Religionskritik oder Rassismus?

Seite 2: Die vermeintliche Offenheit des neuen Rechtspopulismus

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Auch europäische Rechtsparteien gefallen sich neuerdings in der Rolle einer antiislamischen Resistance und waschen sich damit teilweise von ihrer eigenen rechtsextremen Vergangenheit rein. Nicht nur die Dänische Volkspartei geißelt den Islam schon lange als "faschistische Ideologie", auch Heinz-Christian Strache nannte ihn den "Faschismus des 21. Jahrhunderts". Marine Le Pen sorgte im Dezember 2010 für Empörung, als sie Muslime in Paris, die wegen des Raummangels in ihrer Moschee auf der Straße beteten, mit der Besatzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg durch die Wehrmacht verglich. Die Gläubigen benahmen sich wie eine feindliche Armee in einem besetzten Gebiet - "ohne Panzer und ohne Soldaten, aber durch die Besatzung von Teilen des Gebiets", in denen religiöses Recht angewandt und die einheimische Bevölkerung unter Druck gesetzt werde.6

Der neue Rechtspopulismus zeigt sich offen für alle, er ist inklusiv und divers, ja, er schmückt sich geradezu mit seiner Vielfalt, um sich vom alten Rechtsextremismus abzuheben. Der moderne Rechtspopulismus ist damit ein Spiegelbild einer Einwanderungsgesellschaft und hat sich erfolgreich an deren Erfordernisse angepasst. Seine islamfeindliche Ideologie wendet sich nicht mehr gegen andere Hautfarben, eine fremde Herkunft oder sexuelle Orientierung, sondern nur noch gegen eine bestimmte Religion. Jeder kann im Prinzip mitmachen und sich einbringen - außer, er ist bekennender Muslim, trägt ein Kopftuch und geht ab und zu in die Moschee.

Damit ist dieser Rechtspopulismus nicht nur anschlussfähig für viele gesellschaftliche Gruppen wie Frauen, Juden und Homosexuelle, die sich vom klassischen Rechtsextremismus und dessen Antisemitismus, seiner Homophobie und seinem reaktionären Frauenbild schwerer angesprochen fühlen können. Er zeigt sich sogar offen für Einwanderer - insbesondere für solche aus christlich geprägten Ländern, für christliche Minderheiten aus muslimischen Ländern, aber auch für alle anderen.

Es ist in Österreich bekannt, dass viele serbische Einwanderer in Österreich FPÖ wählen, weil sie deren Abneigung gegen Muslime teilen. Die Lega Nord stellte 2009 im kleinen Ort Viggiu in der Provinz Varese mit der gebürtigen US-Amerikanerin Sandy Cane sogar die erste schwarze Bürgermeisterin Italiens.7 Und in den Niederlanden finden sich unter den Wählern der Freiheitspartei von Geert Wilders auch indische Einwanderer aus Surinam - vor allem solche, die dem Hindu-Nationalismus fronen oder besonders aufstiegsorientiert sind.8

In Belgien buhlt der Vlaams Belang schon lange um die jüdische Minderheit, die in einer Stadt wie Antwerpen eine wichtige Wählergruppe bildet. Auch der Front National bemüht sich mit wachsendem Erfolg um jüdische Wähler, sogar eine kleine Zahl rechter Muslime gibt es in seinem Umfeld. Einmal rief gar der Ex-Mufti von Marseille Soheib Bencheikh dazu auf, lieber Le Pen als Sarkozy zu wahlen.9

Dass der ehemalige AfD-Chef Bernd Lucke noch kurz vor seiner Abwahl im Juni 2015 den offen schwulen Deutschtürken Andre Yorulmaz als AfD-Generalsekretär ins Gespräch brachte, passt ins Bild: Damit wollte er zwei verschiedenen Wählergruppen signalisieren, dass sie keine Angst vor der AfD haben mussten, nämlich den Einwanderern und den Homosexuellen. Ob das unter seiner Nachfolgerin Frauke Petry so bleibt, steht auf einem anderen Blatt.

Selbst in den antimuslimischen Bewegungen auf der Straße spiegelt sich die Vielfalt moderner Einwanderungsgesellschaften wider. Die English Defence League leistete sich eine eigene Sikh-Abteilung, deren Sprecher Guramit Singh Kalirai mit besonders giftigen Parolen gegen Muslime auffiel, bevor er 2013 wegen versuchten Raubes ins Gefängnis wanderte. Und zum zwölfköpfigen Organisationsteam von Pegida gehörte von Anfang an der 1987 aus Mosambik eingewanderte Hamilton George: Bei den Kundgebungen in Dresden stand er meist in der ersten Reihe und trug die Transparente der "Patriotischen Europäer".