Rezession "abgesagt", Kaufkraft sinkt weiter

Habeck: "Schlimmste Szenarien vermieden". Aber nach wie vor "hohe Unsicherheiten". EZB will die Zinsen deutlich anheben, um Inflation zu bekämpfen.

Derzeit versucht die Bundesregierung ein positives Bild für die deutsche Wirtschaft zu zeichnen. Demnach soll die sich im neuen Jahr deutlich besser entwickeln als auch sie zunächst gedacht hatte. Das ging aus dem Jahreswirtschaftsbericht hervor, den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vergangene Woche in Berlin veröffentlicht hat.

Zunächst war allseits damit gerechnet worden, dass die Wirtschaft in Deutschland im laufenden Jahr in die Rezession abrutschen wird. Das hatte kürzlich noch der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert.

Entsprechend positiv werden die Prognosen auch in deutschen Medien aufgenommen. "Das Rezession-Gespenst, das in Deutschland seit dem Herbst umgeht, verliert an Schrecken", wird genauso geschrieben, wie davon geschrieben wird: "Der Crash ist erstmal abgesagt."

Viele Entscheidungen hätten schnell getroffen werden müssen, erklärte Habeck rückblickend bei der Vorstellung des Berichts. Auch Unternehmen und Verbraucherinnen und Verbraucher hätten sich aber den neuen Umständen schnell angepasst, fügte er an.

Habeck lobt Entschlusskraft

"Durch diese Entschlusskraft, durch diese Bereitschaft, ungewöhnliche und ungewöhnlich große Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, ist es diesem Land gelungen, eine schlimme Wirtschaftskrise abzuwehren", meint der Wirtschaftsminister.

Er richtet den Blick nach vorne: "Damit ist gesagt, dass die Krise natürlich noch nicht vorbei ist, dass wir noch lange nicht durch sind." Aber eines ist für Habeck klar: Man habe "die schlimmsten Szenarien" vermeiden können. Ob das tatsächlich so ist, bleibt abzuwarten.

Die Bundesregierung rechnet nach einem Wachstum um 1,9 Prozent im vergangenen Jahr nun nicht mehr mit einer leicht schrumpfenden Wirtschaft um 0,4 Prozent für 2023, sondern sie geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im laufenden Jahr leicht wachsen werde.

Die Bundesregierung geht in der Jahresprojektion für das Jahr 2023 von einem Anstieg des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts um 0,2 Prozent aus.

Bundesregierung

Nach ihrer Ansicht habe sich die Ausgangslage zum Jahreswechsel günstiger als noch in der Herbstprojektion angenommen dargestellt.

Weiter "hohe Unsicherheiten" für die deutsche Wirtschaft

"Trotzdem bestehen nach wie vor hohe Unsicherheiten für die deutsche Wirtschaft: der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und dessen wirtschaftliche Folgen, die schwache Entwicklung der Weltwirtschaft, die anhaltend hohen Energie und Verbraucherpreise sowie die Sicherstellung der zukünftigen Gasversorgung", rudert man in Berlin allerdings schon wieder halb zurück.

Angesichts eines solch schwachen Wachstums, dass vermutlich nach der Prognose nur aus den geschätzten illegalen Geschäften wie Drogenhandel, Tabakschmuggel und Prostitution rühren würde, die seit einigen Jahren in die BIP-Berechnung aufgenommen wurden, wäre sogar nach der offiziellen Definition eine Rezession noch möglich.

Denn dafür muss die Wirtschaft in zwei aufeinander folgenden Quartalen schrumpfen. Doch in Berlin macht man auf schönes Wetter und will das R-Wort nicht in den Mund nehmen. Man meint, eine "deutliche Rezession, wie sie von vielen Beobachtern lange Zeit als unausweichlich betrachtet wurde, zeichnet sich jedenfalls nicht ab".

Die günstige Prognose

Tatsächlich hat sich die Lage zum Jahresende etwas besser entwickelt, als allgemein erwartet worden war. Doch es ist sehr optimistisch, davon auszugehen, dass das auch angesichts einer weiter hohen Inflation so bleiben wird. Die offiziellen Verbraucherpreise sind im Dezember im Vergleich zum Vorjahr um 8,6 Prozent gestiegen, erklärte das Statistische Bundesamt (Destatis).

