Rücktritt in London: Das waren die 45 Tage von Liz Truss

Der Salatkopf hat gewonnen. Bild: Daily. Star (Screenshot)

Die Konservative ist nach 45 Tagen zurückgetreten. Großbritannien steht vor einem politischen und wirtschaftlichen Desaster. Eine Top Seven des Scheiterns.

Die britische Boulevardzeitung Daily Star hatte zuletzt noch gewitzelt: Die heute zurückgetretene Premierministerin Liz Truss werde sich wohl nicht so lange halten wie durchschnittlich ein Salatkopf – und startete ein Video mit dem Konterfei der konservativen Politikerin und … einem Salatkopf.

Am Ende wurden es für Truss 45 Tage. Nach rund eineinhalb Monaten ist sie heute aufgrund schwerster politischer Fehler zurückgetreten. Ein Desaster, das Telepolis mit sieben Artikeln aus der kurzen Amtszeit nachzeichnet, chronologisch absteigend. Für eine Top Ten hat es leider nicht gereicht.

Der Daily Star kündigte an, der Kopfsalat werde nach seiner Siegesfeier heute um 18 Uhr (Ortszeit) eine Rede an die Nation halten.

Top 7: Liz Truss und die Atombombe

10.09.2022

Der sehr erfahreneTimes-Radio Moderator John Pienaar wollte bei einer Veranstaltung in Manchester den Truss-Roboter aus der Reserve locken. Er fragte nach dem Trident-Programm, also jenen U-Booten der britischen Marine, die über interkontinentale Atom-Raketen verfügen.

Der kluge Reporter weiß, dass, wenn er Truss fragt, ob sie "den Knopf drücken" würde, sie natürlich ja sagen muss. Deshalb betont er, ihn persönlich würde die unausweichliche "globale Vernichtung" körperlich krank machen und er würde gerne von Truss wissen, was sie demgegenüber empfindet.

Durch ihr Gesicht geht ein leichtes Zucken. Sie erkennt eine Falle, wenn sie vor ihr steht. Dann schüttelt sie den Kopf und damit alle Bedenken ab. Es sei eine wichtige Aufgabe der Premierministerin und sie sei bereit es zu tun

Diesmal agieren die Claqueure auf Stichwort und klatschen. Der Applaus beruhigt Truss. Der Reporter versucht es verzweifelt lachend ein letztes Mal: "Ich frage, wie sie sich fühlen?"

Nein, keine weitere Antwort. Truss ist bereit, den Knopf zu drücken. Die Frage nach ihren Gefühlen gegenüber dem möglichen Ende der menschlichen Zivilisation scheint sie nicht einmal zu verstehen. (Frank Jödicke)

Top 6: Liz Truss und die Realität

06.09.2022

400 Prozent Energiepreiszunahme, die höchste Inflation seit vierzig Jahren und fallende Löhne. Liz Truss will sich damit aber nicht die Aufbruchsstimmung verderben lassen. Sie selbst ist seit vielen Jahren Teil der Regierung, dennoch wird jetzt alles besser. Ganz sicher. Selbst wenn die Rezepte die verdächtig alten sind.

Den Menschen im Land, die kaum mehr wissen, wie sie über die Runden kommen, Steuererleichterungen (die sie nicht erreichen) und damit Wachstum zu versprechen, darf als unverfroren bezeichnet werden. Wer seit Jahren mit knappen Mitteln haushalten muss und sich vor den Energiekosten fürchtet, hat nun eine Premierministerin, die das Hauptproblem im Lande in fehlendem Engagement der Bürger sieht.

