Reality TV gegen den islamistischen Terror

Der staatliche, vom Pentagon finanzierte Sender Al-Irakiya führt, offenbar mit großem Erfolg bei den Zuschauern, mutmaßliche Mitglieder von aufständischen Gruppen im Fernsehen vor, die über ihre Taten berichten

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Die Menschen im Irak leben in ständiger Angst, Opfer von Kriminellen, Terroristen, Fundamentalisten oder Aufständischen werden zu können. Ihren Beitrag zur Unsicherheit leisten auch die Koalitionstruppen schon durch ihre Präsenz, aber auch durch Hausdurchsuchungen, Festnahmen und anderen Übergriffen, die auch Unbeteiligte zu Opfern werden lassen. Wie ein Bericht einer Irakerin aus Bagdad in der heutigen Süddeutschen Zeitung ("Die dunkle Fremdheit in der Stadt") deutlich macht, ist nach dem Sturz Husseins und dem darauf folgenden Chaos die Angst, besonders bei Frauen, zu einem beherrschenden Gefühl der Iraker geworden, die nicht in Hochsicherheitsarealen wie der Green Zone leben. Sie schreibt, dass sie in ständiger Sorge lebt und möglichst nicht mehr aus dem Haus geht.

Nach dem Selbstmordanschlag in Hilla, der ganz offensichtlich dazu dienen sollte, den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten zu vertiefen und das Land einem Bürgerkrieg oder dem Zerfall näher zu bringen, sind gestern zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen und haben gegen die Gewalt und den Terror protestiert. Die seit bald zwei Jahren permanent vorhandene Gewalt legt sich über die Menschen, die sich oft selbst mit erleben müssen, wenn sie oder Familienmitglieder nicht Opfer werden, und mit der sie auch über die Medien konfrontiert werden.

So schreibt die oben bereits erwähnte Irakerin, die aus Sicherheitsgründen ihren Namen nicht nennen will, dass die Kinder in ihren Spielen die Gewalt nachahmen, um sie in irgendeiner Form zu bewältigen. Ein Nachbarskind hatte seinem Bruder ein Messer an die Gurgel gesetzt, als die Mutter nach Hause kam:

Nachdem sie ihm das Messer weggenommen hatte, fragte sie ihn, was das solle: "Ich mach's wie im Fernsehen", hat er ihr geantwortet. Das ist alles, was den Kindern im Jahr 2005 im Irak noch bleibt: das Fernsehen. Wir haben schon lange aufgehört, gemeinsam spazieren oder gar in ein Restaurant zu gehen ... Man bleibt Zuhause und vermeidet das Schlimmste.

Wichtig für die Menschen, die sich zurückziehen, sind daher die Medien, allen voran das Fernsehen. Nach dem Sturz Husseins hat die US-Verwaltung unter Bremer schnell versucht, das Iraqi Media Network (IMN), zu dem neben Radiostationen und Zeitungen auch der staatliche Sender Al Irakiya gehörte, wieder aufzubauen. Das sollte natürlich auch den arabischen Satellitensendern, neben Al Arabiya vor allem al-Dschasira, mit ihren USA-kritischen Berichten den Wind aus den Segeln nehmen. Zunächst wurde der weniger mit Fernsehen als mit Informationsoperationen vertraute Rüstungskonzern SAIC mit dem Aufbau des Senders beauftragt, von dem es heißt: "a fully independent service, free from political or other control, undue influence, interference, or pressure from governmental, political, or other external forces". Das Programm muss in etwa so unkritisch gewesen sein wie unter Hussein, zudem verließen bald viele irakische Mitarbeiter den Sender, wegen der geringen Gehälter, aber auch wegen mangelnder Unabhängigkeit.