Wie schon mehrfach ausgeführt, benutzt Destatis den besonders stark aufgehübschten "Verbraucherpreisindex" (VPI). Die offizielle Teuerungsrate lag nach dem "Harmonisierten Verbraucherpreisindex" (HVPI), den die europäischen Statistiker von Eurostat benutzen, in Deutschland im Dezember aber bei 9,6 Prozent.

Die Bundesregierung rechnet über den VPI damit, dass die Preise im vergangenen Jahr um 7,9 Prozent gestiegen sein sollen und sie im laufenden Jahr um weitere 6 Prozent steigen werden. Für die Prognose werden vor allem niedrigere Energiepreise angeführt. Dabei ist, angesichts der weiteren Eskalation im Ukraine-Krieg – auch über die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern wahrscheinlich, dass auch die Energiepreise wieder steigen.

Und die Energiepreise

Die sind aber zu einem guten Teil nicht nur real gesunken, sondern auch über den Wechselkurseffekt. Nachdem auch die Europäische Zentralbank (EZB) durch deutliche Zinsanhebungen, wie die der US-Notenbank (FED), gezwungen wurde, ebenfalls die Leitzinsen zu erhöhen wurde die Geldflucht aus dem Euroraum gestoppt. Damit wurde auch der Wertverfall des Euros gestoppt.

Der Wert sank zum Teil unter die Parität zum US-Dollar. Da Energie auf dem Weltmarkt aber in US-Dollar bezahlt werden müssen, verteuerte sich Energie wegen einer verfehlten EZB-Politik für Verbraucher in der Eurozone noch einmal zusätzlich.

Das ist jetzt vorbei, nachdem die EZB quasi von außen dazu gezwungen wurde, die lockere Geldpolitik aufzugeben. Nun müssen für einen Euro sogar wieder mehr als 1,09 Dollar bezahlt werden. Seit dem Tief im vergangenen Sommer hat die Gemeinschaftswährung wieder fast 15 Prozent an Wert hinzugewonnen, was sich besonders stark dämpfend auf die Energiepreise auswirkt.

Telepolis hatte immer wieder darauf hingewiesen, dass das ein inflationssenkender Hebel in der Hand der EZB ist. Stattdessen hatte die EZB mit absurden Hoffnungen auf eine sinkende Inflation lange zugelassen, dass die Teuerungsrate im Euroraum aus dem Ruder laufen konnte.

EZB: "Die Zinsen müssen weiter erheblich in einem stetigen Tempo steigen"

Inzwischen musste sie ihre abstruse Politik ändern und spielt sich die EZB-Chefin Christine Lagarde als konsequente Inflationsbekämpferin auf. "Wir müssen die Inflation senken und wir werden dieses Ziel erreichen", sagte Lagarde vergangene Woche auf dem Neujahrsempfang der Deutschen Börse in Eschborn bei Frankfurt am Main.

"Die Zinsen müssen noch weiter erheblich in einem stetigen Tempo steigen, um hinreichend restriktive Niveaus zu erreichen", erklärte die EZB-Chefin.

Mit anderen Worten: Wir bleiben auf Kurs, um eine rechtzeitige Rückkehr der Inflation zu unserem Ziel sicherzustellen. Nur dann werden wir sagen: Mission erfüllt.

Christine Lagarde

Inzwischen hat Lagarde offenbar auch erkannt, dass sich die Kerninflation sehr bedenklich entwickelt, worauf Telepolis längst hingewiesen hatte. So hatte Lagarde auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos erklärt, dass man insgesamt "sehr hohe" Inflationszahlen sieht.

Wir betrachten alle Komponenten der Inflation, von der Gesamtinflation bis zur Kerninflation, und egal, wie man die Inflation betrachtet, sie ist zu hoch.

Christine Lagarde

Bei der Kerninflation handelt es sich um einen Inflationswert, aus dem Energie und verarbeitete Lebensmittel herausgerechnet werden. Destatis gibt den Wert, anders als andere Statistiker in der EU, nicht an. Geschätzt wird, dass die Kerninflation in Deutschland im Dezember weiter auf 5,1 Prozent gestiegen ist.

Die positive Prognose der Bundesregierung und Habeck gehen diversen adversen Faktoren aus dem Weg. Da ist auf der einen Seite die Zins-Zielmarke der EZB. Es liegt bei zwei Prozent. Um die Inflation auf dieses Ziel zu senken, sind erhebliche Schritte notwendig und die werden die Wirtschaft belasten.