Plumpe Leugnung der Realität ist ein Herrschaftsinstrument und wird von Truss gerne eingesetzt. Etwa bloß nicht in den Wandschrank schauen, denn da hockt der Brexit-Gnom! Zwar ging bislang die Welt ohne die EU nicht unter, aber die Rede von den Segnungen durch den Brexit ist auffällig leise geworden. Es zeigt sich, wie leicht vorhersehbar, dass der nach dem Verlassen des gemeinsamen Binnenmarktes administrativ aufwendiger gewordene Handel mit Kontinentaleuropa schlecht fürs Geschäft ist. (Frank Jödicke)

Top 5: Liz Truss und das Fracking

27.09.2022

Großbritanniens neue Premierministerin Liz Truss scheint nach diversen Zeitungsberichten eine Neuauflage von Margaret Thatcher zu werden. Jene hatte sich in den 1980er-Jahren als gute Freundin des chilenischen Diktators Augusto Pinochets und frühe Vorkämpferin des Neoliberalismus mit Kopfsteuer, hartem Privatisierungskurs, einem Krieg gegen Argentinien und einem äußerst aggressiven Vorgehen gegen Gewerkschaften den Spitznamen Eiserne Lady erworben.

Auch in der Energiepolitik lässt nun ihre Nachfolgerin im Geiste vom rechten Flügel ihrer nicht gerade als links verschrienen Partei wenig Gutes erwarten. So scheint ihr Herz ganz für die Öl- und Gasindustrie zu schlagen, denen 130 neue Bohrlizenzen in Aussicht gestellt werden.

Der Guardian erwartet allerdings, dass die vermeintliche Eiserne Lady II ganz schnell Rost ansetzen wird, wenn sie mit den politischen Realitäten Post-Brexit-Groß-Britanniens konfrontiert wird. (Wolfgang Pomrehn)

Top 4: Liz Truss und die Finanzmärkte

05.10.2022

Man ist von neoliberalen Konservativen nichts anderes gewohnt. Ihr Mantra heißt Steuererleichterungen. Gemeint sind damit vor allem die Steuern derjenigen, die eigentlich mehr Steuern zahlen können: Spitzenverdiener. So war es kein Wunder, dass auch die selbsternannte neue britische "eiserne Lady" Liz Truss solche "Rezepte für ein Desaster" nach ihrer Wahl durch die Tory-Mitglieder im Gepäck hatte.

Diese Rezepte kennt man auch von Donald Trump. Auch die Konservativen in Spanien schaffen derzeit die Vermögenssteuer in den Regionen ab, in denen sie regieren. So etwa gerade in Andalusien, das nun mit Madrid gleichgezogen hat.

Wie absurd es ist, just auf Einnahmen von Spitzenverdienern und Reichen zu verzichten, die sich höhere Steuerausgaben leicht leisten können, zeigt sich in Andalusien bereits. Man verzichtet auf Millionen aus der Vermögenssteuer, aber schon eine Woche später fordert die Regionalregierung von der Zentralregierung viel Geld, um Infrastruktur auszubauen und etwas gegen den Wassermangel wegen des Klimawandels zu unternehmen. (...)

Truss, die nicht durch Wahlen an die Macht kam, wollte ebenfalls sofort die eigene Klientel mit Steuererleichterungen bedienen. Es war eine der ersten Entscheidungen von ihr - die allerdings ihre Unbeliebtheit nur noch deutlich weiter gesteigert hat -, den Spitzensteuersatz von 45 Prozent auf 40 Prozent zu senken. Fortan sollten Großverdiener mit Einkünften über 150.000 Britsiche Pfund also deutlich weniger Steuern bezahlen. (Ralf Streck)

Top 3: Liz Truss und die Energiekrise

12.10.2022

Den beliebten deutschen Weihnachtsmarkt in der Stadt Leeds wird es dieses Jahr wohl nicht geben. Weihnachtsmärkte in Glasgow, Edinburgh, möglicherweise in Cambridge und vielleicht sogar der im Londoner Hyde-Park-Markt sind gecancelt, ohne Nennung von Gründen, oder weil die Veranstalter abgesprungen sind.

Wenn Weihnachten abgesagt wird, dann ist das kein gutes Zeichen. Die Situation spitzt sich überall in Europa zu, in Großbritannien mit erhöhter Geschwindigkeit. Neu sind die Verelendungserscheinungen nicht. Angeblich war es im Berlin der späten 1920er-Jahre häufig, dass Menschen ihre beste Kleidung anlegten, gut essen gingen und dann sagten, sie hätten schlicht kein Geld, um das Essen zu bezahlen.