Anfang 2004 erhielt der Konzern Harris, der vorwiegend für die US-.Regierung und das Pentagon arbeitet, den Auftrag, den Sender für 90 Millionen US-Dollar voranzubringen. Der republikanische US-Senator Richard Lugar nannte es das "wichtigste Unternehmen in Sachen öffentlicher Diplomatie". Im Januar 2005 wurde der Auftrag für ein weiteres Vierteljahr mit einem Budget von 22 Millionen verlängert. Das Geld kommt weiterhin vom Pentagon. Nun scheint man einen guten Einfall gehabt zu haben.

Aufständische vorgeführt

Seit Anfang Februar sendet der lokale, zu Al Irakiya gehörende Mosul TV, seit einigen Tagen auch landesweit mehrmals täglich Interviews mit gefangenen Aufständischen. Offenbar mit großem Erfolg. Befragt werden die Gefangenen, wie viele Menschen sie getötet und welche Anschläge sie ausgeführt haben. Dazu werden Filmausschnitte aus Terroristen-Videos oder Fernsehberichten über die Anschläge gezeigt. Vorgeführt werden soll mit dieser Serie mit dem Titel "Terrorismus im Griff der Justiz" im staatlichen Fernsehen wohl vor allem, dass die Regierung Erfolge bei der Bekämpfung der Aufständischen und Terroristen macht und das Land sicherer wird.

Erfolg hat diese Serie wohl vor allem deshalb, weil damit einerseits die im Dunklen agierenden Aufständischen ein Gesicht bekommen und möglicherweise auch demystifiziert, ihrer heimtückischen Macht beraubt werden. So werden die mutmaßlichen Täter auch direkt vor der Kamera im Stil des Reality-TV mit Angehörigen von Opfern konfrontiert, die manche als Täter angeblich identifizieren können. Zuschauer können auch im Studio anrufen und ihre Meinung kundtun.

Die meisten der vorgeführten Gefangenen stammen bislang aus Mossul, wie die Los Angeles Times berichtet, aber auch ein Blogger. Vorgeführt werden offenbar meist ganze Gruppen. Der Kommandeur einer vom Innenministerium Ende des letzten Jahres aufgestellten Brigade zur Bekämpfung der Aufständischen brüstete sich damit, die Terroristen ohne einen Schuss abzufeuern gefangen genommen zu haben: "Wir haben die Stadt nicht wie die Amerikaner zerstört ... Es ist eine rein irakische Operation gewesen."

Aufständische sollen bereits auf Flugblättern die Serie als Schwindel dargestellt und angekündigt haben, die Mitarbeiter des Sender der Rechtssprechung Gottes zuzuführen. Womöglich ist die Ermordung der am 20. Februar entführten Journalistin und Al-Irakiya-Mitarbeiterin Raeda Wazan bereits ein erster Schritt gewesen.

Fraglich aber ist, ob sowohl die Gefangenen "echte" Terroristen und vor allem ihre Aussagen wahrheitsgetreu sind. Möglicherweise wurden sie durch Folter, die auch nach dem Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums von den irakischen Sicherheitskräften praktiziert wird, dazu gezwungen. Die im Fernsehen gezeigten Menschen bereichten beispielsweise, wie viele Menschen sie geköpft haben, aber auch, dass sie in Syrien ausgebildet und vom syrischen Geheimdienst bezahlt wurden. Das Köpfen hätten sie an Tieren gelernt. Ein anderer sagt, seine Gruppe habe in Mossul zur Einschüchterung Frauen entführt und vergewaltigt. Ein Gefangener schilderte, dass man erst einige Köpfungen hinter sich gebracht haben müsse, um als Emir oder Gruppenchef die Karriereleiter emporsteigen zu können. Während diejenigen auf der untersten Ebene pro Tat bezahlt würden - zwischen 100 und 1.000 US-Dollar, bei Entführungen mehr -, erhalten angeblich die Anführer Festgehälter.

Viele der Gefangenen erklärten, dass sie am Dschihad teilnehmen, der vom Islam gerechtfertigt wird. Die im Fernsehen gezeigten Gefangenen würden, so der Kommandant der Wolf-Brigade, dem Richter übergeben. Manche hätten vor der Kamera den Wunsch geäußert, für ihre Verbrechen getötet zu werden.