Unter einem restriktiven Zinsniveau, wie von Lagarde ausgeführt, versteht man in den Wirtschaftswissenschaften nämlich ein Niveau, mit dem eine Volkswirtschaft real gebremst wird, um die Nachfrage zu verringern. So darf damit gerechnet werden, dass die Zinserhöhungen sich alsbald deutlich dämpfend auf die Konjunktur auswirken werden.

Am Donnerstag wird die EZB einen neuen Zinsschritt beschließen. Zwar wird nicht erneut eine Anhebung um 75 Basispunkte erwartet, wie zwei Mal in Folge im September und Oktober, doch erwartet werden im Februar und März zwei Zinsschritte um 0,5 Prozentpunkte auf dann 3,5 Prozent.

Die steigenden Zinsen sind aber nur ein Unsicherheitsfaktor in der sehr optimistischen Prognose. Dass es zum Jahresende besser als erwartet gelaufen ist, dürfte unter anderem genau damit zu tun haben, dass die Inflation hoch ist.

So dürften vorausschauende Verbraucher größere Investitionen angesichts deutlich steigender Preise in der Zukunft auf das Jahresende vorgezogen haben. Das Geld können sie aber später nicht mehr ausgeben. Dazu kommt, dass die Löhne nicht einmal im Rahmen der offiziellen Inflationsrate steigen.

So sinkt die Kaufkraft der Bevölkerung weiter, wie sogar Destatis mit dem stark aufgehübschten VPI vorgerechnet hat. Die Verbraucher in Deutschland müssen Reallohnverluste "wie nie zuvor" hinnehmen, hatte sogar Destatis festgestellt.

Ohnehin darf erwartet werden, dass die Inflation nun zum Jahresbeginn wieder steigt, da nicht erneut die Abschlagzahlungen für Gas und Fernwärme von der Bundesregierung übernommen werden.

Da zum Jahreswechsel auch etliche Verträge angepasst werden, wird den Verbrauchern weiter Kaufkraft entzogen und einigen wird erst mit der ersten neuen Rechnung klar, das Gas und Strom zum Teil um 150 Prozent teurer geworden sind.

Interessant ist, dass inzwischen auch Lagarde einsieht, dass die Geldschwemme ihrer Notenbank etwas mit der Inflationsentwicklung zu tun hat. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Bundesbank im letzten Monatsbericht. Dort wird nun von der "empirischen Evidenz" des langfristigen Zusammenhangs zwischen Geldmengenwachstum und Inflation gesprochen.

Die Bundesbank geht davon aus, dass geldpolitische Maßnahmen grundsätzlich wie gewünscht auf die Realwirtschaft wirken, der sogenannte Transmissionsprozess also weiterhin intakt sei.

Sie glaubt also, dass das Absenken oder Anheben der Leitzinsen in die Realwirtschaft durchsickern. Vermutet wird aber, der Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Inflationsrate sei aber möglicherweise kleiner, als die Quantitätstheorie besagt. Der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation lasse sich aber nicht von der Hand weisen, führt die Bundesbank aus. Sie verweist zum Beispiel auf die Corona-Krise.

Mit dem Beginn der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 beschleunigte sich die Jahreswachstumsrate der Geldmenge M3 bis auf über 12 %, bevor sie im Verlauf der Jahre 2021 und 2022 wieder zurückging. Zugleich stieg die Inflationsrate im Verlauf der beiden letzten Jahre stetig an.

Bundesbank

Für die Bundesbank ergibt sich damit die Frage, nach einem "möglichen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der M3-Wachstumsrate und der Inflationsrate." Die Bundesbank-Ökonomen kommen aber zu dem Schluss, dass die Geldmenge nur zum Teil Schuld an der enorm gestiegenen Inflation habe. "Geldnachfrageschocks dominieren", meint die Bundesbank.

Eine Art Kaufrausch nach dem Ende der Covid-Pandemie sei durch Stützungsprogramme und die expansive Geldpolitik noch weiter befeuert worden, urteilt die Bundesbank. Dazu sei vor allem der Angebotsschock durch gestörte Lieferketten gekommen und erst im Nachgang sei dann auch noch der Ukrainekrieg hinzugekommen, womit die Energiepreise weiter in die Höhe geschnellt sind. Man habe zu lang an der expansiven Geldpolitik festgehalten, so die Bundesbank.