Aber was sollten sie tun? Im Nach-Brexit, von Energiekrisen und Inflation gebeutelten Großbritannien legen die Einkäufer an der Supermarktkasse das Geld hin, das noch vorhanden ist. Dann der fragende Blick und die verzweifelte Erklärung: "I gotta eat." (Frank Jödicke)

Top 2: Liz Truss und das politische Ende

14.10.2022

In London überschlagen sich die Ereignisse. Die nicht einmal einen Monat im Amt befindliche Premierministerin Mary Elizabeth "Liz" Truss scheint einen parteiinternen Putsch abwehren zu müssen. Laut Informationen der Times und des Guardian soll sich um den unterlegenen Kandidaten – Ex-Finanzminister Rishi Sunak – und die zeitweilig als aussichtsreich gehandelte Kandidatin für den Parteivorsitz, Penny Mordaunt, eine Gruppe gebildet haben, die versucht, Truss abzulösen.

Ziel wäre eine Art "Joint Ticket", also gemeinsame Parteiführung von Mordaunt, die gewisse "linke" und "soziale" Spurenelemente in ihren Politikvorschlägen hat, und Sunak, dem Multimillionär, der als erfahren gilt und die Finanzmärkte beruhigen soll.

Mit bloßem Auge lässt sich erkennen, dass dies alles nicht mehr viel mit Demokratie zu tun hat. Die Auswahl der neuen Premierministerin Truss war bereits durch ein rein parteiinternes Ausscheidungsverfahren bei den Tories geschehen. Nun scheint ein kleiner Kreis, der mit dem Ergebnis unzufrieden ist, dies informell korrigieren zu wollen.

Unklar ist, wie mächtig diese Gruppe ist. Möglicherweise geht es vornehmlich auch nur darum, dass Finanzminister Kwasi Kwarteng und Truss ihr "ambitioniertes" Programm zurücknehmen. Die besteht aus einem streng neoliberalen Kurs. Die von Boris Johnson beschlossene Anhebung der Unternehmenssteuer sollte ausbleiben, der Spitzensteuersatz gesenkt werden und dergleichen mehr. (Frank Jödicke)

Top 1: Liz Truss und der politische Scheintod

18.10.2022

Kaum vier Wochen im Amt ist Liz Truss am Ende. Der letzten britischen Premierministerin, die noch von Queen Elizabeth II. ernannt wurde, dürften nur noch wenige Tage in der Downing Street Number 10 bleiben.

Es sind diverse Stimmen aus der Umgebung der Premierministerin, die dieses Urteil bereits gesprochen haben. Einer ihrer engsten Vertrauten, der am Freitag schroff gefeuerte bisherige Schatzkanzler (= Finanzminister), Kwasi Kwarteng, sagte Stunden danach, dass sich die Premierministerin mit seiner Entlassung allenfalls einige Wochen im Amt erkauft habe.

Man sollte sie trotzdem nicht voreilig abschreiben, denn Liz Truss hat ihre Steherqualitäten bewiesen; sie hat gezeigt, dass sie gegen alle Wahrscheinlichkeiten Erfolg haben kann – niemand hätte ihr vor einigen Monaten den Griff nach der Macht und den Erfolg im Machtkampf um die konservative Partei zugetraut.

Zugleich war ihre Wahl zur Vorsitzenden bereits ein Verzweiflungsakt der Konservativen, die längst zum Opfer ihrer eigenen Entscheidungen geworden sind. Die Geister, die sie mit dem Brexit-Votum von 2016 gerufen haben, werden sie nun nicht mehr los.

"It feels like game over." Die Unterhaus-Abgeordneten der Tories müssen erkennen, dass mit Truss die zweite Premierministerin der Partei einen herben grundsätzlichen Schlag zugefügt hat: Boris Johnson hat die moralische Integrität und die vermeintliche Wertebasis der Konservativen in den Grundfesten erschüttert. Jetzt gelang es Liz Truss in weniger als vier Wochen, gründlich mit dem Ruf der Tories, eine Partei der finanziellen Glaubwürdigkeit und des sparsamen korrekten Rechnens zu sein, aufzuräumen.(Rüdiger Suchsland)

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