerkt heute Telepolis-Autor Bernd Müller. Diesmal streiten sich Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, ob sie in erster Linie Projekte im Straßenbau anschieben wollen oder auf der Schiene.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte am Sonntag in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" erklärt: Der Güterverkehr per Bahn müsse dringend ausgebaut werden. Aber auch auf der Straße gebe es gesteigerte Anforderungen. "Wir können ja nicht leere Supermarktregale produzieren, weil wir die Infrastruktur nicht schnell genug ausbauen", so der Minister.

Klimaproteste: Der Staat schlägt zurück. Und nun?

Diese Razzia war absehbar: Eine Woche nachdem die Aktivisten der Klimaschutzorganisation "Letzte Generation" auf der Innenministerkonferenz als kriminelle Vereinigung bezeichnet worden sind, hat die Justiz zugeschlagen. Polizeiliche Ermittler haben im gesamten Bundesgebiet Wohnräume von elf Klimaaktivisten durchsucht, so Staatsanwalt Cyrill Klement im brandenburgischen Neuruppin. Es gehe um die Störung öffentlicher Betriebe. Die Staatsanwaltschaft prüfe zugleich den "Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung".

Kriminelle Vereinigung – das ist näher am Vorwurf der Bildung einer Terrororganisation nach Paragraf 129 des Strafgesetzbuches als an der bisherigen mehrheitlichen Einstufung der Störaktionen als Ordnungswidrigkeit. Eine radikalere Haltung des Staatsapparats in unübersehbar.

Nicht nur die zeitliche Nähe zur Innenministerkonferenz lässt einen schalen Beigeschmack zurück. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Justiz einer nun Wochen und Monate währenden Kampagne konservativer Politiker und Medien folgt und härter gegen die jungen Aktivisten vorgeht. Zumal die Anschuldigungen heute sehr vage formuliert wurden.

Doch gibt es auch auf der anderen Seite Diskussionsbedarf. Denn die Aktionen, die zur Razzia geführt haben, sind weit entfernt von einfachen Straßenblockaden. Es geht um die Manipulation von Erdölanlagen, im konkreten Fall der PCK Raffinerie im brandenburgischen Schwedt. Das hat eine neue Qualität und weist auf die Radikalisierung der Klimaaktivisten hin.

Da ist auf der einen Seite also ein Staat, der sich mit zunehmend repressiven Mitteln gegen die Klimaaktionen wehrt. Und auf der anderen Seite eine Klimaschutzorganisation, deren meist jugendliche Vertreter sich und die Altersgenossen als Opfer einer rücksichtslosen Industrie- und Umweltpolitik sehen. Das wird auch aus dem szenischen Einstieg ihrer Pressemitteilung deutlich:

Es ist sechs Uhr morgens und acht uniformierte Beamte laufen mit Taschenlampen ums Haus. Gleichzeitig brechen Beamte das Schloss der Wohnung einer alten Frau auf, die sich nicht traut, so früh morgens die Tür zu öffnen. Sie hat einen Herzschrittmacher. Ihr Sohn, der sonst bei ihr wohnt, sitzt derzeit im Gefängnis. In einer anderen Stadt klingelt es an der Tür, den Bewohnern dämmert es, sie hatten die gleiche Situation bereits vor zwei Wochen. Hausdurchsuchungen. Der Grund: Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Diese Attitüde der Klimaaktivisten ist nicht neu. Allein, sie wird von kaum jemandem geteilt: Nach jüngsten Umfragen lehnen über 80 Prozent der Bundesbürger die Aktionen ab und teilen das Opfer-Selbstbild der Aktivisten ausdrücklich nicht.

Und wenn sie nun die Energieversorgung sabotieren, dürfte sich diese Quote noch zu ihren Ungunsten verschieben. Für die Klimaaktivisten stellt sich also die Frage nach der mittel- und langfristigen Perspektive. Für eine zunehmende Anzahl von ihnen führt sie ins Gefängnis. Und dort kann man wenig politisch bewegen. Eine belastbare Strategie über das Prinzip verzweifelter Hoffnung hinaus scheint zu fehlen.

All das zeugt von einer grundsätzlich falschen Einschätzung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Der bürgerliche Staat – auch und gerade mit Beteiligung der Grünen – scheint willens, mit Repression zu antworten. Der angeforderte Politikwechsel ist nicht erkennbar, ganz im Gegenteil. Und das ist das eigentliche Drama.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.